Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

TRADITION UND MORALISCHE WAHRHEIT 271
des moralisch Guten, sondern Quelle von Egoismus,
Ungerechtigkeit, Ausschliessung und Repression.
Meine Konklusion daher: source of moral truth: ja;
criterion: nein. Damit ist gemeint: die Berufung auf (eine)
Tradition hat als solche keine legitimierende Kraft (auch wenn
moralische Legitimation selbst nicht ohne Einbettung wiederum
in Tradition verstanden werden kann)!
Tradition of truth - tradition of identity
Eine ähnliche Einsicht scheint B.J. mit der Unterscheidung
zwischen einer “tradition of truth” und einer “tradition of
identity” (J. 437; 447f.) ausdrücken zu wollen. Man kann daraus
folgern: Wo Tradition sich als Interesse an (abgrenzender) Identität
formuliert, ist die Gefahr groß, daß sie nicht primär auf die
Wahrheit hin orientiert ist, sondern auf sich selbst fixiert bleibt,
und daher die Wahrheitsfrage allzuleicht durch das Selbsterhaltungsbedürfnis
beeinflußt wird. Beispiele hierfür sind überall zu
finden: das “amerikanische” Familienideal, die “preußischen”
Staatstugenden, die “reine katholische” Lehre, das
“afrikanische” Gemeinschaftsbewußtsein, die “islamische” Identität
- neben ihrem positiven Kern können sie zugleich höchst
zweifelhafte Nebenwirkungen zeitigen.
Identitäts-Interesse gefährdet die Wahrheitskompetenz
einer Tradition. Identitätsclaims begründen jedenfalls nie
moralische Wahrheit, sondern sind an ihr zu messen. Im
übrigen würde ich gerne wissen, wie man denn anders beide
Formen von Tradition (tradition of truth -tradition of identity)
unterscheiden will. Offensichtlich ist dies ja nicht aus der
Tatsache des Tradition-Seins allein möglich. Also sind wir doch
wieder auf andere Kriterien angewiesen.
Aus diesem Grunde habe ich postuliert (M. 138), daß
Tradition an der Ethik gemessen werden muß und nicht Ethik
an der Tradition. Wie unterscheiden sich also Formen von
Tradition, die auf die eigene Identität ausgerichtet sind, von der
von B.J. so genannten “tradition of truth”?
Ein zentraler Begriff hierfür ist der des “true good” (J.
437f.): eine “tradition of truth” beweist sich darin, daß sie sich
durch “the true good(s)” konstituiert sieht, das (die) durch ihre