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Bulletin de liaison et d'information - Institut kurde de Paris

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Kampf türkischer Intellektueller gegen <strong>de</strong>n Staat<br />

Prozess gegen <strong>de</strong>n Autor Yasar Kemal<br />

Am Freitag hat im Istanbuler Staatssicherheitsgericht <strong>de</strong>r Prozess gegen <strong>de</strong>n Schriftsteller<br />

Yasar Kenial begonnen. Er wird wegen eines in einem <strong>de</strong>utschen Magazin veröffentlichten<br />

Artikels <strong>de</strong>s Separatismus angeklagt. Das Verfahren gegen <strong>de</strong>n V<strong>et</strong>eranen <strong>de</strong>r türkischen<br />

Literatur hat in <strong>de</strong>r Türkei eine enorme Protestbewegung ausgelöst. Hun<strong>de</strong>rte von Intellektuellen<br />

beschuldigten sich vor Son<strong>de</strong>rgerichten .. separatistische Propaganda zu b<strong>et</strong>reiben.<br />

"<br />

it. istanbul.<br />

5. Mai<br />

Der bekannte, wegen seiner bissigen Satire<br />

auch gefùrcht<strong>et</strong>e türkische Autor Aziz Nesin ist<br />

am Mittwoch vor <strong>de</strong>m Staatssicherheitsgericht in<br />

Istanbul erschienen. Dem Staatsanwalt dieses<br />

halb militärisch und halb zivil bes<strong>et</strong>zten Son<strong>de</strong>rgerichtes<br />

erklärte <strong>de</strong>r greise, zerbrechliche Autor,<br />

er habe willentlich «separatistische Propaganda»<br />

b<strong>et</strong>rieben. Rund zwanzig teils bekannte, teils<br />

weniger bekannte Literaten, die sich am Mittwoch<br />

im kleinen Hof <strong>de</strong>s Gerichtes eingefun<strong>de</strong>n hatten,<br />

sind <strong>de</strong>m Beispiel Nesins gefolgt. Der Wortlaut<br />

ihrer Selbst<strong>de</strong>nunziationen war meist karg und in<br />

<strong>de</strong>r Aussage ähnlich. Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Selbstankläger be- ,<br />

zeugte, er habe aus eigenem Willen gegen <strong>de</strong>n<br />

Separatismus-Artikel <strong>de</strong>s Antiterrorges<strong>et</strong>zes ver-,<br />

stassen und sei sich seiner Schuld bewusst. Weitere<br />

Aussagen wur<strong>de</strong>n verweigert.<br />

Massenbewegung'<br />

Dieser Vorgang spielt sich vor <strong>de</strong>n Staatssicherheitsgerichten<br />

von Istanbul und Ankara und<br />

an<strong>de</strong>ren türkischen Grossstädten seit Mitte März<br />

täglich ab. Dabei wer<strong>de</strong>n die Wochentage je nach<br />

Berufsgruppen <strong>de</strong>r Selbstankläger aufg<strong>et</strong>eilt. Mittwoch<br />

dieser Woche war Tag <strong>de</strong>r Schriftsteller,<br />

Donnerstag galt als <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r Schauspieler. Bisher<br />

haben sich I:Und200 Intellektuelle <strong>de</strong>r Separatismus-Propaganda<br />

selbst beschuldigt. Einige<br />

Tausend mehr warten darauf, ihre Schuldbekenntnisse<br />

abzulegen. Die Bewegung <strong>de</strong>r Selbstankläger<br />

könnte allein. schon wegen ihres Ausrnasses<br />

<strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r Sond~rgerichte sprengen.<br />

Die Protestbewegung <strong>de</strong>r türkischen Intellektuellen<br />

hat sich laut ihrem Sprecher, Sanar Yurdatapan,<br />

En<strong>de</strong> Januar formiert. Damal~ wur<strong>de</strong><br />

Yasar Kemal vom Staatsanwalt wegen emes von<br />

ihm verfassten, im <strong>de</strong>utschen Magazin «Der Spiegel»<br />

erschienenen Berichts vorgela<strong>de</strong>n. Unter<br />

<strong>de</strong>m Titel «Feldzug <strong>de</strong>r Lügen» hatte Kemal über<br />

die Verfolgung <strong>de</strong>r Kur<strong>de</strong>n und die ~issachte~en<br />

Menschenrechte, über <strong>de</strong>n schmutzIgen Krieg<br />

und <strong>de</strong>n hohen Blutzoll in Südostanatolien bericht<strong>et</strong>.<br />

«Wir in <strong>de</strong>r Türkei sollten immer daran<br />

<strong>de</strong>nken, dass <strong>de</strong>r Weg zu einer echten Demokratie<br />

nur über die friedliche Lösung <strong>de</strong>r Kur<strong>de</strong>nfrage<br />

führt», laut<strong>et</strong>e sein Fazit. Die Anklage gegen<br />

Kemal hat die von einer oft fast grenzenlosen Ge-'<br />

duld gegenüber Interventionen <strong>de</strong>s Staates gezeichn<strong>et</strong>e<br />

Welt türkischer Intellektueller erschüttert.<br />

Das Staatssicherheitsgericht in Istanbul hat am<br />

Freitag nach einer Anhörung Kemals <strong>de</strong>n Prozess<br />

auf <strong>de</strong>n 12. Juni vertagt, um eine bessere Übers<strong>et</strong>-<br />

