Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia
Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia
Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
THERAPEUTISCHE BEICHTPRAXIS 25<br />
diesem Gedanken läßt sich ein Echo des großen Anliegens des<br />
eifrigsten Kirchenlehrers vernehmen, dem besonders stark am<br />
Herzen lag, daß sich jeder Pönitent mit seiner Schuld im<br />
unermeßlichen Meere des göttlichen Erbarmens eingetaucht<br />
sieht.<br />
Man weiß aus der Erfahrung, daß es den Menschen sehr<br />
schwer fällt, von seinen gelungenen oder mißglückten<br />
Lebensentscheidungen kurz und bündig zu sprechen. Um sich<br />
selbst genauer wahrzunehmen und seine Schuld in allen<br />
Zusammenhängen auszudrücken, braucht der Beichtende<br />
entsprechend genug Zeit. Dafür setzte sich schon der Heilige<br />
Alphons ein, dem wichtig war, daß der Pönitent nicht nur die<br />
Sünden der Reihe nach ausspreche, sondern auch von seinen<br />
Lebensumständen erzähle, damit es dem Beichtvater leichter ist,<br />
die für ihn richtigen Heilmittel vorzuschreiben. Der Unterschied<br />
zwischen damals und heute besteht eigentlich nur darin, daß es<br />
dem Heiligen mehr darum ging, daß der Priester den vor ihm<br />
knienden Sünder besser versteht; in unserer Zeit handelt es sich<br />
wieder mehr darum, daß der beichtende Mensch nicht nur auf<br />
die Sünden seinen Blick richte, sondern daß er auch die<br />
Ursachen seiner bösen Taten wahrnehme, die im Bereich seiner<br />
bisherigen Lebensgeschichte, der unbewußten Bedürfnisse oder<br />
innerlichen Verletzungen zu finden sind.<br />
Schuldgefühle versetzen den Menschen in Angst und<br />
machen ihn stumm. Deshalb muß der Seelsorger seinem<br />
Pönitenten genügend Zeit lassen, damit er sich aussprechen<br />
kann. Ein umfangreicher Zeitraum hilft dem Menschen sich mit<br />
der ganzen Situation des Beichtgesprächs vertraut zu machen<br />
und über seine Probleme offen zu sprechen. Man braucht auch<br />
Zeit, um sich seinen ganzen, oft sehr komplizierten Zustand<br />
bewußt zu machen und bis zu den Wurzeln der falschen<br />
ethischen Entscheidungen vorzudringen. Bei der Beichte geht es<br />
nicht nur darum, daß man sich auf das Sündenbekenntnis<br />
beschränkt, sondern daß man auch seinem wahren Ich begegnet<br />
und seine bisher unbekannte, unterdrückte Bereiche der<br />
inneren Welt enthüllt. All das erinnert an die Hinweise des<br />
Heiligen Alphons, der von den Beichtvätern verlangte, den<br />
Pönitenten seine Zeit großzügig zur Verfügung zu stellen.<br />
Jeder Mensch fürchtet sich vor der Strafe. Dieses Gefühl<br />
kann nur gemindert oder sogar überwunden werden, wenn der