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7 Aus der GESCHICHTE<br />
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lich, auch unseren Vater. Als solcher wurde er untragbar besteuert. Das normale<br />
Wirtschaften wurde einfach unmöglich.<br />
Solche unsinnige Wirtschaftspolitik der Kommunisten, die Mißernte wegen<br />
Dürre 1920, brachte das Wolgo-gebiet 1921 zu einem schrecklichen Hunger. Die<br />
Mennonitenkolonisten hatten doch Vorrat an Lebensmitteln, die sie bei sparsamen<br />
Ausnutzen von Hunger befreite. Aber die russische, tatarische und andere Völker<br />
der Umgebung verhungerten Tausende. Sie kamen scharenweise in die Mennonitendörfe,<br />
setzten und legten sich auf die Hofe, bettelten um ein Stückchen Brot, eine<br />
Kartoffel oder anderes Lebensmittel. Es ist nur zu bewundern, das niemand von<br />
diesen hungrigen ohne Hilfe vom Hof gejagt wurde. Bei aller Knappheit, wurde<br />
noch fühlbare Hüte für den Hungernden organisiert. Mein Vater Kornelius Wiebe<br />
(1885-1931) war einer der aktiven Organisatoren dieser Hilfe. Die kommunistische<br />
Sowjetregierung mit Lenin an der Spitze sah wohl, zu was einer Katastrophe sie<br />
das Land brachte. Sie machte eine straffe Wendung - führte 1921 eine neue Wirtschaftspolitik<br />
ein, die das Privateigentum wieder herstellte, der Wirtschafterin<br />
Selbständigkeit und Freiheit in Unternehmungen gab.<br />
In den Wirtschaften der Mennonitenkolonisten zeigte sich auch gleich ein steiler<br />
Aufstieg: wieder wurde hochergiebeges Rassevieh eingekauft und aufgezogen,<br />
neue Sorten Getreide gesaht, hochleistungsfähige Maschinen eingekauft. Diese<br />
Jahre (1924-1927) kann ich mir noch klar erinneren, unsere Wirtschaft wurde erneuert,<br />
erweitert, mit Selbstbinder, einen Traktor («Fordson») und Anhänge Aggregate<br />
zu ihm; das Rindvieh wurde mit rassigen Simmenfaler erneuert. Mit welcher<br />
Begeisterung und Fleiß arbeiteten wir alle in der Wirtschaft! Auch die Kleinen<br />
(von 6-7 Jahren) mußten schon tüchtig arbeiten.<br />
Aber diese Freude war nur kurzdauernd, der wirtschaftliche Aufschwung hatte<br />
ein schnelles und trauriges Ende. Stalin, der sich nach dem Tode Lenins an der<br />
Spitze der kommunistischen Partei und Sowjetregierung stellte, nahm einen harten<br />
Kurs auf sozialistischen Reformen, durchgängige Kollektivierung der Landwirtschaft.<br />
Nicht nur Andersdenkende, sondern auch jeder Verdächtige wurde repressiert.<br />
Die meisten der Mennoniten wurden als Klassen- und Volksfeinde an erkannt,<br />
viele verhaftet und verbannt.<br />
Viele, auch unser Vater Kornelius Wiebe, wollten in dieser Zeit (1928-29) aus<br />
Rußland emigrieren, aber es war zu spät- die Grenzen der Sowjetunion wurden fest<br />
geschlossen.<br />
Viele, die emigrieren wollten, wurden repressiert. In dieser Zeit (1928-1930)<br />
verstärkten, auch die Verfolgungen für den Glauben an Gott. Ältesten der Gemeinde,<br />
Prediger wurden in die Gefängnisse und Konzlagern geworfen.<br />
1929-1930 wurde Stalins Plan der Liquidierung des Kulakentums als Klasse erfüllt<br />
jeder einigermaßen wohlhabende Bauer wurde als «Kulak» gestempelt und<br />
entsprechend behandelt verfolgt. Vielen aus der Mennoniteten-kolonie als solchen<br />
«Klassenfeinden» wurde alles abgenommen (konfisziert), die ganzen Familien<br />
wurden verbannt - ausgesiedelt in die nördliche oder sibirische Gebiete.<br />
Dieses Schicksal traf im März 1930 auch die Familien unseres Vaters, Kornelius<br />
Wiebe (1885-1931), seines Bruders Johann Wiebe und seiner Schwester Agathe<br />
(Johann Töws).<br />
Die Ungerechtigkeit und Grausamkeit, mit denen diese Verbannung ausgeführt<br />
wurde, kann man sich kaum vorstellen.<br />
In unseres Haus mit kleinen kranken Kinder (5 kleinsten Kinder lagen mit Infektionen<br />
Krankheit – Ziegenpeter) unerwartet stürmten Parteiaktivisten ein und<br />
geboten uns auszusiedeln. Zu aller Vorbereitungen erlaubten sie einige Stunden.<br />
Das Gepäck, daß wir mitnehmen dürften, wurde streng begrenzt. Das meiste,<br />
sehr notwendige, blieb im Haus, so wurden wir auf die Station gefahren, dort wie<br />
