Reise_in_die_Unterwelt.pdf
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Hey!<br />
Wenn du denkst, das hier ist e<strong>in</strong> st<strong>in</strong>knormales<br />
Badezimmer, hast du dich aber geschnitten.<br />
Das ist me<strong>in</strong> Künstleratelier und zwar e<strong>in</strong><br />
besonderes. Wieso?<br />
Es hat e<strong>in</strong>en direkten E<strong>in</strong>gang zur <strong>Unterwelt</strong>.<br />
Wie ich das ’rausgefunden habe?<br />
Das ist e<strong>in</strong>e spannende<br />
Geschichte.<br />
Sie handelt von e<strong>in</strong>em<br />
Rasierp<strong>in</strong>sel.<br />
E<strong>in</strong>em verschwundenen Rasierp<strong>in</strong>sel. Und wie alle<br />
guten Geschichten fängt auch <strong>die</strong>se mit e<strong>in</strong>em<br />
Unglück an. Jedenfalls roch am Anfang alles verschärft<br />
nach Ärger.<br />
Mächtigem Ärger. Sturmstärke zwölf.<br />
Übrigens, ich heiße Klärchen. Und wenn man so heißt, hat man natürlich alles fest im Griff.<br />
Ist doch klaro. Dachte ich jedenfalls.
Also, gerade hatte<br />
ich mit dem<br />
Rasierp<strong>in</strong>sel noch<br />
e<strong>in</strong>en blauen Himmel<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong> Bild<br />
gemalt, da rutschte<br />
ich doch auf so<br />
e<strong>in</strong>er blöden Farbpfütze<br />
aus.<br />
Start frei und<br />
Abflug von der<br />
Palette direkt <strong>in</strong>s<br />
Klo: Farbe, Muttis<br />
Nagellack, mit dem<br />
ich <strong>die</strong> Blumen<br />
gemalt hab’ und<br />
natürlich der<br />
Rasierp<strong>in</strong>sel h<strong>in</strong>terher.<br />
Nagellack wäre ja nicht so aufgefallen, und <strong>die</strong><br />
Farbtuben waren fast aufgebraucht, aber <strong>die</strong>ser<br />
P<strong>in</strong>sel!<br />
Ist so e<strong>in</strong>er mit ’nem vergoldeten Griff. Ziemlich<br />
albern. Jedenfalls ist me<strong>in</strong> Vater ganz stolz darauf.<br />
Und jetzt? Wo sollte ich so mir nichts, dir nichts<br />
e<strong>in</strong>en Rasierp<strong>in</strong>sel mit goldenem Griff her bekommen?<br />
Unmöglich. Letzter Rettungsversuch: Ich<br />
drückte auf <strong>die</strong> Spülung, weil ich dachte, vielleicht<br />
ist er e<strong>in</strong> guter Schwimmer und taucht wieder auf.<br />
Kamen aber nur Blasen.<br />
Ich hatte mich schon fast auf e<strong>in</strong>e Woche Fernsehverbot e<strong>in</strong>gestellt, null Taschengeld und um<br />
sieben Uhr <strong>in</strong>s Bett.<br />
Aber ich b<strong>in</strong> ja nicht blöd. Irgendwo musste <strong>die</strong>ser P<strong>in</strong>sel doch stecken.
Irgendwo da unten musste er se<strong>in</strong>. Dort, wo das<br />
Wasser abfließt. Verschw<strong>in</strong>det ja nicht e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Loch.<br />
Und weil ich schlecht durch das Klo h<strong>in</strong>terhertauchen<br />
konnte, auf zum nächsten Gully.<br />
Meier aus dem zweiten Stock war wieder am Autowaschen.<br />
Macht er jede Woche. Irgendwie krank.<br />
„So viel Schaum für e<strong>in</strong> so kle<strong>in</strong>es Auto.“<br />
„Was geht dich das an?“<br />
Tolle Antwort. Klarer Fall von:<br />
Mir fällt nichts mehr e<strong>in</strong>.<br />
Dass überhaupt noch Lack auf dem Wagen ist,<br />
wundert mich. Müsste ja eigentlich schon das Blech<br />
durchglänzen.<br />
Und dann <strong>die</strong>ser viele Schaum. Versickerte der<br />
e<strong>in</strong>fach im Boden?<br />
Was wohl <strong>die</strong> Blumen damit anfangen?<br />
Denen tränen doch<br />
bestimmt <strong>die</strong> Augen.<br />
Oder putzen <strong>die</strong> Bäume<br />
sich damit <strong>die</strong><br />
Wurzeln?<br />
Ach ne. Der ganze<br />
Schaum floss ja <strong>in</strong>s<br />
Abwasser. Und e<strong>in</strong>es war<br />
absolut klaro. Wo das<br />
Abwasser landet,<br />
da schwamm er h<strong>in</strong>,<br />
me<strong>in</strong> P<strong>in</strong>sel,<br />
...äh Vatis P<strong>in</strong>sel.
