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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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90 MARX<br />

Vertreter der Relevanztheorie versuchen anhand des Beispiels der Angaben von Uhrzeiten zu<br />

zeigen, dass rationale Sprecher natürlicherweise eher geneigt sind, sich möglichst relevant für<br />

den Adressaten anstatt strikt wahrheitsgemäß auszudrücken.<br />

Wenn <strong>wir</strong> im Alltag nach der Uhrzeit gefragt werden, neigen <strong>wir</strong> dazu, eher gerundete Zeiten<br />

anzugeben: Wir sagen „es ist zehn vor sechs“ und nicht „es ist 17.52 Uhr“. Da<strong>bei</strong> ist natürlich<br />

nicht davon auszugehen, dass <strong>wir</strong> absichtlich lügen. Die Autoren erklären dieses Phänomen<br />

damit, dass man zwischen der wörtlichen Aussage und dem Resultat ihrer Verar<strong>bei</strong><strong>tun</strong>g<br />

unterscheiden muss, also den Konsequenzen, die eine Aussage im Geist des Adressaten<br />

auslöst. Die wörtliche Bedeu<strong>tun</strong>g der Aussage „es ist zehn vor sechs“ ist zwar falsch, die<br />

Konsequenzen, die der Adressat daraus zieht, sind allerdings die richtigen (<strong>bei</strong>spielsweise,<br />

dass er noch Zeit für einen Kaffee hat).<br />

Ein Konzept der Wahrhaftigkeit im strikten Sinne lässt sich unter solchen Bedingungen<br />

natürlich nicht aufrecht erhalten, noch besteht die Notwendigkeit dazu, sondern man spricht<br />

in einem solchen Fall von der Wahrheit der Konsequenzen. Es soll an dieser Stelle noch<br />

einmal betont werden, dass es sich da<strong>bei</strong> nicht um Konsequenzen im Sinne physischer<br />

Aktionen handelt, sondern um die Annahmen, die die Adressaten aus dem Gesagten<br />

schließen. Die Bedeu<strong>tun</strong>g einer Äußerung ist, in Einvernehmen mit dem griceschen<br />

Programm, die Intention des Sprechers, und diese Intention richtet sich auf die<br />

Konsequenzen, die seine Aussage im Geist des Adressaten provozieren <strong>wir</strong>d (diese<br />

Konsequenzen sind auch identisch mit dem Informationsgehalt der Aussage).<br />

In der besagten Kommunikationssituation, nämlich einem Unbekannten die Uhrzeit zu<br />

nennen, gibt es zwei entgegengesetzte Bestrebungen, die für den tatsächlichen Sprechakt<br />

verantwortlich sind: Der Sprecher möchte zum einen seinen eigenen Aufwand möglichst<br />

gering halten, zum anderen aber dem Adressaten eine möglichst relevante Information<br />

vermitteln. Dies zeigt sich auch experimentell: In den von den Autoren durchgeführten<br />

Experimenten gaben 97% der Träger von Analoguhren die gerundete Zeit an, wo<strong>bei</strong> sie den<br />

eigenen Aufwand sowie auch den des Adressaten auf ein Minimum beschränkten; allerdings,<br />

und das ist wesentlich interessanter, gaben immer noch 57% der Digitaluhrträger eine<br />

gerundete Zeit an – das heißt, sie wichen bewusst von der strikten Wahrhaftigkeit ab, um ein<br />

Optimum an Relevanz für den Adressaten zu erzielen! Es scheint also, als ob Relevanz in der<br />

realen Kommunikation tatsächlich eine wichtigere Rolle spielt als die strikte Wahrheit.<br />

Andere von den Autoren durchgeführte Experimente <strong>bei</strong>nhalten das Fragen nach der Zeit um<br />

eine Uhr zu stellen sowie in Bezug auf einen zeitlich strikt festgelegten Termin. In <strong>bei</strong>den<br />

Fällen zeigte sich, dass die befragten Personen bemüht waren, so relevant wie möglich für den<br />

Fragesteller zu antworten: Sie hörten in weiten Teilen auf, die Uhrzeit auf- oder abzurunden<br />

und gaben stattdessen auf die Minute genaue Auskünfte.<br />

Solche Ergebnisse scheinen die Theorie der Autoren zu stützen, dass Relevanz tatsächlich in<br />

der alltäglichen Kommunikation eine wesentlich größere Bedeu<strong>tun</strong>g als Wahrhaftigkeit hat.<br />

Daher wenden sie sich gegen die Maxime der Qualität und plädieren stattdessen für eine Art<br />

Wahrheit der Konsequenzen (also der Annahmen, die der Adressat schlussfolgert).<br />

Sperber und Wilson 1995 vertreten eine ähnliche Ansicht:<br />

...truth of the conclusions seems more crucial to relevance than truth of the premises. 3<br />

If only true inputs were relevant, we would have to say that fictions were irrelevant. If<br />

truth of the output is what matters, then fictions can be relevant after all. 4<br />

Tatsächlich kann im speziellen Fall der Uhrzeitangaben der Exaktheitsgrad der<br />

Wahrhaftigkeit zugunsten der Relevanz vernachlässigt werden (und zeigt damit noch einmal,<br />

3<br />

Sperber und Wilson 1995: 264.<br />

4<br />

Ebd.: 265.

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