25.12.2013 Views

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

RELEVANZ ANSTATT WAHRHEIT? 93<br />

Aussagen über Gegenstände zu treffen, von denen <strong>wir</strong> kein <strong>wir</strong>kliches Wissen besitzen, sodass<br />

<strong>wir</strong> die Untermaxime der fundierten Annahme verletzen (weitere typische Beispiele wären<br />

„hier musst du dich links halten“, „Last-Minute-Flüge sind immer billiger“, „die<br />

Wirtschaftskrise ist schuld an der Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit in Spanien“,...). Solche Fälle erscheinen<br />

uns im Allgemeinen weniger problematisch als die Verletzung der Untermaxime der<br />

Wahrhaftigkeit (<strong>wir</strong> verzeihen Irrtümer, Lügen aber nur selten).<br />

Es wäre interessant, festzustellen, welches Bedürfnis sich in der alltäglichen Kommunikation<br />

normalerweise durchsetzt, relevant zu sein oder fundiertes Wissen zu vermitteln, aber allein<br />

die Tatsache, dass <strong>wir</strong> meistens nicht blind auf die Exaktheit des Wissens unserer<br />

Gesprächspartner vertrauen, lässt mich vermuten, dass <strong>wir</strong> uns irgendwie dessen bewusst<br />

sind, dass eine Äußerung nicht unbedingt wahr sein muss, nur weil sie uns relevant erscheint.<br />

Deshalb vertrauen <strong>wir</strong> eher auf Experten als auf Laien, überprüfen die Route auf unserem<br />

Navigationssystem, vergleichen Flüge das ganze Jahr hindurch und lesen Zei<strong>tun</strong>gen. Das<br />

schließt natürlich nicht alle möglichen Fehler aus (die arme Rosa könnte durchaus sterben),<br />

<strong>wir</strong> vertrauen häufig auch auf falsche Aussagen, aber es zeigt, dass es uns sehr wichtig ist,<br />

dass <strong>wir</strong> uns in <strong>wir</strong>klich wichtigen Fällen darauf verlassen können, dass die zweite<br />

Untermaxime befolgt <strong>wir</strong>d (deshalb empört uns auch der unfähige Arzt).<br />

Ich hoffe, dass meine Beispiele zeigen konnten, welche Probleme der normative Anspruch mit<br />

sich bringt, den Sperber und Wilson mit ihrer Relevanztheorie verbinden. Wir können uns<br />

nicht von einem reinen Relevanzprinzip leiten lassen, das komplett auf ein Konzept von<br />

Wahrheit verzichtet, weder wenn <strong>wir</strong> Sätze bilden, noch wenn <strong>wir</strong> etwas Gesagtes<br />

interpretieren.<br />

Ich bezweifle nicht, dass die Relevanzintention in vielen Fällen die Intention mit sich bringt,<br />

etwas Wahres zu sagen, da dies schließlich im Normalfall die Information ist, die für den<br />

Hörer die größtmögliche Relevanz hat. Auch möchte ich nicht das größere explanatorische<br />

Potential der Relevanztheorie <strong>bei</strong> anderen Aspekten der sprachlichen Kommunikation<br />

leugnen, etwa wenn es um die Festlegung des Bezugs geht. 5 Wenn <strong>wir</strong> aber die<br />

fundamentalsten Aspekte des Wesens unserer Kommunikation erklären wollen, müssen <strong>wir</strong><br />

feststellen, dass <strong>wir</strong> vor allem anderen erwarten, dass unsere Gesprächspartner uns wahre<br />

Informationen liefern. Erst nachdem diese Bedingung erfüllt ist, können <strong>wir</strong> beurteilen, ob<br />

die Maximen der Quantität, Modalität und, zusammenfassend, der Relevanz befolgt wurden.<br />

Die Tatsache, dass auch falsche Information relevant sein kann, darf uns nicht darauf<br />

schließen lassen, dass <strong>wir</strong> keinen Wahrhaftigkeitsanspruch haben, was sich ganz eindeutig<br />

zeigt, wenn <strong>wir</strong> über Sprecher urteilen, die die Maxime der Qualität verletzt haben. Man kann<br />

diese Maxime nicht durch das Relevanzprinzip ersetzen, ohne das gesamte Konzept der<br />

Bedeu<strong>tun</strong>g der Wahrheit in Frage zu stellen.<br />

Zusammenfassend können <strong>wir</strong> sagen: Die Übermaxime der Qualität zu befolgen ist ein<br />

fundamentaler Bestandteil einer glücklichen Kommunikation. Obwohl man auch dadurch,<br />

dass man etwas Falsches sagt, wichtige Informationen liefern kann, im Gegensatz zur<br />

Griceschen Auffassung, ist die Maxime konstitutiv für unsere Interpretation des Sprechaktes<br />

im Ganzen. Die offene Verletzung der Maxime im Falle der Ironie setzt voraus, dass <strong>wir</strong><br />

erwarten, dass sie befolgt <strong>wir</strong>d – ohne sie gäbe es überhaupt keine Ironie. Relevanz allein<br />

kann uns keinen ausreichenden Ersatz für Wahrhaftigkeit des Sprechers und Korrektheit<br />

seiner Information liefern. Wir erwarten Antworten, die nicht nur das Optimum an Relevanz<br />

erfüllen, sondern auch die ehrliche und fundierte Meinung des Sprechers ausdrücken. Gerade<br />

weil <strong>wir</strong> Konsequenzen aus den Äußerungen der Anderen ziehen, haben diese eine gewisse<br />

Verantwor<strong>tun</strong>g, aufrichtig zu antworten. Wenn <strong>wir</strong> als Sprecher die Maxime der Qualität<br />

verletzen, kann dies unerwünschte Folgen haben. In solch einem Fall ist es wohl kaum noch<br />

angebracht, vom Erfolg der Kommunikation zu sprechen.<br />

5<br />

Siehe bspw. Wilson und Matsui 1998.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!