'zuog <strong>de</strong>s kritisierten Artikels zu beschaffen. Der<br />

72jährige Kemal prägte mît seinen Romanen und<br />

Erzählungen über Anatolien die jüngere Generationen<br />

<strong>de</strong>r türkischen Literaten. Der Prozess<br />

gegen ihn wur<strong>de</strong> plötzlich zum Symbol <strong>de</strong>s<br />

Kampfes fùr Meinungsfreiheit. Achtzig Intellektuelle<br />

teilten im Januar öffentlich mit, wenn<br />

Kemals Artikel ein Verbrechen gegen '<strong>de</strong>n Staat<br />

sei, so seien sie <strong>de</strong>sselben Verbrechens schuldig.<br />

In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Monaten schlossen sich <strong>de</strong>r<br />

Bewegung mehrere hun<strong>de</strong>rt Intellektuelle aus<br />

<strong>de</strong>m ganzen Land an. Das führte dazu, dass im<br />

März ein Buch unter <strong>de</strong>m Titel «Gedankenfreiheib><br />

von <strong>de</strong>n Oppositionellen veröffentlicht<br />

wur<strong>de</strong>. Darin erscheinen Texte von Intellektuellen<br />

wie Haluk Gerger, Fikr<strong>et</strong> Baskaya und Ismail Be-,<br />

sikci, die weg~n wissenschaftlicher Arbeiten o<strong>de</strong>r<br />

öffentlicher Ausserungen noch immer in Haft<br />

sind. Auch Texte <strong>de</strong>r Journalisten Günay AsIan<br />

und Oral Calislar, die wegen ihrer Berichterstattung<br />

verurteilt wur<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Buch<br />

publiziert ..Weil das Ges<strong>et</strong>z für Verleger «separatistischer<br />

Schriften» gleich hohe Strafen wie für<br />

<strong>de</strong>ren Autoren vorsieht, haben sich 1080 Intellektuelle<br />

im Buch als Verleger eing<strong>et</strong>ragen. In einer<br />

zweiten Auflage haben sich bereits über 15 000<br />

Personen als Verleger eing<strong>et</strong>ragen. Wer<strong>de</strong>n nun<br />

die Son<strong>de</strong>rgerichte gegen alle diese Intellektuellen<br />

Verfahren einleiten?<br />

Umstrittenes<br />

Ges<strong>et</strong>z<br />

Rein formell sollte dies <strong>de</strong>r Fall sein. Artikel 8<br />

<strong>de</strong>s Antiterrorges<strong>et</strong>zes schreibt unmissverständlich<br />

vor, dass «geschriebene o<strong>de</strong>r verbale Propaganda,<br />

welche die unteilbare Einheit <strong>de</strong>s Staates<br />

<strong>de</strong>r türkischen Republik zu schädigen tracht<strong>et</strong> ...<br />

verboten ist, ungeacht<strong>et</strong> davon, mit welchen<br />

M<strong>et</strong>ho<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Absichten sie b<strong>et</strong>rieben wur<strong>de</strong>».<br />

Auf Grund dieses Artikels sind bereits über 100<br />

Intellektuelle verurteilt wor<strong>de</strong>n. Auch die Verurteilung<br />

Kemals gilt als sicher. Sollten die Justizbehör<strong>de</strong>n<br />

auf einer konsequenten Linie beharren,<br />

müssten sie die 15 000 Intellektuellen verurteilen.<br />

Als Ausweg bleibt nur eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Antiterrorges<strong>et</strong>zes.<br />

Vor zwei Monaten, zu Zeiten <strong>de</strong>r Unterzeichnung<br />

<strong>de</strong>s Abkommens über eine Zollunion zwischen<br />

<strong>de</strong>r EU und Ankara, hatte die Regierungschefin<br />

Ciller ihren europäischen Amtskollegen<br />

eine entsprechen<strong>de</strong> Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s umstrittenen<br />

Ges<strong>et</strong>zesartikels versprochen. Das Europaparlament<br />

sowie <strong>de</strong>r Europarat haben die Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Beziehungen mit <strong>de</strong>r Türkei von <strong>de</strong>r Annullierung<br />

dieses Ges<strong>et</strong>zes abhängig gemacht.<br />

Frau Ciller scheint mittlerweile von diesem Ziel<br />

aber abgekommen zu sein. Zu gross ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand<br />

in <strong>de</strong>n Kreisen <strong>de</strong>r Armee, in ihrer eigenen<br />

Partei und in <strong>de</strong>r Opposition. Gegen eine Abschwächung<br />

<strong>de</strong>s Artikels 8 hat sich aber am<br />

schärfsten <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt Demirel gewen<strong>de</strong>t. In<br />

einer feurigen Re<strong>de</strong> erklärte er, <strong>de</strong>r Westen wünsche<br />

keine starke Türkei. Während die westlichen<br />

Regierungen von Achtung<strong>de</strong>r Menschenrechte,<br />

Demokratisierung in <strong>de</strong>r Türkei und von einer<br />

politischen Lösung <strong>de</strong>r Kur<strong>de</strong>nfrage sprächen,<br />

tracht<strong>et</strong>en sie in Wirklichkeit danach, die Türkei<br />

zu spalten und einen Kur<strong>de</strong>nstaat zu grün<strong>de</strong>n.<br />

Für die Intellektuellen <strong>de</strong>r Bewegung für Meinungsfreiheit<br />

hatte <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt lediglich Verachtun~<br />

übri~. Er nannte sie kurz Vaterlandsverräter.<br />

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