Nichts wie h<strong>in</strong>terher! Merkwürdig: Alle Gullys waren geöffnet.<br />
Als ich h<strong>in</strong>unter schaute, wabberte der ganze Schaum von<br />
Meiers Autowäsche vorbei. Mittendr<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Farbklecks. Das konnte<br />
gut Muttis Nagellack se<strong>in</strong>. Marke „Kirschtraum“. Schwamm e<strong>in</strong>fach<br />
so davon.<br />
Trieb das ganze Zeug eigentlich <strong>in</strong> den Fluss? Wäre ja ganz praktisch,<br />
dachte ich, können sich <strong>die</strong> Fische <strong>die</strong> Schuppen schamponieren.<br />
Und dann schwamm er plötzlich vorbei: Vatis Rasierp<strong>in</strong>sel!<br />
Der vergoldete Griff glitzerte aus dem Schaum. Na warte. Am<br />
nächsten Gullydeckel<br />
wollte ich ihn erwischen.<br />
Aber statt des P<strong>in</strong>sels<br />
tauchte da plötzlich e<strong>in</strong><br />
Monster auf.<br />
damit paddelte e<strong>in</strong><br />
Me<strong>in</strong>e Güte, das Vieh<br />
Mann durch den Kanal.<br />
hatte ja richtig Schaum<br />
Als er mich sah,<br />
vor dem Mund.<br />
wurde er gleich sauer.<br />
Schwups, da klatschte<br />
„Mach, dass du da<br />
doch der Nagellack<br />
wegkommst. Das ist<br />
gegen se<strong>in</strong>e Schnauze.<br />
gefährlich.<br />
Sah aus, als wollte es<br />
Hast du <strong>die</strong> Absperrung<br />
sich <strong>die</strong> Lippen anmalen.<br />
nicht gesehen?“<br />
Ne<strong>in</strong>, das war ke<strong>in</strong><br />
Klar, Klärchen ist doch<br />
Monster. Höchstens e<strong>in</strong><br />
nicht blöde. Kann ja<br />
Gummimonster. Es war<br />
nicht jeder e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong> Schlauchboot, und<br />
<strong>die</strong> Kanalisation e<strong>in</strong>steigen,<br />
aber hier<br />
g<strong>in</strong>g es schließlich<br />
um me<strong>in</strong>en Wolken-<br />
Mal-P<strong>in</strong>sel. Na ja ...<br />
und um Fernsehverbot.<br />
„Haben Sie e<strong>in</strong>en Rasierp<strong>in</strong>sel vorbeischwimmen sehen?“<br />
Hatte er natürlich nicht. Aber plötzlich wurde er ganz freundlich.<br />
„Na dann wollen wir mal e<strong>in</strong>e Ausnahme machen.<br />
Du kannst <strong>die</strong> Steigeisen herunterklettern.“<br />
Ich war gleich Feuer und Flamme. Bahn frei. Klärchen auf dem<br />
Weg <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Unterwelt</strong>.<br />
Me<strong>in</strong>e Güte, das Gummiboot schaukelte wie e<strong>in</strong> Wackelpudd<strong>in</strong>g.<br />
„Alle Mann an Bord.“
Ziemlich f<strong>in</strong>ster war es <strong>in</strong> der <strong>Unterwelt</strong> und<br />
unheimlich. Es roch nicht gerade nach Parfum.<br />
