25.12.2013 Views

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

632 LÖSCHKE<br />

Hilfspflicht situative Hilfspflichten ergeben können. Zweitens ließe sich einwenden, dass der<br />

Grad an Verbindlichkeit von anderen Dingen abhängt als von der prinzipiellen Erfüllbarkeit.<br />

Drittens ist fraglich, ob der Begriff des Sollens überhaupt Abstufungen zulässt, wie ich es in<br />

meiner Darstellung angenommen habe, und viertens stellt sich die Frage, welchen<br />

theoretischen Nutzen die in diesem Aufsatz getroffene Unterscheidung hat.<br />

Zunächst zum ersten Kritikpunkt. Projektbezogene wie auch konstante Hilfspflichten sind<br />

dadurch gekennzeichnet, dass sie einzelne Handlungen in einen größeren<br />

Sinnzusammenhang überführen. Da<strong>bei</strong> sind die einzelnen Handlungen aber nicht so zu<br />

verstehen, dass sie allein mit Blick auf den größeren Sinnzusammenhang als Hilfehandlungen<br />

identifizierbar sind. Dass eine Person ihre Steuern zahlt, ist <strong>bei</strong>spielsweise nur dann als<br />

Hilfehandlung interpretierbar, wenn man weiß, dass die Steuern zur Bekämpfung des<br />

Welthungerproblems eingesetzt werden – hier handelt es sich um eine Handlung, die erst mit<br />

Blick auf den größeren Sinnzusammenhang in ihrem Charakter als Hilfehandlung<br />

verständlich <strong>wir</strong>d. Allerdings ließe sich auch der Fall denken, dass eine Akteurin in der Lage<br />

ist, ein verhungerndes Kind direkt vor dem Verhungern zu retten, indem sie ihr Nahrung gibt,<br />

und es stellt sich die Frage, ob es sich hier<strong>bei</strong> um das Einlösen einer situativen Hilfspflicht<br />

handelt oder um eine Handlung, die sich innerhalb des moralischen Projekts der Bekämpfung<br />

des Welthungerproblems stellt. Dies scheint die hier angeführte prinzipielle Differenzierung<br />

in Frage zu stellen.<br />

Zum diesem ersten Kritikpunkt lässt sich sagen, dass er ein allgemeineres<br />

handlungstheoretisches Problem anspricht. Handlungen können auf verschiedene Weisen<br />

beschrieben werden, und es ist nicht direkt klar, welche Handlungsbeschreibung die<br />

angemessenste ist. 11 Allerdings spricht meines Erachtens nichts von dem, was ich ausgeführt<br />

habe, gegen die Möglichkeit von situativen Hilfspflichten innerhalb von projektbezogenen<br />

oder konstanten Hilfspflichten. Es ist möglich, dass unter den Handlungen, die zur Erfüllung<br />

etwa einer konstanten Hilfspflicht ausgeübt werden müssen, auch solche sind, die sich als<br />

situative Hilfspflichten beschreiben lassen. Wenn es solche „Pflichten innerhalb von<br />

Pflichten“ gibt, gilt für sie, was für andere situative Hilfspflichten gilt: Sie haben prinzipiell<br />

einen höheren Verbindlichkeitsgrad im Vergleich zu Hilfspflichten, denen dieser situative<br />

Charakter abgeht.<br />

Der zweite mögliche Kritikpunkt lässt sich folgendermassen darstellen: Jemandem <strong>bei</strong> einer<br />

Reifenpanne zu helfen ist eine situative Hilfspflicht, da die Hilfeleis<strong>tun</strong>g zeitlich eingrenzbar<br />

ist. Es wäre allerdings unplausibel, der Hilfe <strong>bei</strong> einer Reifenpanne eine höhere normative<br />

Verbindlichkeit zuzusprechen als geforderten Handlungen im Kontext der Bekämpfung von<br />

Weltarmut, nur weil die entsprechende Handlung in die Klasse der situativen Hilfspflichten<br />

fällt. Die Bekämpfung des Welthungers ist moralisch dringlicher, weil hier wichtigere Güter<br />

als im Fall einer Reifenpanne auf dem Spiel stehen, und diese gütertheoretische Betrach<strong>tun</strong>g<br />

zeichnet somit bestimmte projektbezogene Hilfspflichten gegenüber situativen Hilfspflichten<br />

aus, die sich auf weniger wichtige Güter richten. Die Zugehörigkeit einer Hilfspflicht zu einer<br />

der vorgestellten Klassen sagt in dieser Perspektive nichts über ihren deontischen Status aus.<br />

Vielmehr muss der deontische Status einer Hilfspflicht mit Blick auf die in Frage stehenden<br />

Güter bestimmt werden.<br />

Dieser Einwand ist teilweise korrekt. Natürlich wäre es absurd anzunehmen, dass nur die<br />

Zugehörigkeit zu einer strukturell bestimmten Klasse Aufschluss über den deontischen Status<br />

einer Hilfspflicht gibt und inhaltliche Erwägungen vollkommen irrelevant sind. Meine<br />

Differenzierung und die Aussagen über die entsprechende normative Verbindlichkeit sind mit<br />

einer ceteris paribus-Klausel versehen: Wenn es zwei Hilfspflichten gibt, die sich auf die<br />

gleichen moralisch relevanten Güter beziehen, und wenn eine dieser <strong>bei</strong>den Hilfspflichten der<br />

Klasse der situativen Hilfspflichten angehört, während die andere in die Klasse der<br />

11<br />

Vgl. die Beispiele in Anscombe 2011.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!