Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

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05.11.2014 Views

16 RYSZARD HAJDUK mit Gottes Gnade zur Vollkommenheit gelangen kann, weil jeder unabhängig von seiner Ausbildung und seinem materiellen Zustand Gott und den Nächsten lieben kann 41 . Dieses immense Vertrauen auf den Menschen und seine Möglichkeiten muß in der konkreten seelsorglichen Tätigkeit zum Zuge kommen, damit das menschliche Herz von der Sehnsucht nach der Vollkommenheit und von einem auf die immerwährende Liebe Gottes begründeten Selbstvertrauen erfüllt wird. Erst auf dieser Basis wird der Prozeß des Heil- und Heiligwerdens im Innern des Menschen voll in Gang gesetzt. 2.2. Verstehen und verständnisvoll mit dem Menschen umgehen Ein sich therapeutisch verhaltender Beichtvater muß viel Verständniss für die Beichtenden haben und um die ihnen angstmachenden Faktoren wissen, die beim Vollzug der Beichte vorkommen können. Aus diesem Grunde warnt Alphons die beichthörenden Priester vor den Konsequenzen der rücksichtlosen Zurückweisung der Sünder wegen der mangelnden Gewissenserforschung; denn er weiß, welche negative Gefühle bezüglich des Bußsakramentes im menschlichen Herzen auftauchen können, wenn der Beichtvater einen Menschen entläßt. Hinsichtlich der Gefahr, daß der vom Beichtvater entlassene Mensch nicht mehr beichten will, empfiehlt der Verfasser seinen Brüdern im Priesteramt, daß sie sich am Anfang mit einem herzlichen Zuspruch an die Beichtenden wenden und ihnen Mut machen, ihre Schuld aufrichtig zu bekennen. Zugleich sollen sie auch ihre Pönitenten vergewissern, daß sie ihre Scham und ihre Hemmungen gut verstehen 42 . Nach dem Heiligen Alphons handelt der Beichtvater unvernünftig, wenn er den sich zu seiner Schuld bekennenden Menschen mit scharfen Bemerkungen unterbricht. Ein solches Verhalten kann nämlich dazu führen, daß der erschrockene 41 S.Majorano, Essere Chiesa con gli abbandonati. Prospettive alfonsiane di vita christiana, Materdomini 1997, 42. 42 Praxis confessarii, Cap. I,3, 754.

THERAPEUTISCHE BEICHTPRAXIS 17 Pönitent aus Angst eine schwere Sünde nicht ausspricht. Zurechtweisende Worte dürfen aus dem Munde des Priesters nur dann fließen, wenn ein Beichtender seine Schuld ohne die geringste Abscheu bekennt. Aber auch in diesem Fall muß ihm der Beichtvater gleich liebevoll Mut zusprechen, damit er seine Sünden aufrichtig bekenne. Um den Menschen und seinen seelischen Zustand in seiner ganzen Komplexizität zu verstehen, muß der Beichtvater die Ursachen und Umstände seiner ethischen Fehlentscheidungen kennenlernen. Deshalb fragt ein guter Priester nicht nur nach der Gattung und der Zahl der Sünden, um dann dementsprechend den Beichtenden loszusprechen oder zu entlassen (ein in dieser Weise handelnder Priester würde sich sicherlich in erster Linie für einen Richter halten). Indem er aber seine Fragen stellt, will er sich die Motive und Umstände der sündigen Taten des Beichtenden bewußt machen 43 . Ein solches Handeln des Beichtvaters läßt sich mit dem eines Arztes vergleichen, der nur heilen kann, wenn er den Ursprung und die Ursachen der Krankheit genau ergründet hat 44 . Der beichthörende Priester soll als Vater den Pönitenten voll Liebe anhören und als Arzt, soweit es nötig ist, ihn ermahnen und zurechtweisen 45 . Diese Haltung steht dem Beichtvater zweifellos zu; denn auch ein guter Arzt läßt seine Patienten nicht ohne Warnungen und Anweisungen gehen, die ihnen erfolgreich helfen, die Gesundheit zu verbessern und zu erhalten. Jedoch müssen die Ratschläge, die er gibt, dem Zustand und den Verbesserungsmöglichkeiten des einzelnen entsprechen. So verhält sich auch ein verständnisvoller Beichtvater, der seinem Pönitenten nur eine Buße auferlegt, die weder seine körperlichen noch seelischen Kräfte überfordert, sondern viel mehr darauf abgestimmt ist. Alphons weiß, daß keine Therapie möglich ist, bevor die Krankheit nicht erkannt und nach ihren Ursachen untersucht wird. Im Beichtstuhl kann sie nur begonnen werden, wenn der Beichtende einem hörbereiten und verständnisvollen Priester 43 Ibid., Cap. I,20, 763-764. 44 Ibid., Cap. I,6, 755-756. 45 Ibid., Cap. I,7, 756.