Von den Wänden glühten uns kle<strong>in</strong>e rote Augen entgegen.<br />
Wir störten <strong>die</strong> Ratten bei ihrem Mittagsschlaf.<br />
Hoffentlich hatten <strong>die</strong> sich nicht den P<strong>in</strong>sel<br />
unter den Nagel gerissen. Schließlich konnten <strong>die</strong><br />
auch etwas damit anfangen. Bei den Barthaaren!<br />
Der Mann erklärte mir, warum er mit dem Boot durch<br />
den Kanal fuhr:<br />
„Wir untersuchen <strong>die</strong> Abwasserkanäle. Manchmal<br />
bleibt etwas stecken. Da setzt sich allerhand ab.<br />
Dreck und Schlamm können <strong>die</strong> Rohre zerfressen.“<br />
„Wie kann denn Dreck etwas zerfressen?“<br />
„Das scharfe Zeug. Die Haushaltsre<strong>in</strong>iger und<br />
Waschmittel! Das greift <strong>die</strong> Rohre an.“<br />
Volle Deckung, Flutwelle <strong>in</strong> Gelb.<br />
„Das schickt uns <strong>die</strong> Fabrik <strong>in</strong> der Industriestraße.<br />
Auch <strong>die</strong> entsorgen ihr Abwasser hier durch unseren<br />
Kanal.“ Und dazu kommt das ganze Wasser vom<br />
Wäschewaschen, Zähneputzen, Duschen,<br />
Und natürlich Meiers Autoshampoo.<br />
Baden, e<strong>in</strong>fach das ganze dreckige Wasser.<br />
Und alles durch <strong>die</strong>sen Kanal. Ne Menge<br />
los hier unten.<br />
Der Kanal wurde immer breiter.<br />
Aber wo floss das ganze dreckige Wasser h<strong>in</strong>?<br />
„Gibts da e<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> der Erde? So e<strong>in</strong>e Art Dreckwasserfall?“<br />
Kapitän Nemo lachte und das Boot schaukelte wie<br />
e<strong>in</strong> Katzenschwanz bei Mäusealarm. Ich dachte,<br />
gleich landen wir <strong>in</strong> der Brühe.<br />
„Das ist der Hauptkanal und der fließt zum Hebewerk.“<br />
„Was schwimmt denn da?“<br />
Kapitän Nemo guckte ganz traurig <strong>in</strong> <strong>die</strong> trüben<br />
Fluten.<br />
„Das s<strong>in</strong>d Blumen. Du glaubst gar nicht, was <strong>die</strong><br />
Leute alles durch das Klo jagen. Blumen, Kleidung,<br />
Konservendosen, Abfälle ...“<br />
„... und Rasierp<strong>in</strong>sel. Aber das war e<strong>in</strong> Versehen.“<br />
Den Nagellack hatte ich sicherheitshalber für e<strong>in</strong>e<br />
M<strong>in</strong>ute vergessen.
„Dabei gehört Wasser zum Wertvollsten, was wir besitzen.<br />
Es ist genauso wichtig wie <strong>die</strong> Luft zum Atmen.“<br />
„Ohne Wasser geht gar nichts. Ohne<br />
Wasser vertrocknen <strong>die</strong> Natur und der<br />
Mensch.“<br />
Ke<strong>in</strong> Wasser?<br />
Me<strong>in</strong> Mund wurde ganz<br />
klebrig.<br />
Ohne Wasser?<br />
Klarer Fall von:<br />
Staubige<br />
Aussichten.
