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Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

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274 KARL-WILHELM MERKS<br />

Das Subjekt<br />

Mit diesen Fragen komme ich auf einen zweiten zentralen<br />

Punkt zu sprechen, die Bedeutung des Subjektes für die Moral-<br />

Legitimation. 7<br />

Ich denke, man kann den gesellschaftlichen Strukturwandel<br />

des 19./20. Jahrhunderts in den modernen westlichen<br />

Gesellschaften in einem zentralen Punkt charakterisieren als<br />

Wechsel von einer traditions- und gemeinschaftsorientierten zu<br />

einer subjektorientierten Gesellschaftsform.<br />

Dieser Prozeß hat viele Facetten. Er bedeutet Gewinn und<br />

Verlust, die bisweilen beide Hand in Hand gehen. So ist die<br />

Befreiung des einzelnen Menschen aus ihn vereinnahmenden<br />

und einengenden Sozialstrukturen zugleich die Lostrennung aus<br />

der - Identität tragenden und stärkenden - Gruppe. Die Ablehnung<br />

der Plausibilität von Traditionen ist zugleich Abnabelung<br />

vom Nährboden eines moralischen Erfahrungsreichtums. Die<br />

Konzentration auf die moralische Vernunft des Einzelnen geht<br />

leicht einher mit der Schwächung der Aufmerksamkeit für<br />

allgemein verbindliche Werte und Aufgaben.<br />

Dies ist genau der Kontext, in dem, um im Bilde meines<br />

Aufsatztitels zu bleiben, die “Sirenen” ihre Stimme erheben.<br />

Dies ist auch die Stelle, an der eine Reflexion über die<br />

Bedeutung der modernen Subjektorientierung anzusetzen hat.<br />

1. Zunächst sind einige Mißverständnisse auszuräumen. Das<br />

Subjekt, über das ich spreche, ist nicht “separated from<br />

tradition” (J. 441), noch handelt es sich um eine abstrakte “autonomous<br />

reason”, wie sie, übrigens häufig fälschlich, Kant zugeschrieben<br />

wird. Von daher bedeutet die von mir verteidigte<br />

menschliche Verantwortung für Normen auch nicht, “that I<br />

7<br />

Die kritischen Bemerkungen B.J.’s zu meinem Person- und<br />

Subjektbegriff (448f.) sind mir nicht verständlich. Ich denke, daß meine<br />

Ausführungen dies nicht rechtfertigen. Wenn B.J. schreibt: “this person<br />

chooses freely to be so related, and it is in this that responsability consists”,<br />

bleiben mir am Ende immer noch meine grundsätzlichen Fragen: Ist<br />

moralische Wahl Wahl von Moral oder von Tradition und Gemeinschaft?<br />

Und: Gibt es für diese Wahl keine (a-priorischen) moralischen Prinzipien?

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