Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Die ontogenetische ...

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30.01.2014 Views

Einleitung und Literaturüberblick und große Autopodien im Vergleich zu den adulten Proportionen haben. Im Verlauf der Entwicklung wachsen beide Körperteile weniger, verglichen mit anderen Körperabschnitten oder auch der Körpergröße. Solche morphometrischen Veränderungen wirken sich auf die Verteilung des Körpergewichtes innerhalb und zwischen den Extremitäten und damit auf die relative Lage des Körpermasseschwerpunktes aus (KIMURA 1987, 2000; YOUNG 2012). Interspezifische Vergleiche adulter Säugetiere belegen beispielsweise, dass der Gepard aufgrund seiner muskulösen Hinterbeine 52% seines Körpergewichtes auf den Vorderextremitäten trägt, während das Kamel mit seinem muskulöseren Vorderkörper 66% der Körpermasse durch die Vorderbeine unterstützt (ROLLINSON u. MARTIN 1981). Intraspezifische Unterschiede wurden bei Pferden zwischen Warmblütern, die mehr Gewicht auf den Vorderbeinen tragen, und dem American Quarter Horse beobachtet (BACK et al. 2007). Auch bei Hunden lassen sich rassetypische Unterschiede erkennen. Der Barsoi, ein Windhund mit kräftigen Hinterbeinen, trägt 57%, der Rottweiler, als Molosser, trägt 64% des Körpergewichts auf den Vorderbeinen (BERTRAM et al. 2000; WILLIAMS et al. 2008; VOSS et al. 2011). Ontogenetisch wurde der Einfluss der Verschiebungen der Körperproportionen auf die Lage des Körpermasseschwerpunktes bisher nur für Primaten untersucht. Hier wurde übereinstimmend eine Verschiebung nach caudal beobachtet, da die meisten Primaten als Adulti den größeren Teil ihres Körpergewichtes auf den muskulöseren Hinterbeinen tragen (GRAND 1977; TURNQUIST u. WELLS 1994; KIMURA 1987, 2000; SHAPIRO u. RAICHLEN 2006; YOUNG 2012). Ob sich der Körpermasseschwerpunkt bei Säugetieren, die als Adulti über 50% ihres Körpergewichts auf den Vorderbeinen tragen (wie z.B. Hunde), während der Ontogenese auch von cranial nach caudal verschiebt oder eine Akzentuierung des ohnehin cranial liegenden Schwerpunktes erfolgt, wurde bisher nicht detailliert untersucht. Wenige Studien haben sich in der Vergangenheit mit den physiologischen Veränderungen und dem relativen Wachstum der Körperabschnitte, der sogenannten ontogenetischen Allometrie, während des postnatalen Wachstums des Hundes beschäftigt. WEISE (1964) und SCHULZE et al. (2003, 2007) beobachteten, dass Größenunterschiede zwischen den verschiedenen Rassen nicht aufgrund 10

Einleitung und Literaturüberblick unterschiedlicher Wachstumsdauer, sondern durch unterschiedlich intensives Wachstum auftreten. WEISE (1964) untersuchte dafür vergleichend das Knochenwachstum jeweils eines Wurfes von acht verschiedenen Rassen zwischen dem 30ten und 120ten Lebenstag. Somit endet ihre Studie ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem Junghunde an ihre neuen Besitzer übergeben werden. SCHULZE et al. (2003, 2007) untersuchten das Knochenwachstum der Vorder- und Hintergliedmaßen bei vier Rassen. Sie beobachteten den Abschluss des Wachstums z.B. beim Beagle um den 305ten Tag. Das Skelettwachstum und die Entwicklung der Körpermasse wurden ebenfalls von SALOMON et al. (1999) beim Beagle untersucht. Keine der oben genannten Studien schloss die Skapula als lokomotorisch wichtigen Abschnitt der Vorderextremität ein. Dieser proximale Abschnitt der Vordergliedmaße trägt durch seinen hoch gelegenen Drehpunkt maßgeblich zum Vortrieb des Körpers während der Fortbewegung bei; allein zwischen 65% und 80% der Schrittlänge sind auf die Bewegungen der Skapula zurückzuführen (FISCHER u. LILJE 2011). Durch den allein sehnigen und muskulösen Verbund der Vordergliedmaße mit dem Rumpf dient sie auch dem Auffangen der Last im Stand, in der Bewegung und beim Sprung. Während der Evolution der Säugetiere wurde die Skapula aus dem ursprünglich starren Schultergürtel gelöst und in die bewegliche Kette der Vordergliedmaßensegmente integriert (FISCHER 1998). Damit verbunden löst sich die ursprüngliche serielle Homologie der Extremitätenabschnitte der tetrapoden Vorder- und Hintergliedmaßen mit den homologen Elementen des Stylopodiums (Humerus, Femur), des Zeugopodiums (Radius, Tibia; Ulna, Fibula) und des Autopodiums (Carpus, Tarsus; Metacarpus, Metatarsus; Phalanges) auf. Sie wird bei den Theria durch eine neue funktionelle Homologie der Extremitätenabschnitte, begründet auf deren Bewegungstrajektorien und Drehpunktshöhen, ersetzt. Funktionell entsprechen sich bei diesen Säugetieren wie auch beim Hund: Skapula und Femur, Brachium und Crus und Antebrachium und Tarsus. Weiterhin wurden wachsende Hunde bisher lokomotorisch nur in einer Studie untersucht, die allerdings nicht vollständig, sondern nur als Zusammenfassung, publiziert wurde (BIKNEVICIUS et al. 1997). 11