Plötzlich tauchte e<strong>in</strong> heller Sche<strong>in</strong><br />
am Ende des Kanals auf.<br />
„Endstation, wir s<strong>in</strong>d im Klärwerk“,<br />
schmetterte Kapitän Nemo und<br />
steuerte auf e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Treppe zu.<br />
„Zur Inspektion des Hebewerkes<br />
alle aussteigen!“<br />
Kapitän Nemo war mächtig <strong>in</strong> Fahrt.<br />
Fehlte nur noch, dass er von mir e<strong>in</strong>e<br />
Fahrkarte sehen wollte.<br />
Als erstes zeigte er mir <strong>die</strong><br />
Schnecke. „E<strong>in</strong>e Schnecke hier<br />
unten <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Dreckwasser?“<br />
Vorsichtig schaute ich h<strong>in</strong>. Die Schnecke war gar<br />
ke<strong>in</strong>e echte Schnecke, sondern sah nur so aus. Sie war<br />
aus Metall und schraubte das ganze Abwasser nach<br />
oben <strong>in</strong>s Klärwerk. Ziemlich glitschige Angelegenheit,<br />
aber das ist bei Schnecken ja normal. Selbst bei Metallschnecken.<br />
Hier also hatte sich Vatis P<strong>in</strong>sel h<strong>in</strong>aufgeschraubt.<br />
Ich kontrollierte sicherheitshalber das Abwasser, doch<br />
den P<strong>in</strong>sel konnte ich nicht entdecken.<br />
Kapitän Nemo stieg mit mir <strong>die</strong> Treppen h<strong>in</strong>auf.<br />
Vor mir rotierte e<strong>in</strong>e gewaltige Harke.<br />
Es sah aus, als würde e<strong>in</strong> Riese <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Suppe rühren.<br />
Doch <strong>die</strong>se Suppe stank fürchterlich. Abwassersuppe.<br />
Mit <strong>die</strong>sem eisernen Rechen wurden <strong>die</strong> größten<br />
Brocken aus der Brühe herausgeharkt. War ja klaro, <strong>die</strong><br />
würden sonst <strong>die</strong> Rohre zum Klärwerk verstopfen.
“ All das gehört eigentlich nicht <strong>in</strong>s Abwasser“,<br />
sagte Kapitän Nemo. Er zeigte auf e<strong>in</strong> Brillengestell,<br />
Nylonstrümpfe und e<strong>in</strong>e Plastiktasche, <strong>die</strong><br />
sich an den Stäben verfangen hatten.<br />
Was gr<strong>in</strong>ste mich denn da an?<br />
„E<strong>in</strong> Gebiss.“<br />
Gleich daneben saß e<strong>in</strong>e Puppe <strong>in</strong> dem Rechen.<br />
Na ja, <strong>die</strong> Arme waren kaputt, aber immer noch<br />
ke<strong>in</strong> Grund, das arme D<strong>in</strong>g das Klo h<strong>in</strong>ter zu spülen.<br />
Klarer Fall von Raben-Puppenmutter. Und dann<br />
zeigte mir Kapitän Nemo zwei große Becken.<br />
„Das erste ist der Sandfang. Hier fließt das Wasser langsamer, damit der Sand und der Kies Zeit<br />
haben, sich am Boden abzusetzen. Und dann werden sie zusammengeschoben und mit e<strong>in</strong>em riesigen<br />
Staubsauger herausgesaugt.“<br />
E<strong>in</strong> Staubsauger im Klärwerk? Das konnte ja heiter werden.<br />
„Und <strong>die</strong>ser Abwasserteich?“ „Das ist das Vorklärbecken. Hier muss das Wasser noch langsamer<br />
fließen und dabei s<strong>in</strong>ken <strong>die</strong> restlichen fe<strong>in</strong>en Stoffe auf den Boden und <strong>die</strong> leichten Stoffe steigen<br />
nach oben. Beides kann dann herausgeholt werden und das Abwasser fließt weiter.“<br />
„Könnte da unten auf dem Grund me<strong>in</strong> P<strong>in</strong>sel liegen?“<br />
Kapitän Nemo zuckte mit den Schultern. „Vielleicht willst du tauchen und nachschauen?“<br />
Oh ne<strong>in</strong>, wer da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>taucht, der kann drei Jahre als lebendige St<strong>in</strong>kbombe herumlaufen.
