Zeit und Geschichte Time and History - Austrian Ludwig Wittgenstein ...
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Idee, dass die Sprache <strong>und</strong> die Wirklichkeit die gleiche<br />
Struktur, eine gemeinsame Form der Abbildung haben. Die<br />
Logik liefert den Leitfaden für die ontologische Frage: “Das<br />
Wesen des Satzes angeben, heißt, das Wesen aller<br />
Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt” (TLP<br />
5.4711). Aus diesem Zusammenhang zwischen logischen<br />
Strukturen <strong>und</strong> ontologischen Entsprechungen lassen sich<br />
die Grenzen der Sprache <strong>und</strong> der Welt, die im Gr<strong>und</strong>e die<br />
gleichen sind (TLP 5.6), setzen. Nun, wenn die Welt die<br />
Gesamtheit der positiven Tatsachen, d.h. der bestehenden<br />
Sachverhalte ist, dann bestimmt sie gleichzeitig auch<br />
welche Sachverhalte nicht bestehen (TLP 2.05). Das<br />
Positive schränkt das Negative ein. Analog dazu kann die<br />
Grenze des Sinnes von innen in der Sprache selbst<br />
gezogen werden. Die Philosophie, schreibt <strong>Wittgenstein</strong>,<br />
“wird das Unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare<br />
klar darstellt” (TLP 4.115). Es geht lediglich um eine<br />
Analogie, um eine Ähnlichkeit in der Strategie, die Sphäre<br />
des Unsagbaren bezieht sich nicht auf die Sphäre der<br />
negativen Tatsachen, sondern auf das, was außerhalb der<br />
Welt liegt. Aber beide werden durch die deutliche<br />
Bestimmung des Positiven beschränkt. Wenn das Sagbare<br />
sich auf Tatsachen, d.i. die in der Welt bestehenden<br />
Sachverhalte beschränkt, dann bezieht sich das<br />
Unsagbare auf das was außerhalb der Welt liegt.<br />
II Methodologische Probleme<br />
Hinsichtlich der Begrenzungsproblematik bieten sich<br />
einige spezifische methodische Schwierigkeiten, die<br />
letztendlich auf das Thema der Metareflexion oder Metasprache<br />
hinauslaufen. Ist es möglich, über die Bedingungen<br />
der Reflexion zu reflektieren? Unabhängig von<br />
dem Ansatzunterschied stößt die Analyse in beiden<br />
Richtungen auf eine Grenze, die sie selbst nicht gezogen<br />
hat. Es drängt sich eine neue Sphäre, die Sphäre der<br />
Bedingungen der Beschreibung oder der Bedingung der<br />
Vorstellung auf, die sich aber jeder Art von Thematisierung<br />
entzieht. Ich gehe auf diese zentrale Aporie hier nicht<br />
direkt ein, sondern greife zwei <strong>and</strong>ere Fragen auf, die sich<br />
auf das zentrale Problem beziehen, aber <strong>and</strong>ere<br />
Schwierigkeiten betreffen. Die erste Schwierigkeit betrifft<br />
die Möglichkeit der Grenzziehung: (i) Ist die Setzung der<br />
Grenze des Sinns methodisch möglich oder widersprüchlich?<br />
Wird die Grenze nicht unmittelbar durch das<br />
Ziehen selbst überschritten? Es scheint unmöglich zu sein,<br />
nur auf einer Seite der Grenze zu bleiben, ohne irgendwie<br />
auf das Jenseits hinzuweisen, ohne irgendwie da draußen<br />
zu sein. Wenn es so ist, dann stellt sich eine zweite Frage:<br />
(ii) Was ermöglicht diese Anzeige auf das, was jenseits der<br />
Grenze liegt, wie kann man mit Berechtigung über das,<br />
was sich nicht erkennen bzw. nicht sagen lässt, etwas<br />
sagen <strong>und</strong> erkennen? Die vorgebrachten Vorwürfe wurden<br />
wiederholt gegen beide Philosophen erhoben.<br />
III Lösungsansätze<br />
(i) Die Antwort auf die erste Kritik soll Aufschluss über<br />
einen nicht kontradiktorischen Gebrauch des Begriffs des<br />
Ding an sich geben. Im Lichte dieser Fragen scheint in der<br />
Kritik der reinen Vernunft derselbe Begriff, der die Grenze<br />
der Erfahrung bestimmt, eine Überschreitung der Grenze<br />
zu implizieren. 3 Nach der Affektionstheorie hat unsere<br />
Sinnlichkeit passiven Charakter, d.h. dass uns Gegenstände<br />
nur gegeben werden, indem sie “das Gemüt auf<br />
gewisse Weise affiziere” (A 19 B 33). Diese Erläuterung<br />
der Passivität des Sinnes wendet eine Kategorie des<br />
3 Vgl. dazu Strawson, P.F, 1966, The Bo<strong>und</strong>s of Sense, S. 254.<br />
12<br />
Grenzziehung bei Kant <strong>und</strong> <strong>Wittgenstein</strong> - Thiago Aquino<br />
Verst<strong>and</strong>es auf ein Objekt an, das nicht in der Erfahrung<br />
gegeben werden kann. Die Anwendung verletzt die<br />
