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Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

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TRADITION UND MORALISCHE WAHRHEIT 269<br />

Quelle und Kriterium<br />

Hierzu will ich zunächst anmerken, daß nicht bestimmte<br />

Fehlentwicklungen in einer Tradition das eigentliche Argument<br />

meiner Traditionskritik sind. Sie sind vielmehr der Anlaß zu<br />

einer grundsätzlicheren Überlegung: Traditionen geben<br />

faktische Entwicklungen von Wertebewußtsein wieder. Ob diese<br />

Entwicklungen aber moralisch legitim sind, hängt nicht von<br />

dieser Faktizität ab, es ist keine Frage der Tatsächlichkeit, sondern<br />

eine Frage nach der Richtigkeit. Diese Frage aber wird<br />

nicht beantwortet durch ein “Es ist unsere Tradition (also ist es<br />

richtig)”. Die moralisch negativen Aspekte von Traditionen<br />

machen diese Frage der Logik lediglich sichtbar. Es ist eben stets<br />

wieder nötig, daß Korrekturen die - keineswegs aus sich selbst<br />

heraus zuverlässigen - Traditionen durchbrechen.<br />

Nun kann man zwar B.J. zustimmen, daß solche<br />

Bewegungen der Selbstkorrektur sich immer schon innerhalb<br />

von Traditionen selbst abspielen, da ja überhaupt nichts Menschliches<br />

außerhalb von Tradition geschieht. Hierbei denkt B.J. sich<br />

diesen Prozeß der Selbstkorrektur als permanenten “Test”, ob<br />

Überzeugungen und Praktiken mit den konstitutiven Gütern<br />

dieser Tradition (J. 434f.) übereinstimmen. Für die katholische<br />

Tradition wäre dieser Gültigkeitstest in der Stimmigkeit mit<br />

dem authentischen Zeugnis der ursprünglichen Zeugen<br />

(Apostel) zu finden (wobei es freilich häufig langer Zeit bedarf -<br />

vgl. Ketzerverbrennung - bis diese Stimmigkeit erreicht wird).<br />

Selbst wenn man in solcher Selbstkorrektur keinen Zufall<br />

sehen will - und das tue ich nicht, da ich in der Tat glaube, daß<br />

Ketzerverbrennung nicht zum Evangelium paßt -, wird durch<br />

eine solch lange Dauer die moralische Geduld und das<br />

Vertrauen zur Tradition, in der immerhin Religion, Tradition<br />

und Autorität auf enge Weise und konstitutiv miteinander<br />

verknüpft sind (J. 436), doch arg auf die Probe gestellt.<br />

Dieses Problem wird nicht dadurch entschärft, daß es auf<br />

der möglichen Verfälschung eines guten Traditionsbegriffes<br />

(“tradition of identity”: siehe hierzu weiter unten) beruht. Vielmehr<br />

wirft das die Frage auf, ob und wie denn überhaupt eine<br />

solche enge Beziehung zwischen Religion, Tradition und<br />

Autorität für die Moral einen argumentativen Mehrwert<br />

bedeuten kann. Meines Wissens waren es immerhin die besten

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