Einleitung und Literaturüberblick<br />

und große Autopodien im Vergleich zu den adulten Proportionen haben. Im Verlauf<br />

der Entwicklung wachsen beide Körperteile weniger, verglichen mit anderen<br />

Körperabschnitten oder auch der Körpergröße. Solche morphometrischen<br />

Veränderungen wirken sich auf die Verteilung des Körpergewichtes innerhalb und<br />

zwischen den Extremitäten und damit auf die relative Lage des Körpermasseschwerpunktes<br />

aus (KIMURA 1987, 2000; YOUNG 2012). Interspezifische Vergleiche<br />

adulter Säugetiere belegen beispielsweise, dass der Gepard aufgrund seiner<br />

muskulösen Hinterbeine 52% seines Körpergewichtes auf den Vorderextremitäten<br />

trägt, während das Kamel mit seinem muskulöseren Vorderkörper 66% der<br />

Körpermasse durch die Vorderbeine unterstützt (ROLLINSON u. MARTIN 1981).<br />

Intraspezifische Unterschiede wurden bei Pferden zwischen Warmblütern, die mehr<br />

Gewicht auf den Vorderbeinen tragen, und dem American Quarter Horse beobachtet<br />

(BACK et al. 2007). Auch bei Hunden lassen sich rassetypische Unterschiede<br />

erkennen. Der Barsoi, ein Windhund mit kräftigen Hinterbeinen, trägt 57%, der<br />

Rottweiler, als Molosser, trägt 64% des Körpergewichts auf den Vorderbeinen<br />

(BERTRAM et al. 2000; WILLIAMS et al. 2008; VOSS et al. 2011).<br />

Ontogenetisch wurde der Einfluss der Verschiebungen der Körperproportionen auf<br />

die Lage des Körpermasseschwerpunktes bisher nur für Primaten untersucht. Hier<br />

wurde übereinstimmend eine Verschiebung nach caudal beobachtet, da die meisten<br />

Primaten als Adulti den größeren Teil ihres Körpergewichtes auf den muskulöseren<br />

Hinterbeinen tragen (GRAND 1977; TURNQUIST u. WELLS 1994;<br />

KIMURA 1987, 2000; SHAPIRO u. RAICHLEN 2006; YOUNG 2012). Ob sich der<br />

Körpermasseschwerpunkt bei Säugetieren, die als Adulti über 50% ihres Körpergewichts<br />

auf den Vorderbeinen tragen (wie z.B. Hunde), während der Ontogenese auch<br />

von cranial nach caudal verschiebt oder eine Akzentuierung des ohnehin cranial<br />

liegenden Schwerpunktes erfolgt, wurde bisher nicht detailliert untersucht.<br />

Wenige Studien haben sich in der Vergangenheit mit den physiologischen<br />

Veränderungen und dem relativen Wachstum der Körperabschnitte, der sogenannten<br />

<strong>ontogenetische</strong>n Allometrie, während des postnatalen Wachstums des Hundes<br />

beschäftigt. WEISE (1964) und SCHULZE et al. (2003, 2007) beobachteten, dass<br />

Größenunterschiede zwischen den verschiedenen Rassen nicht aufgrund<br />

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