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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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668 SCHÄLIKE<br />

wohl aber – so scheint es –, ob sie absichtlich zu schnell fahren. Stellen <strong>wir</strong> uns jedoch einen<br />

dritten LKW-Fahrer vor, der in charakterlicher Hinsicht den anderen <strong>bei</strong>den gleicht. Auch er<br />

würde fahrlässig zu schnell fahren, wenn sich ihm die Gelegenheit böte. Aber sie bietet sich<br />

ihm nicht, da sein Motor nicht anspringt, mit der Folge, dass er nicht zu schnell fährt. Dass<br />

die <strong>bei</strong>den anderen die Absicht bildeten, zu schnell zu fahren, stand dann jedoch auch nicht<br />

unter ihrer Kontrolle, denn auch <strong>bei</strong> ihnen hätte etwas dazwischen kommen können, es war<br />

einfach Glück bzw. Pech, dass es nicht geschah. Und dies gilt für alle Faktoren, die man als<br />

Basis für das moralische Urteil heranziehen könnte. Es gilt etwa für Charakterdispositionen.<br />

Manchmal mögen <strong>wir</strong> die Absicht bilden, unseren Charakter zu verändern, aber auch <strong>bei</strong> der<br />

Bildung dieser Absicht hätte etwas dazwischen kommen können, sodass man uns diese<br />

Absicht – und damit auch den durch sie erzeugten Charakterzug – mangels Kontrolle nicht<br />

zugute halten kann. Hier zeigt sich Folgendes: Nimmt man das Kontrollprinzip ernst, so<br />

entgleitet einem der Bezugspunkt der moralischen Bewer<strong>tun</strong>g einer Person. Urteile über die<br />

moralische Qualität wären unmöglich und damit ein zentraler Aspekt der Moral<br />

gegenstandslos.<br />

2. Drei Formen moralischen Zufalls<br />

Auf das Problem des moralischen Zufalls sind unterschiedliche Reaktionen möglich. Man<br />

könnte das Kontrollprinzip akzeptieren und eine massive Revision unseres Selbstbildes und<br />

unserer moralischen Praxis in Kauf nehmen: Personen ließen sich moralisch nicht<br />

beurteilen. 5 Will man diese Revision vermeiden, so muss man das Kontrollprinzip ablehnen<br />

und den moralischen Zufall akzeptieren. Wie <strong>wir</strong> gesehen haben, schließen sich das<br />

Kontrollprinzip und der moralische Zufall aus: Die These, moralischer Zufall sei möglich, ist<br />

genau das, was das Kontrollprinzip bestreitet. Aber welche Formen des moralischen Zufalls<br />

sind möglich?<br />

Die Liste der Kandidaten enthält drei Einträge: 1. Bei resultatebezogenem Zufall (resultant<br />

luck) geht es um die unkontrollierten Handlungsfolgen. Fließen sie ins moralische Urteil ein,<br />

so lassen sich die ersten <strong>bei</strong>den Fahrer ungleich zu beurteilen, da ihr Handeln<br />

unterschiedliche Folgen hat. 2. Situationsbezogener Zufall (circumstantial luck) betrifft die<br />

Aus<strong>wir</strong>kungen der unkontrollierten Handlungssituationen. Erinnern <strong>wir</strong> uns an den dritten<br />

LKW-Fahrer, dessen Motor nicht anspringt. Seine Handlungssituation ist anders, und das hat<br />

zur Folge dass er nicht zu schnell fährt. Hält man ihm dies zu Gute, so könnte er, obgleich<br />

sein Charakter den gleichen Fehler hat, als besser gelten als die <strong>bei</strong>den anderen. 3.<br />

Konstitutiver Zufall (constitutive luck) fokussiert auf unkontrollierte Prozesse, die zur<br />

Bildung der Eigenschaften <strong>bei</strong>tragen, die uns als moralische Subjekte ausmachen,<br />

insbesondere unsere Charakterdispositionen. Konstitutiver moralischer Zufall liegt vor, wenn<br />

diese Dispositionen unsere moralische Qualität auch dann beeinflussen, wenn <strong>wir</strong> sie nicht<br />

kontrolliert erzeugt haben. Alle drei LKW-Fahrer müssten, da sie charakterlich gleich sind,<br />

gleich beurteilt werden. 6<br />

Ich möchte im Folgenden prüfen, welche Gründe für und gegen die einzelnen Formen<br />

sprechen. <strong>Was</strong> sie voneinander unterscheidet, lässt sich anhand der Rolle darlegen, die sie<br />

den Handlungen <strong>bei</strong>messen. Für resultatebezogenen Zufall sind auch unabsichtliche<br />

Handlungsfolgen für die moralische Qualität eines Akteurs relevant. Für situationsbezogenen<br />

Zufall zählen nur absichtliche Handlungen, genauer gesagt: Handlungsentscheidungen.<br />

5<br />

Zimmerman (2002) akzeptiert das Kontrollprinzip und plädiert für weitgehende Revisionen, übersieht<br />

jedoch m.E., wie weit diese gehen müssten.<br />

6<br />

Manchmal <strong>wir</strong>d kausaler Zufall (causal luck) als vierte Variante genannt (Nagel 1976, 35): Zufall<br />

bezüglich der Determination durch antezedente Umstände. Diese Zufallsform stellt jedoch lediglich eine<br />

Komposition von situativem und konstitutivem Zufall dar.

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