“ Damit ist <strong>die</strong> mechanische Re<strong>in</strong>igung des Abwassers<br />
abgeschlossen“, sagte Kapitän Nemo und führte mich<br />
zum nächsten Becken. Hier wurde der restliche Schmutz<br />
herausgeholt.<br />
„Diese biologische Re<strong>in</strong>igung ist wichtig, denn wenn das<br />
Wasser später <strong>in</strong> <strong>die</strong> Flüsse geleitet wird, können e<strong>in</strong>ige<br />
<strong>die</strong>ser Stoffe zu e<strong>in</strong>er Algenblüte führen. Dann sterben <strong>die</strong><br />
Fische an Atemnot, weil sie nicht mehr genug Sauerstoff<br />
bekommen.“ Doch wie kam <strong>die</strong>ses Zeug <strong>in</strong>s Abwasser?<br />
„Es ist <strong>in</strong> Wasch- und Putzmitteln, z. B. <strong>in</strong> Seife und<br />
Badeschaum enthalten.“<br />
Puh, das war ganz schön kompliziert.<br />
Und von me<strong>in</strong>em P<strong>in</strong>sel weit und breit nichts zu sehen. Kle<strong>in</strong>e Bläschen blubberten an <strong>die</strong> Oberfläche.<br />
Sah ja aus wie Sprudel. Roch nur nicht danach.<br />
„Wir blasen Luft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Für unsere kle<strong>in</strong>en Helfer.“<br />
Kle<strong>in</strong>e Helfer? Ich schaute <strong>in</strong>s Wasser. E<strong>in</strong>en Helfer konnte ich nicht entdecken.<br />
Klarer Fall von Seemannsgarn. Fehlte nur noch der Abwasser-Klabautermann.<br />
Zwei Quirle, Marke gigantisch, wirbelten daneben das Wasser auf. Braune Brocken trieben durch<br />
<strong>die</strong> Brühe.
“ Das s<strong>in</strong>d unsere Helfer bei der Arbeit“, begann Kapitän<br />
Nemo schon wieder mit se<strong>in</strong>er Story.<br />
„Helfer?“<br />
„Sie waschen das Wasser, fressen den Schmutz auf.<br />
Ziemlich fleißige Tierchen.“<br />
Tierchen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Brühe leben? Kapitän Nemo<br />
konnte mir ja viel erzählen. Hielt mich wohl für total blöde.<br />
Dann holte er e<strong>in</strong> Mikroskop und tropfte etwas Abwasser<br />
darunter.<br />
Sie wohnten da im<br />
Belebungsbecken<br />
zusammen wie e<strong>in</strong>e<br />
große Familie.<br />
Aber den ganzen Tag<br />
nur fressen? Nichts für<br />
Klärchen.<br />
Whow. Da waren sie<br />
bei der Arbeit. Sahen aus<br />
wie kle<strong>in</strong>e quicklebendige<br />
Monster. Gr<strong>in</strong>sten mich an<br />
und mampften mit vollen<br />
Backen den Schlamm.<br />
„Das s<strong>in</strong>d Bakterien,<br />
Geißeltierchen, Wechseltierchen,<br />
Wimperntiere,<br />
Rädertierchen und<br />
Glockentierchen.“<br />
Den kle<strong>in</strong>en Monstern<br />
schien es zu gefallen.<br />
Schmatzten und blubberten den Dreck e<strong>in</strong>fach<br />
weg.<br />
„Habt ihr me<strong>in</strong>en P<strong>in</strong>sel gesehen. Mit e<strong>in</strong>em<br />
goldenen Griff?“<br />
Ke<strong>in</strong>e Antwort. Klarer Fall von: Stör uns nicht<br />
bei der Arbeit.<br />
Aber was sollten <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>en Kerle auch schon<br />
mit e<strong>in</strong>em Rasierp<strong>in</strong>sel anfangen?<br />
„Diese Tierchen kommen auch <strong>in</strong> den Seen und<br />
Flüssen vor“, sagte Kapitän Nemo, „sie sorgen<br />
auch <strong>in</strong> der Natur für Sauberkeit.“
Im Nachklärbecken wurde das gere<strong>in</strong>igte<br />
Wasser von den kle<strong>in</strong>en gierigen Fressern<br />
getrennt. Sie hatten ihre Arbeit erledigt und<br />
e<strong>in</strong>ige durften zur Belohnung zurück <strong>in</strong> das Belebungsbecken.<br />
Auf zur nächsten Fressrunde.<br />
Na dann: Guten Appetit.<br />
„Und <strong>die</strong> anderen?“<br />
„Die kommen mit dem Klärschlamm <strong>in</strong> den Faulturm“,<br />
sagte Kapitän Nemo und zeigte auf<br />
e<strong>in</strong> megagigantisches Betonei.<br />
Faulturm? Womöglich faulenzte der Rasierp<strong>in</strong>sel<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Turm vor sich h<strong>in</strong> und ich lief mir <strong>die</strong><br />
Be<strong>in</strong>e krumm.<br />
