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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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„Vom Weißdorn und vom Propheten“ – Poetische Kunstwerke und<br />

Wittgenste<strong>in</strong>s „Fluß des Lebens“<br />

Annelore Mayer, Baden, Österreich<br />

„Das uhl<strong>and</strong>sche Gedicht ist wirklich großartig. Und es ist<br />

so: Wenn man sich nicht bemüht das Unaussprechliche<br />

auszusprechen, so geht nichts verloren. Sondern das<br />

Unaussprechliche ist, - unaussprechlich – <strong>in</strong> dem Ausgesprochenen<br />

enthalten.“ (Engelmann S 78). Das Gedicht,<br />

zu welchem Wittgenste<strong>in</strong> sich hier äußert, ist die aus 7<br />

Strophen zu je 4 Zeilen bestehende Ballade „Graf<br />

Eberhards Weißdorn“ von Ludwig Uhll<strong>and</strong> (1787-1862).<br />

Die „H<strong>and</strong>lung“ ist rasch erzählt: Graf Eberhard „vom<br />

Württemberger L<strong>and</strong>“ schneidet sich auf „frommer Fahrt“<br />

nach Paläst<strong>in</strong>a <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dortigen Wald e<strong>in</strong> „grünes Reis<br />

von e<strong>in</strong>em Weißdorn“ ab, welches er nach vollbrachten<br />

Taten mit nach Hause nimmt. Dort grünt es und wird zum<br />

stattlichen Gewächs, unter dessen „Wölbung“ der Ritter<br />

gegen Ende se<strong>in</strong>es Lebens sitzt und gleichsam wie im<br />

Traum der Zeit gedenkt, als er das Reis gebrochen hatte.<br />

Der Dichter schildert hier weniger e<strong>in</strong> „Geschehen“, als<br />

vielmehr zwei <strong>in</strong> der Person des Grafen <strong>in</strong>e<strong>in</strong><strong>and</strong>er<br />

verwobene Zustände: jenen der Jugend und jenen des<br />

Greises. Die nach außenh<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>bar volksliedhaftschlicht<br />

ersche<strong>in</strong>ende Form beruht auf e<strong>in</strong>er sehr subtilen<br />

Gestaltung. Das Gedicht hat 7 Strophen. Der Mittleren, <strong>in</strong><br />

welcher die Heimkehr Eberhards mit dem Weißdornreis<br />

geschildert wird, kommt e<strong>in</strong>e besondere Funktion zu, als<br />

dort nämlich die beiden Zustände <strong>in</strong>e<strong>in</strong><strong>and</strong>er übergeführt<br />

werden. Im weiteren Verlauf bezieht der Dichter die nun<br />

folgende 5. Strophe <strong>in</strong>haltlich auf die 3., des Weiteren die<br />

6. auf die 2. und letztendlich die 7. auf die 1.. Konkretisiert<br />

wird diese Bezugnahme durch die Schlussworte:<br />

210<br />

„Die Wölbung hoch und breit,<br />

Mit sanftem Rauschen mahnt<br />

Ihn an die alte Zeit<br />

Und an das ferne L<strong>and</strong>.“<br />

In dem, was dem Grafen gegen Ende se<strong>in</strong>es Lebens nahe<br />

ist, nämlich im mittlerweile zur „Wölbung“ ausgewachsenen<br />

Weißdorn, evidiert sich demnach für ihn das nunmehr<br />

zeitlich Ferne und dieses ist somit durch das, was ihm jetzt<br />

nahe ist, auch selbst wieder nahe.<br />

Es kann dieses Gedicht durchaus verst<strong>and</strong>en<br />

werden als e<strong>in</strong> ganz bestimmter „Fluß des Lebens“, <strong>in</strong><br />

welchem „die Worte ihre Bedeutung haben“ (Wittgenste<strong>in</strong><br />

1984, 913). Es ist diese Bedeutung als e<strong>in</strong>e anzusehen,<br />

welche über e<strong>in</strong>e solche auf dem den re<strong>in</strong>en lexikalischen<br />

Gehalt beruhende weit h<strong>in</strong>ausgeht. Mit allen gebrauchten<br />

Wörtern – also mit dem kompletten Gedicht – zielt Uhl<strong>and</strong><br />

auf mehr denn auf e<strong>in</strong> Verständnis der e<strong>in</strong>zelnen durch die<br />

Wörter ausgesprochenen Begriffe. Das Gedicht fasst diese<br />

Begriffe gewissermaßen als e<strong>in</strong>e „Gesam<strong>the</strong>it der Tatsachen“<br />

zusammen, so dass sie <strong>in</strong> dieser Gesam<strong>the</strong>it und<br />

als solche e<strong>in</strong>e eigene Tatsache ergeben, als welche das<br />

von Uhl<strong>and</strong> beschriebene <strong>in</strong>e<strong>in</strong><strong>and</strong>er Übergehen der von<br />