Воспоминания Корнея Вибе. 75<br />
7 Aus der GESCHICHTE<br />
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Vieh in Eisenbahnguterwagen verladet (5 große Familien in einen Wagen), von aussen<br />
verschlossen und mit bewaffneten Soldaten bewacht.<br />
Eine ganze Woche ging es nach Norden. Was diese Woche im verschlossenen<br />
Wagen, ohne jegliche Hygiene, sanitäre Verhältnisse, besonders für Frauen und<br />
kleine, sogar noch kranke, Kinder, bedeutete, ist kaum vorzustellen.<br />
Anfang April 1930 kam der Zug mit den Verbannten auf einer kleinen Zwischenstation<br />
300 km südlicher von Archangelsk an. Aus den Wagen ausgeladen,<br />
wurden wir in Waldarbeiterbaracken (8 km von der Eisenbahn entfernt) gebracht.<br />
Die kleinen und kranken Kinder fuhren mit dem Gepäck auf Pferdefuhrwerke. Die<br />
größeren Kinder mußten mit den Erwachsenen zu Fuß gehen.<br />
Unsere Familie wurde mit noch 6 großen deutschen (mennonitischen) und einer<br />
estischen Familien in eine Baracke untergebracht. Die Enge in der Baracke kann<br />
man sich vorstellen: ungefähr 60 Personen wohnten in einem Raum 12x7 m. Ein<br />
russisches Sprichwort lautet: «Wie Heringe im Faß».<br />
Das ganz Schreckliche zeigte sich in der Nacht. So wie die Beleuchtung (Petroleumlampe)<br />
gelöscht wurde, krochen aus allen Ritzen der Decke, den Wanden, den<br />
zweistöckigen Pritschen - von überall scharen Wanzen raus, bedeckten unsere<br />
Körper, brennten die ganze Haut.<br />
Solche Verhältnisse waren doch nicht für l -2 Monaten, sondern diese Baracke<br />
sollte auf unbegrenzte Zeit unsere Wohnung sein. Aber auch in solchen Verhältnissen<br />
- verzagten unsere Eltern nicht, sie nahmen alles aus<br />
Gottes Hand und vertrauten auf ihn.<br />
Gottes Wort wurde täglich gelesen. Jeder Tag begann und endete mit Gebet. Jeden<br />
Sonntag versammelten sich die Deutschen (Mennoniten) aus allen Baracken<br />
zum gemeinen Gottesdienst. Gottes Wort wurde auch in den Baracken der Russen<br />
und anderer Nationen verkündigt. Dieses tat oft unser Vater, der gut russisch konnte.<br />
Dieses Predigen wurde für ihn später eine Beschuldigung an Konterrevolutionen<br />
Taten.<br />
Natürlich brachten solche Verhältnisse auch zu Krankheiten. In unserer Familie<br />
bei 4 Kinder, ging der nicht ausgeheilte Ziegenpeter zu Meningitis (Gehirnhautentzündung)<br />
über. Agathe starb 21.05.1930. Die anderen 3 wurden ins Krankenhaus<br />
in der St. Wologda gebracht (300 km südlicher). Dort starben die zwei Kleinsten:<br />
Alfred (den 07.06.1930) und Wilhelm (den 08.06.1930). Sie wurden in einem Sarg<br />
begraben. Margarete (Greta) wurde nach langer Kur gesund.<br />
In der Zeit, als unsere Mutter mit den kranken Kindern weit von der Familie<br />
war, wurde unser Vater, Kornelius, Wiebe verhaftet (den 5 Juni 1930). Er wurde<br />
beschuldigt an Spionage (die Beziehungen mit Ausländer Verlandeten), an konterrevolutionäre<br />
Agitation (das Predigen). Die Wahrheit von seinem Schicksal wurde<br />
uns bis 1989 nicht kundgetan. Beinahe 60 Jahre wußten wir nicht, daß unser Vater<br />
erschossen war. Unsere Mutter wußte es nicht bis zum Ende ihres Lebens (sie<br />
wurde 1938 auch erschossen).<br />
Wieviel Leiden und Weh mußte unsere Mutter aushaken. Nur ihr starker Glauben,<br />
volles Vertrauen auf. Gott gab ihr Kraft in diesen Prüfungen nicht zu verzagen.<br />
So blieb jetzt unsere Mutter mit 8 Kindern ohne männlicher Stutze. Die 3 Ältesten:<br />
Käthe (20 Jahre), Louise (18 Jahre) und Johann (17 Jahre) mußten schwere<br />
Waldarbeitern tun. Den 21.11.1931 starb unsere Schwester Louise an Typhus. Sie<br />
war noch nicht 20 Jahre alt. An unserem Verbannungssort waren 2 Jahre keine<br />
Schulen und wir, die kleineren Geschwister lernten auch nicht.<br />
Anfang 1932 wurden wir auf eine neue Wohnsiedlung übersiedelt, die sich an<br />
der Eisenbahn befand. Hier bekam jede Familie eine eigene Stube, wurde auch eine<br />
Schule gefohlt und wir konnten lernen.<br />
1933 gab es wieder ein Hungerjahr. Viele, viele Verbannten verhungerten (starben).<br />
Von diesem Schicksal bewahrte uns Gott. Ja, wir hungerten, aber niemand<br />
76 Воспоминания Корнея Вибе.