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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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RELEVANZ ANSTATT WAHRHEIT? 91<br />

dass die Maxime der Qualität eben nicht allen anderen Maximen übergeordnet sein muss, wie<br />

Grice uns <strong>glauben</strong> machen möchte). Es handelt sich wiederum um einen Fall von<br />

sprachlichem Pragmatismus, ebenso wie in (4).<br />

Dieser spezielle Fall liefert uns allerdings noch keine Rechtfertigung für die vollständige<br />

Abschaffung der Maxime, noch erlaubt er uns, künftig ein Konzept der Wahrheit als<br />

Konsequenz zu vertreten.<br />

Betrachten <strong>wir</strong> die folgenden Beispiele:<br />

(10) Arzt: „Sie haben Krebs im Endstadium.“<br />

Durch die Äußerung des Arztes zieht der Patient die Konsequenz, dass ihm nicht mehr viel<br />

Lebenszeit bleibt; entsprechend ändert er sein Verhalten (er macht sein Testament,<br />

verabschiedet sich von Freunden und Familie, etc.).<br />

Nun stellen <strong>wir</strong> uns jedoch vor, dass sich der Arzt geirrt hat: Der Patient hat keinen Krebs,<br />

sondern tatsächlich ein unheilbares Herzleiden, dass ebenfalls in kurzer Zeit zum Tode führt.<br />

Obwohl die Annahmen, die der Patient als Konsequenz aus der Äußerung des Arztes zieht,<br />

korrekt sind (in <strong>bei</strong>den Fällen bleibt ihm nicht mehr viel Zeit), hat der Arzt offensichtlich<br />

nicht die Wahrheit gesagt. Er hat die zweite Untermaxime verletzt, indem er etwas<br />

behauptete, für das er nicht die entsprechenden Belege hat. Sollte sich nach dem Tod des<br />

Patienten herausstellen, dass die Diagnose falsch war, <strong>wir</strong>d dies für den Arzt sicherlich Folgen<br />

haben. Obwohl der Arzt etwas für seinen Adressaten vollkommen Relevantes geäußert hat<br />

und dieser daraufhin die richtigen Schlüsse gezogen hat, wären <strong>wir</strong> über die Fehldiagnose<br />

empört, und unser Rechtssystem würde den Arzt abstrafen.<br />

Ähnlich liegt der Fall <strong>bei</strong><br />

(11) Der Präsident der USA: „Wir haben Beweise dafür, dass das Land X die Atombombe<br />

entwickelt.<br />

In Wirklichkeit liegen allerdings keine solchen Beweise vor; der Präsident äußert den Satz<br />

nur, um andere Ziele zu verfolgen, <strong>bei</strong>spielsweise, um durch einen Krieg an die Ölreserven<br />

des Landes X zu gelangen. Doch nachdem die USA in besagten Krieg eingetreten sind, stellt<br />

sich heraus, dass im Land X tatsächlich Experimente durchgeführt werden, die auf das<br />

Entwickeln von Nuklearwaffen abzielen. Bedeutet das, dass der Präsident nicht gelogen hat?<br />

Intuitiv lehnen <strong>wir</strong> es ab, eine Äußerung zu akzeptieren, die als Lüge gemeint war, nur weil sie<br />

sich später als wahr entpuppt. Der Arzt in (19) hat nicht absichtlich gelogen (und dennoch<br />

kann er bestraft werden); der Präsident in (11) hat jedoch bewusst die Untermaxime der<br />

Aufrichtigkeit verletzt, was uns zu moralischer Entrüs<strong>tun</strong>g führt, mit all ihren politischen<br />

Konsequenzen, obwohl seine Äußerung höchst relevant wahr. Wir könnten sogar sagen, dass<br />

<strong>wir</strong> besser dran sind, weil <strong>wir</strong> die Lüge geglaubt haben, da sie uns ja dazu bewegt hat, die<br />

gefährliche Wahrheit zu entdecken; die Äußerung war informativ, obwohl sie als Lüge<br />

gedacht war, um noch einmal auf meine Kritik an Grice zurückzukommen. Dennoch würden<br />

<strong>wir</strong> uns nicht mit der reinen Relevanz und Informativität der Aussage zufrieden geben – denn<br />

offenbar ist uns die Wahrhaftigkeit des Sprechers wichtiger.<br />

Man könnte mich an dieser Stelle dahingehend kritisieren, dass ich Ethik und<br />

Sprachphilosophie vermenge; allerdings sollte meiner Meinung nach ein pragmatischdeskriptiver<br />

Ansatz möglichst alle Aspekte unseres Sprachgebrauchs erfassen, wozu auch<br />

unser moralischer Anspruch an sprachliche Äußerungen gehört.<br />

Wir können uns problemlos weitere Fälle vorstellen, in denen aus Lügen wahre<br />

Konsequenzen gezogen werden (und natürlich auch das Gegenteil: dass aus wahren<br />

Äußerungen falsche Konsequenzen gezogen werden, z.B. aufgrund von Missverständnissen).<br />

Doch obwohl der Zustand der tatsächlichen Welt in (10) und (11) die aus den Falschaussagen<br />

gezogenen Konsequenzen rechtfertigt, besteht für uns kein Zweifel daran, dass der Arzt einen

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