Eberhard gerade zum Zeitpunkt der Beschreibung<br />

erfahrenen und bedachten Lebenszustände des Greisen–<br />

und Jugendalters bezeichnet werden darf. Und so kann<br />

vielleicht doch gesagt werden, dass die Wörter nur <strong>in</strong> der<br />

durch den Dichter gegebenen Form des ganzen Gedichtes<br />

mit se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Bezügen zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Strophen ihrer Funktion für die Erreichung dieser „Tatsache<br />

als Gesam<strong>the</strong>it der Tatsachen“ – nämlich der im<br />

Gedicht erwähnten, wie etwa „Eberhard“ oder „Weißdorn“<br />

– gerecht werden können. In diesem S<strong>in</strong>ne ist dieses<br />

Gedicht nun auch selbst „Welt“, wenn man diese nämlich<br />

mit Wittgenste<strong>in</strong> als „die Gesam<strong>the</strong>it der Tatsachen“<br />

begreift (Wittgenste<strong>in</strong> 1984, 1.1., S 11). In dieser Welt gibt<br />

es das „Aussprechliche“, worunter der re<strong>in</strong> lexikalische<br />

Gehalt e<strong>in</strong>es Wortes verst<strong>and</strong>en werden kann. So ist<br />

beispielsweise der im Gedicht so wesentliche Weißdorn<br />

e<strong>in</strong>e genau def<strong>in</strong>ierte „Tatsache“ der Welt <strong>in</strong> deren<br />

Unterordnung „Pflanzenwelt“, für dessen wissenschaftliche<br />

Erkenntlichmachung und Beschreibung die Botanik das<br />

late<strong>in</strong>ische Wort „Crataegus“ verwendet. Es steht außer<br />

Zweifel, dass mit dieser re<strong>in</strong> lexikalischen Bedeutung auch<br />

im Gedicht etwas gesagt wird. Das „Weiße“ und das<br />

„Dornige“, durch welches sich diese Pflanze auszeichnet<br />

macht sie selbst als die bestimmte Tatsache „Weißdorn“<br />

erkennbar. Gerade <strong>in</strong> diesen Bestimm<strong>the</strong>iten mag auch<br />

Uhl<strong>and</strong> den Grund gesehen haben, diese Pflanze als e<strong>in</strong><br />

Medium se<strong>in</strong>es Gedichtes erkoren zu haben. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

eben nur als „Medium“, als Mittel, welches die Annäherung<br />

an etwas Anderes, ja, vielleicht sogar die H<strong>and</strong>habung<br />

dieses „Anderen“ ermöglicht. „Es gibt allerd<strong>in</strong>gs<br />

Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“<br />

(Wittgenste<strong>in</strong> 1984, 6.522, S 85). Gemäß dieser<br />

wittgenste<strong>in</strong>’schen Feststellung kann das Wort „Weißdorn“<br />

– und zwar notwendigerweise im Kontext mit se<strong>in</strong>er lexikalisch-botanischen<br />

Bedeutung – <strong>in</strong> jenem uhl<strong>and</strong>’schen<br />

Gedicht als def<strong>in</strong>itorischer Teil der „Gesam<strong>the</strong>it der<br />

Tatsachen des an sich Unaussprechlichen“ <strong>in</strong> jenem<br />

Gedicht angesehen werden. Das Unaussprechliche ist ja<br />

nicht das, was durch die Wörter „erzählt“ wird – also die<br />

Fahrt des Grafen Eberhard nach Paläst<strong>in</strong>a, das Ausgraben<br />

des Weißdornreises und dessen Wiederanpflanzung <strong>in</strong> der<br />

württembergischen Heimat, etc. – sondern das, was formal<br />

durch die Hervorhebung der 4. Strophe und der nachfolgenden<br />

Verklammerung der weiteren mit den ersten drei<br />

Strophen bewerkstelligt wird und so zur Evidenz geführt<br />

werden soll. Es ist dies tatsächlich das Unaussprechliche,<br />

weil es e<strong>in</strong>e „Gesam<strong>the</strong>it von Tatsachen“ –und zwar von<br />

aussprechlichen solchen - ist, die so <strong>in</strong>e<strong>in</strong><strong>and</strong>er verwoben<br />

wurden, dass sie im E<strong>in</strong>zelnen nicht mehr ausgesprochen<br />

werden können. Demnach ist auch die kunstvolle formale<br />

Gestaltung dieser Ballade e<strong>in</strong> Medium der Evidenzialisierung<br />

dieses Unaussprechlichen. Durch Uhl<strong>and</strong>s<br />

poetisch-formale Bemühungen ist es aber auch „ausgesprochen“<br />

und es ist ihm dabei tatsächlich nichts verloren<br />

gegangen, wie Wittgenste<strong>in</strong> doch richtig festgestellt hat.<br />

Und so gesehen ist das uhl<strong>and</strong>sche Gedicht wirklich<br />

großartig, weil es <strong>in</strong> der Gesam<strong>the</strong>it se<strong>in</strong>er Struktur eben<br />

nichts weniger ist als e<strong>in</strong> „Fluß des Lebens“, <strong>in</strong> welchem<br />

den verwendeten Wörtern die Bedeutung zukommt, im<br />

Ausgesprochenwerden etwas Unaussprechliches h<strong>and</strong>habbar<br />

zu machen.<br />

E<strong>in</strong>en vielleicht noch extremeren Fall als Uhl<strong>and</strong>s<br />

Ballade stellt das Gedicht „Пророк“ („Der Prophet“) von<br />

Aleks<strong>and</strong>r Sergeevič Pušk<strong>in</strong> (1799-1837) dar. Wittgenste<strong>in</strong><br />

hat dieses Gedicht eigenhändig <strong>in</strong> russischer Sprache und<br />

<strong>in</strong> kyrillischer Schrift abgeschrieben (s.: Rothaupt, S 278).<br />

Der Dichter schildert dar<strong>in</strong> die Berufung des Jesaja zum<br />

Propheten, genauer eigentlich die W<strong>and</strong>lung und somit<br />

Werdung zum Propheten, ausgehend von jenem Bericht,<br />

den der Berufene selbst im 6. Kapitel se<strong>in</strong>es zu den<br />

wesentlichen prophetischen Schriften des aus christlicher

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