THERAPEUTISCHE BEICHTPRAXIS 17<br />

Pönitent aus Angst eine schwere Sünde nicht ausspricht.<br />

Zurechtweisende Worte dürfen aus dem Munde des Priesters<br />

nur dann fließen, wenn ein Beichtender seine Schuld ohne die<br />

geringste Abscheu bekennt. Aber auch in diesem Fall muß ihm<br />

der Beichtvater gleich liebevoll Mut zusprechen, damit er seine<br />

Sünden aufrichtig bekenne.<br />

Um den Menschen und seinen seelischen Zustand in seiner<br />

ganzen Komplexizität zu verstehen, muß der Beichtvater die<br />

Ursachen und Umstände seiner ethischen Fehlentscheidungen<br />

kennenlernen. Deshalb fragt ein guter Priester nicht nur nach<br />

der Gattung und der Zahl der Sünden, um dann<br />

dementsprechend den Beichtenden loszusprechen oder zu<br />

entlassen (ein in dieser Weise handelnder Priester würde sich<br />

sicherlich in erster Linie für einen Richter halten). Indem er<br />

aber seine Fragen stellt, will er sich die Motive und Umstände<br />

der sündigen Taten des Beichtenden bewußt machen 43 . Ein<br />

solches Handeln des Beichtvaters läßt sich mit dem eines Arztes<br />

vergleichen, der nur heilen kann, wenn er den Ursprung und die<br />

Ursachen der Krankheit genau ergründet hat 44 .<br />

Der beichthörende Priester soll als Vater den Pönitenten voll<br />

Liebe anhören und als Arzt, soweit es nötig ist, ihn ermahnen<br />

und zurechtweisen 45 . Diese Haltung steht dem Beichtvater<br />

zweifellos zu; denn auch ein guter Arzt läßt seine Patienten nicht<br />

ohne Warnungen und Anweisungen gehen, die ihnen erfolgreich<br />

helfen, die Gesundheit zu verbessern und zu erhalten. Jedoch<br />

müssen die Ratschläge, die er gibt, dem Zustand und den<br />

Verbesserungsmöglichkeiten des einzelnen entsprechen. So<br />

verhält sich auch ein verständnisvoller Beichtvater, der seinem<br />

Pönitenten nur eine Buße auferlegt, die weder seine<br />

körperlichen noch seelischen Kräfte überfordert, sondern viel<br />

mehr darauf abgestimmt ist.<br />

Alphons weiß, daß keine Therapie möglich ist, bevor die<br />

Krankheit nicht erkannt und nach ihren Ursachen untersucht<br />

wird. Im Beichtstuhl kann sie nur begonnen werden, wenn der<br />

Beichtende einem hörbereiten und verständnisvollen Priester<br />

43<br />

Ibid., Cap. I,20, 763-764.<br />

44<br />

Ibid., Cap. I,6, 755-756.<br />

45<br />

Ibid., Cap. I,7, 756.

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