Hier wurde der Schlamm e<strong>in</strong>geleitet.<br />
Aber ke<strong>in</strong>e Spur von Faulenzen.<br />
Da leben <strong>die</strong> Kumpel von den kle<strong>in</strong>en Tierchen<br />
aus dem Belebungsbecken. Doch <strong>die</strong> fühlen<br />
sich im Dunkeln am wohlsten.“<br />
Und schön mollig hatten sie es auch.<br />
So 37 Grad.<br />
Luft bekamen <strong>die</strong>se fleißigen Tierchen nicht.<br />
Darauf haben sie ke<strong>in</strong>en Appetit.<br />
Das wär’ ja noch schöner, dass unser Klärwerk<br />
wegen Appetitlosigkeit im Faulturm an<br />
Verstopfung leidet.<br />
20 Tage beißen sie sich durch den Schlamm,<br />
und dann hat sich <strong>die</strong> Menge um e<strong>in</strong> Drittel<br />
verr<strong>in</strong>get.<br />
„Und was ist daraus entstanden?“
Kapitän Nemo hatte mal wieder den Durchblick.<br />
„Wasser und Gas. Das ist sehr praktisch.<br />
Mit dem Gas können wir Elektrizität erzeugen und<br />
damit den Tierchen im Faulturm schön gemütlich e<strong>in</strong>heizen.<br />
Und mit dem restlichen Schlamm kann man<br />
<strong>in</strong> der Landwirtschaft <strong>die</strong> Felder düngen.“<br />
Kapitän Nemo runzelte <strong>die</strong> Stirn.<br />
„Manchmal müssen unsere Tierchen Überstunden<br />
machen, weil <strong>die</strong> Leute so viel Dreck und Gift <strong>in</strong> das<br />
Abwasser schütten.“<br />
„Und wenn <strong>die</strong> Rechen den groben Dreck herausgeharkt<br />
haben, der fe<strong>in</strong>e Schmutz entfernt wurde und<br />
<strong>die</strong> M<strong>in</strong>ischlammfresser fleißig waren, ist dann das<br />
Wasser sauber?“<br />
„Für uns schon.<br />
Es ist allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong><br />
Tr<strong>in</strong>kwasser.<br />
Es wird <strong>in</strong> den Fluss geleitet und <strong>die</strong><br />
kle<strong>in</strong>en Tierchen, <strong>die</strong> dort leben, erledigen<br />
den Rest der Arbeit.“<br />
Und Vatis P<strong>in</strong>sel? Auch Kapitän Nemo<br />
wusste ke<strong>in</strong>en Rat.<br />
„Vielleicht willst du <strong>die</strong> Puppe?“ fragte<br />
er. Er holte sie aus dem Rechen und<br />
spülte sie mit Wasser ab.<br />
Was sollte Vati mit e<strong>in</strong>er Puppe?<br />
„Na dann kommt sie <strong>in</strong> unser Museum. Die schönsten Fundstücke heben wir hier auf.“
Wir stiefelten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Kammer voller<br />
Regale.<br />
Nylonstrümpfe, Regenmäntel, Schirme, Töpfe.<br />
Unglaublich, was alles so unter uns <strong>in</strong> das Klärwerk<br />
schwimmt.<br />
Plötzlich sah ich ihn. Zwischen e<strong>in</strong>er Gummiente,<br />
e<strong>in</strong>em Kochlöffel, e<strong>in</strong>er verrosteten Uhr, e<strong>in</strong>em<br />
Gebiss und e<strong>in</strong>em Füller stand<br />
doch tatsächlich Vatis P<strong>in</strong>sel<br />
und glänzte vor sich h<strong>in</strong>. Natürlich<br />
durfte ich ihn mitnehmen.<br />
Ich verabschiedete mich von<br />
Kapitän Nemo und machte<br />
mich auf den Weg nach Hause.<br />
Die <strong>Reise</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Unterwelt</strong><br />
hatte sich gelohnt.<br />
Am nächsten Morgen<br />
seifte Vati sich mit dem<br />
P<strong>in</strong>sel e<strong>in</strong>. Er merkte gar<br />
nicht , wie sauber der war.<br />
Und ich überlegte, ob ich ihm erzählen<br />
sollte, welch lange <strong>Reise</strong> der h<strong>in</strong>ter sich<br />
gebracht hatte. Mitten durch <strong>die</strong> <strong>Unterwelt</strong>.<br />
Aber das ließ ich dann doch lieber.<br />
„Wie wäre es mit e<strong>in</strong>em Dreitage-Bart?“<br />
fragte ich.<br />
„Dreitage-Bart?“<br />
„Na ja, da hast du weniger Arbeit.<br />
Wir sparen Wasser, und es fließt nicht so<br />
viel Schaum <strong>in</strong>s Abwasser.“<br />
„Hmmh.“<br />
Und dann erzählte ich von den Tierchen,<br />
<strong>die</strong> im Klärwerk schuften müssen.<br />
„Tierchen?“<br />
Für <strong>die</strong> Antwort hatte er natürlich ke<strong>in</strong>e<br />
Zeit. Typisch!
