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Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

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TRADITION UND MORALISCHE WAHRHEIT 275<br />

stand apart from and over tradition, in a kind of god-like<br />

detachment, freely determining the norms for myself and<br />

everyone else in the tradition” (J. 441).<br />

Eine solche Sicht würde ja nur anstelle einer unkritischen<br />

Traditionsautorität die ebenso unkritische Subjektautorität<br />

setzen. Nein, vielmehr geht es auch hier um “the true good”.<br />

Meine These ist aber, daß der Zugang zu “the true good” den<br />

Weg über die Subjekte nehmen muß. Damit ist nicht gemeint, es<br />

gebe “an ethics of the subject outside and above all tradition, by<br />

which the tradition must be judged” (J. 441f.). Es geht vielmehr<br />

um die Frage des organisierenden Prinzips, um das Gefälle und<br />

das Zentrum im Prozeß der moralischen Überzeugung und<br />

(Selbst-) Vergewisserung.<br />

Nun, hier hat sich der Schwerpunkt verschoben von der<br />

akzeptierten Wahrscheinlichkeit, daß die Tradition Recht hat, zur<br />

Einstellung, daß dieses Recht in Zweifel gezogen werden darf und<br />

öfter auch muß. Wir treffen hier übrigens auf die alte jüdische<br />

und christliche Tradition des Propheten wie des Gewissens.<br />

Die damit grundgelegte Korrekturfunktion erkennt, wie wir<br />

sahen, auch B.J. an, freilich erklärt er diesen Aspekt als einen<br />

Teil der Tradition selbst. Das ist in einem allgemeinen Sinne<br />

wahr, und ich würde darüber kein weiteres Wort verlieren, wenn<br />

es nicht konkrete Traditionen gäbe, die dem Subjekt genau<br />

dieses Gewissensrecht absprechen oder es an allerlei<br />

Vorbedingungen knüpfen wollen.<br />

In solch einer Situation muß es zum Schwur kommen.<br />

Tradition, weder mit großem “T” noch mit kleinem “t”, kann<br />

Menschen ihr Gewissen abnehmen. Wohl hingegen kann das<br />

Gewissen Menschen nötigen, sich gegenüber ihren Traditionen<br />

kritisch zu verhalten und eventuell sich von ihnen zu<br />

verabschieden. Nicht Tradition, sondern Gewissen-Subjektpersonale<br />

Verantwortung sind das Kriterium, auch gegenüber<br />

der Tradition.<br />

Kurzum: Tradition kreiert “the true good(s)” nicht, sondern<br />

“true goods” definieren die zuverlässige Tradition.<br />

2. B.J. hat zurecht darauf hingewiesen, daß dieses moderne<br />

Personsverständnis selbst wiederum aus einer bestimmten,<br />

partikularen Tradition hervorgegangen und in dieser Tradition<br />

verwurzelt ist (J. 450). Dies ist richtig und sollte in seiner

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