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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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RELEVANZ ANSTATT WAHRHEIT? 89<br />

An Tonfall und Mimik lässt sich leicht erkennen, dass die Mutter nicht <strong>wir</strong>klich begeistert ist.<br />

Welchen Sprecher aber soll sich das Kind denn nun vorstellen, der sich tatsächlich über seine<br />

Unachtsamkeit freut und es sogar auffordert, damit fortzufahren? Anstatt einen solchen<br />

Sprecher zu suchen, <strong>wir</strong>d das Kind intuitiv verstehen, dass die Mutter ihre Verärgerung mit<br />

anderen Worten ausdrückt, z.B. um ihre Ermüdung angesichts des ständigen Bedarfs an<br />

Schimpftiraden zu unterstreichen.<br />

Wilsons Ansatz zur Erklärung der Ironie ist nicht nur unangemessen kompliziert und<br />

widerspricht damit dem eigenen theoretischen Ausgangspunkt, er ist schlichtweg absurd.<br />

Dennoch widerspricht der Gebrauch von Ironie, der einen höheren kognitiven Aufwand von<br />

Seiten des Adressaten erfordert, nicht zwangsläufig dem Relevanzprinzip. Wir müssen nur<br />

das Konzept eines positiven kognitiven Effekts erweitern: dieser muss nicht immer unbedingt<br />

ein epistemischer sein, sondern kann Eigenschaften aufweisen, die andere kommunikative<br />

Absichten des Sprechers und Adressaten befriedigen, <strong>bei</strong>spielsweise ein unterhaltsamerer<br />

Redner zu sein oder sich der eigenen Intelligenz zu erfreuen. Die Motivation, Ironie zu<br />

gebrauchen, ist in vielen Fällen vergleichbar mit unserem Interesse an Kreuzworträtseln oder<br />

Fernsehsendungen wie Wer <strong>wir</strong>d Millionär?. Die Ironie be<strong>wir</strong>kt auch ähnliche kognitive<br />

Effekte wie fiktive Geschichten oder das Erzählen von Witzen, obwohl weiterhin ein Gedanke<br />

kommuniziert <strong>wir</strong>d, den der Sprecher für wahr hält.<br />

Die Maxime der Qualität <strong>wir</strong>d also weder außer Kraft gesetzt noch abgeschwächt, sondern auf<br />

überlegte und ostentative Weise verletzt, um verschiedene positive kognitive Effekte für den<br />

Adressaten zu erzielen.<br />

Dieses Konzept des positiven kognitiven Effekts geht natürlich weit über den<br />

Relevanzanspruch hinaus, wie ihn Sperber und Wilson formuliert haben. Es soll hier<br />

außerdem angemerkt werden, dass der Gebrauch von Ironie ohne die Maxime der Qualität<br />

wohl überhaupt nicht möglich wäre. Gerade weil <strong>wir</strong> annehmen, dass uns der Sprecher etwas<br />

Wahres mitteilen will, suchen <strong>wir</strong> einen passenden Gedanken, der durch die ironische<br />

Äußerung ausgedrückt <strong>wir</strong>d, und es freut uns nicht im Geringsten, wenn <strong>wir</strong> feststellen<br />

müssen, dass dieser Gedanke nicht wahr ist. Stellen <strong>wir</strong> uns vor, ein bekanntermaßen<br />

politisch Konservativer äußert auf ironische Weise folgenden Satz:<br />

(9) <strong>Was</strong> für ein Glück, dass es in Ägypten jetzt eine Diktatur des Proletariats gibt.<br />

In diesem Fall können <strong>wir</strong> nicht von einer offenen Verletzung der Untermaxime der<br />

Wahrhaftigkeit sprechen (obwohl diese Intention besteht), noch von ihrer verdeckten<br />

Verletzung (der Sprecher intendiert nicht, die Unwahrheit zu sagen), sondern von der<br />

Verletzung der zweiten Untermaxime, da der zu inferierende Gedanke („was für ein Unglück,<br />

dass...“) etwas Falsches <strong>bei</strong>nhaltet. Somit kann (9) nicht als geglückter Beitrag zur<br />

Kommunikation gewertet werden (obwohl er, wie im ersten Abschnitt erörtert, immer noch<br />

informativ sein kann!), und das Versagen des Sprechaktes im kommunikativen Kontext zeigt<br />

sich gewöhnlich an den Reaktionen der Adressaten: mangelndes Verständnis,<br />

Korrekturversuche, oder gar Verach<strong>tun</strong>g gegenüber dem falsch informierten Sprecher. Ohne<br />

die Maxime der Qualität kann weder der Erfolg noch das Scheitern der Ironie erklärt werden.<br />

Wie <strong>wir</strong> gesehen haben, bietet das Gricesche Programm durchaus befriedigende Erklärungen<br />

für den Gebrauch von Ironie; wenn <strong>wir</strong> das Konzept des positiven kognitiven Effekts<br />

entsprechend erweitern, kann sogar eine der Relevanztheorie sehr ähnliche Erklärung<br />

funktionieren. In keinem Fall aber besteht die Notwendigkeit, auf eine komplizierte<br />

Drittsprecher-Theorie zurückzugreifen, noch gibt es ausreichende Gründe dafür, die Maxime<br />

der Qualität abzuschaffen.<br />

3. Relevanz vor Wahrhaftigkeit: Das Beispiel Uhrzeit<br />

In ihrem Paper von 2002 argumentieren Van der Henst, Carles und Sperber ebenfalls für die<br />

Abschaffung der Maxime der Qualität zugunsten des allgemeinen Relevanzprinzips. Die drei

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