Dafür hatte Klärchen e<strong>in</strong>e Idee. Man könnte doch etwas für sauberes Wasser tun. Klar, Klärchen<br />
wird aktiv. E<strong>in</strong>e Plakataktion muss her. Und <strong>die</strong> Plakate hänge ich den Leuten vor <strong>die</strong><br />
Nase. Damit <strong>die</strong> mal begreifen, wie schwierig das mit dem Wasser ist. Also da<br />
draufstehen müsste zum Beispiel:<br />
Wasser ist Leben.<br />
Und dazu male ich e<strong>in</strong>en Fisch.<br />
Oder:<br />
Nur umweltfreundliche Waschmittel benutzen, möglichst phosphatfrei.<br />
Das war e<strong>in</strong> Plakat für Mutti. Oder: Re<strong>in</strong>igungs- und Putzmittel sparsam verwenden.<br />
Nur Produkte mit dem blauen Umweltengel kaufen.<br />
Und natürlich e<strong>in</strong> Plakat mit: Ke<strong>in</strong>e Farbreste, P<strong>in</strong>selre<strong>in</strong>iger, Nagellack oder Lösungsmittel<br />
<strong>in</strong> das Abwasser. Das gehört <strong>in</strong> den Sondermüll.<br />
Feste Stoffe wie Katzenstreu, W<strong>in</strong>deln<br />
oder Gebisse nicht <strong>in</strong>s Klo werfen. Auch<br />
Nylonstrümpfe gehören da nicht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />
Altöl nicht <strong>in</strong>s Abwasser gießen, sondern<br />
zur Tankstelle br<strong>in</strong>gen.<br />
Und e<strong>in</strong> Plakat für Meier aus dem zweiten<br />
Stock. Am besten klemme ich es unter<br />
se<strong>in</strong>en Scheibenwischer: Autos <strong>in</strong> der<br />
Autowaschanlage re<strong>in</strong>igen.<br />
Vielleicht fällt euch ja auch<br />
noch etwas e<strong>in</strong>, was alles<br />
nicht <strong>in</strong>s Abwasser gehört.<br />
Schließlich wollt ihr doch auch nicht, dass<br />
<strong>die</strong> kle<strong>in</strong>en Monster aus dem Belebungsbecken<br />
zu viel arbeiten müssen. Oder gar<br />
Bauchschmerzen bekommen.<br />
Klaro?
Impressum<br />
Herausgeber und Vertrieb:<br />
DWA Deutsche Vere<strong>in</strong>igung für<br />
Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.<br />
Theodor-Heuss-Allee 17<br />
53773 Hennef<br />
www.dwa.de<br />
<strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem<br />
Kommunalunternehmen azv Südholste<strong>in</strong><br />
25491 Hetl<strong>in</strong>gen<br />
Text:<br />
Michael Kogl<strong>in</strong>, Hamburg<br />
Illustration:<br />
Jürgen Mar<strong>in</strong>, Kiebitzreihe<br />
Druck:<br />
welzel+hardt<br />
50389 Wessel<strong>in</strong>g<br />
ISBN 978-3-937758-52-7<br />
© DWA 2009, 13. Auflage<br />
Nachdruck oder sonstige Reproduktion,<br />
auch auszugsweise, nur mit schriftlicher<br />
Genehmigung des Verlages.<br />
Gedruckt auf 100% Recycl<strong>in</strong>g-Papier