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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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92 MARX<br />

schweren Fehler begangen hat und vielleicht für seinen Beruf nicht geeignet ist, und dass der<br />

Präsident sein Volk belügt und seines Amtes enthoben werden sollte. Das sind sozusagen<br />

moralische Konsequenzen, die direkt aus der Verletzung der Maxime der Qualität resultieren,<br />

in einem Fall aufgrund mangelnder Belege, im anderen aufgrund einer verdeckten Verletzung<br />

der Untermaxime der Wahrhaftigkeit.<br />

Die Aufrichtigkeit des Sprechers ist uns wichtig, unabhängig von der tatsächlichen Relevanz<br />

des Gesagten, und <strong>wir</strong> erwarten grundsätzlich, dass er dieser Norm folgt. Wir können keine<br />

Lügen als kooperatives Verhalten akzeptieren, nur weil aus ihnen die richtigen Konsequenzen<br />

folgen (d.h., die Interpretation des Hörers sich als wahr erweist). Daher plädiere ich für die<br />

Aufrechterhal<strong>tun</strong>g des Wahrheitsanspruches an das vom Sprecher Ausgedrückte anstatt einer<br />

Wahrheit der Konsequenzen.<br />

Wenn <strong>wir</strong> etwas fragen, erwarten <strong>wir</strong> nicht nur eine relevante, sondern vor allem eine<br />

wahrhaftige Antwort. In vielen Fällen erwarten <strong>wir</strong> außerdem, dass auch die andere<br />

Untermaxime befolgt <strong>wir</strong>d: der Sprecher soll uns etwas mitteilen, wenn er gute Gründe dafür<br />

hat, dies auch für wahr zu halten. Dieser Anspruch zeigt sich deutlich <strong>bei</strong> Fragen nach dem<br />

Wissenstand unseres Gesprächspartners. Eine Antwort auf die Frage „<strong>Was</strong> studiert Peter?“<br />

kann für uns nur relevant sein, wenn der Gefragte aufrichtig antwortet. Außerdem gehen <strong>wir</strong><br />

davon aus, dass Antworten wie „Peter studiert Physik“ auf Grundlage adäquater<br />

Beobach<strong>tun</strong>gen geäußert werden (und nicht aufgrund schwacher Inferenzen, wie z.B. dass<br />

Peter für den Sprecher ein typisches Physikergesicht hat).<br />

Wenn die Relevanzintention für den Sprecher an erster Stelle steht, kann dies sogar zu<br />

regelrechten Falschaussagen führen, wenn bspw. nach Meinungen oder Entscheidungen<br />

gefragt <strong>wir</strong>d.<br />

Betrachten <strong>wir</strong> mein letztes Beispiel:<br />

(12) Rosa: „Ich wollte mir zum Mittagessen eine Sardine zubereiten, die ich im<br />

Kühlschrank habe. Meinst du, die ist noch gut?“<br />

Theresa, die keine Ahnung vom Verfallsdatum frischen Fisches hat: „Wie lange ist<br />

sie denn schon da drin?“<br />

Rosa: „Nur zwei Tage.“<br />

Theresa: „Dann ist sie bestimmt noch gut.“<br />

Jeden Tag finden <strong>wir</strong> uns in Konversationen wieder, in denen <strong>wir</strong> uns ungewollt in Experten<br />

verwandeln, nur weil <strong>wir</strong> weiterhin relevant und kooperativ kommunizieren wollen. In<br />

Beispiel (12) hätte Theresa das Gespräch direkt nach Rosas anfänglicher Frage beenden<br />

können, indem sie zugibt, von dem Thema keine Ahnung zu haben. Stattdessen stellt sie eine<br />

ihr relevant erscheinende Frage – und tatsächlich ist die Frage auch durchaus relevant, denn<br />

hätte Rosa „zwei S<strong>tun</strong>den“ oder „zwei Jahre“ geantwortet, hätte selbst jemand wie Theresa<br />

Rosas erste Frage wahrheitsgemäß beantworten können.<br />

Allerdings hat Theresas Frage noch einen weiteren Effekt: Indem sie etwas Relevantes fragt,<br />

gibt Theresa zu, dass sie zumindest einen gewissen Grad an Wissen über die Materie besitzt,<br />

und sie lässt sich anschließend dazu hinreißen, ihr Expertentum durch ihr abschließendes<br />

Urteil zu bekräftigen, um nicht das Relevanzprinzip mit ihrer vorherigen Frage missachtet zu<br />

haben. Ihr Bedürfnis, etwas Relevantes zum Gespräch <strong>bei</strong>zutragen, hätte sie wahrscheinlich<br />

zu einer vollkommen gegenteiligen Antwort bewogen, wenn Rosa das Wörtchen „nur“ durch<br />

„schon“ ersetzt hätte. Dann hätte Theresa, kooperativ wie sie im Dialog nun einmal ist,<br />

bestimmt ein negatives Urteil gefällt.<br />

So aber nimmt sie in Kauf, dass Rosa an einer Fischvergif<strong>tun</strong>g zugrunde geht.<br />

Dieser Dialog, der wörtlich so stattgefunden hat, ist paradigmatisch für viele unserer<br />

alltäglichen Konversationen. Die Intention, relevant zu antworten, verführt uns dazu,

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