Einschränkung der objektiven Gültigkeit der Verst<strong>and</strong>esbegriffe<br />
a priori auf die Erscheinungswelt <strong>und</strong> könnte deswegen<br />
als ein Bespiel für den illegitimen transzendenten<br />
Gebrauch der Kategorien gesehen werden.<br />
Die Kategorien gründen sich jedoch nicht auf die<br />
Sinnlichkeit. Die nicht schematisierten Kategorien behalten<br />
eine logische Bedeutung; selbst wenn sie von der Sinnlichkeit<br />
ganz abgesondert werden, sind sie nicht „toten Fächer<br />
der Intelligenz.” 4 Die Verst<strong>and</strong>esbegriffe stellen zwar ohne<br />
Sinnlichkeit keinen Gegenst<strong>and</strong> vor, aber drücken als<br />
Funktionen des Verst<strong>and</strong>es verschiedene Einheitsformen<br />
der Vorstellungen eines Objekts überhaupt aus, die nicht auf<br />
die Gegenstände der Sinne eingeschränkt sind. Diese<br />
Unabhängigkeit der Kategorien von der Sinnlichkeit enthält −<br />
schreibt Kant − “etwas Verfängliches” (AA Bd. IV,<br />
Prolegomena, S.315.), weil sie die Erwartung bestärken<br />
könnte, dass die Kategorien noch über die Erfahrung<br />
hinausreichen <strong>und</strong> etwas mehr bedeuten könnten. Es gibt<br />
aber eine positive Seite der Unabhängigkeit der Kategorien.<br />
Wenngleich die Unabhängigkeit keine übersinnliche<br />
Erkenntnis begründet, kann sie eine nichtsinnliche<br />
Anwendung der Kategorien legitimieren. Die Legitimation gilt<br />
freilich nur mit der Restriktion, dass man dadurch nur<br />
Objekte im allgemeinen denkt, aber nicht erkennt. Die<br />
Distinktion zwischen Erkennen <strong>und</strong> Denken 5 rechtfertigt<br />
Erklärungen des Dinges an sich als Ursache der<br />
Erscheinungen, ohne die Grenzen der Erfahrung zu<br />
überschreiten. Die negative Bedeutung des Begriffs des<br />
Dinges an sich beschränkt die theoretisch-spekulative<br />
Vernunft <strong>und</strong> zeigt, dass die Grenzziehung vermittels der<br />
Analyse der Erkenntnisvermögen methodisch durchführbar<br />
ist. Außerhalb der Erfahrung denkt die Vernunft einen leeren<br />
Raum, der auf das Unbekanntes hinweist <strong>und</strong> die<br />
Absolutheit der Erscheinungswelt bestreitet.<br />
Dieselbe Schwierigkeiten haben das Projekt des<br />
Tractatus problematisiert. (i) Im Hinblick auf die Frage ob die<br />
Grenzziehung methodisch ohne Widerspruch durchführbar<br />
wäre, antwortete <strong>Wittgenstein</strong> mit einem Werk, das am<br />
Ende sich selbst widerlegt. Da die Sätze des Tractatus keine<br />
Tatsache in der Welt abbilden, sind sie insgesamt als<br />
unsinnig zu betrachten. Der Tractatus versucht absichtlich<br />
über das zu sprechen, was sich nicht sagen lässt. Der<br />
Diskurs, der die Grenze zwischen dem Sagbaren <strong>und</strong> dem<br />
Unsagbaren festlegt, befindet sich nicht in der Sphäre des<br />
Sagbaren. Die Grenzziehung impliziert das Überschreiten<br />
der Grenze. Gegen diese problematische Konsequenz steht<br />
die Idee der Überwindung der Sätze des Tractatus durch<br />
das Verstehen ihrer Unsinnigkeit. Diese befreiende<br />
Erhebung des Verstehen durch erhellende unsinnige Sätze,<br />
illustriert mit der Metapher der Leiter, deutet auf den<br />
ethischen Sinn des Buches. Der Tractatus weist mit diesem<br />
Fingerzeig auf die <strong>and</strong>ere Seite der Grenze.<br />
(ii) In dieser Richtung wird auch die Antwort auf die<br />
zweite Frage gegeben. <strong>Wittgenstein</strong> unterscheidet im<br />
Tractatus sagen <strong>und</strong> zeigen. Beide schließen sich aus, “was<br />
gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden” (TLP<br />
4.1212), sie befinden sich auf verschiedenen Seiten der<br />
Grenze des Sinns. Man hat drei Anwendungen des Begriffs<br />
des Zeigens im Tractatus unterscheiden können, <strong>und</strong> nur<br />
eine davon betrifft das, was in der Sprache nicht präsent ist.<br />
In dieser dritten Bedeutung ist das Zeigen ein Hindeuten auf<br />
etwas, das weder in der Sprache noch in der Wirklichkeit ist,<br />
sondern das Unaussprechliche betrifft (TLP 6.522).<br />
4 Hegel, 1801 Die Differenz des Fichteschen <strong>und</strong> Schellingen Systems der<br />
Philosophie, Gesammelte Werke, Bd. 4. , S.5.<br />
5 Vgl. dazu Kritik der reinen Vernunft B XXVII Fußnote.