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Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

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268 KARL-WILHELM MERKS<br />

Geltung - faktisch und normativ<br />

Ohne Tradition gibt es keine Moral. In einem soziologischen<br />

Sinne ist Tradition daher Grundlage (Nährboden) jeglicher<br />

Moral überhaupt sowie der “Grund” ihrer Geltung. Geltung<br />

freilich nur im Sinne von “faktisch in Geltung sein”. Hingegen ist<br />

Tradition nicht Grund im normativen Sinne von “zu Recht in<br />

Geltung sein”.<br />

Diese normative Gültigkeit ergibt sich nicht aus dem Faktum<br />

“Tradition”, sondern nur aus der Richtigkeit des durch das<br />

Faktum “Tradition” Tradierten. Dieser Unterschied bleibt nach<br />

meinem Empfinden im Beitrag von B.J. unterbelichtet, während<br />

er den Kernpunkt meiner Überlegungen betrifft. Wahrscheinlich<br />

hängt dies damit zusammen, daß B.J. dem tatsächlichen Prozeß<br />

moralischer Bildung und den anthropologischen, sozialen und<br />

kulturellen Bedingungen dieses Prozesses seine<br />

Aufmerksamkeit schenkt. Auch die - ja doch gerade aus<br />

Gültigkeitsfragen jeweils vorgenommenen - Korrekturen am<br />

geltenden Ethos innerhalb einer Tradition selbst werden<br />

wiederum in ihrem Prozeßcharakter analysiert und nicht nach<br />

dem Grund ihres Wahrheitsanspruches befragt. Dadurch<br />

entsteht das bedauerliche Bild eines Gegensatzes dort, wo er<br />

nicht besteht. B.J. gibt eigentlich eine Antwort auf eine Frage,<br />

die ich nicht gestellt habe. Das Problem dagegen, das ich zur<br />

Sprache bringe, kann so keine Antwort finden. Dies ist umso<br />

merkwürdiger, als ich mich in einigen zentralen Punkten meiner<br />

Argumentation sehr wohl verstanden und durch B.J. selbst<br />

unterstützt fühle. Dies betrifft sowohl mein Traditionskonzept<br />

allgemein (J. 431f.), wie die Anerkennung der von mir notierten<br />

langlebigen Fehlentwicklungen auch in kirchlichen Traditionen<br />

(Beispiel: Ketzerverbrennung), wie auch die damit verbundene<br />

unvermeidbare Kritik an bestimmten Aspekten des römisch-katholischen<br />

Traditionsmodells (J. 447f.). Schließlich ist das Traditionsmodell,<br />

das B.J. vorstellt, alles andere als kritikloser<br />

Traditionalismus; vielmehr gehören Kritik und Korrekturoffenheit<br />

nach seiner Auffassung zur Tradition selbst hinzu.

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