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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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628 LÖSCHKE<br />

Vielmehr ist gemeint, dass sich die Hilfspflichten ihrerseits auf moralische Projekte beziehen.<br />

So wie die Projekte einer Einzelperson die Eigenschaft haben, bestimmte Einzelhandlungen<br />

dieser Person über die Zeit hinweg zu koordinieren und so in einen größeren<br />

Sinnzusammenhang zu überführen, strukturieren moralische Projekte die Einzelhandlungen<br />

verschiedener Akteure über die Zeit hinweg und überführen sie in einen größeren<br />

Sinnzusammenhang. Moralische Projekte fordern in diesem Verständnis Modelle moralischer<br />

Ar<strong>bei</strong>tsteilung, um die Einzelhandlungen von Personen angemessen zu koordinieren. Da<strong>bei</strong><br />

ist offen, ob diese Modelle eine Ar<strong>bei</strong>tsteilung zwischen Personen und Personen, zwischen<br />

Personen und Institutionen oder auch zwischen Institutionen und Institutionen vorsehen –<br />

hier gibt es je nach moralischem Projekt unterschiedliche Möglichkeiten. Entscheidend ist<br />

aber, dass eine koordinierte Ar<strong>bei</strong>tsteilung zwischen Akteuren stattfindet, um das<br />

entsprechende Projekt „abzuar<strong>bei</strong>ten“. Da<strong>bei</strong> ist wichtig, dass die Koordination der<br />

Einzelhandlungen über einen relevanten Zeitraum hinweg geschehen muss: Das<br />

angesprochene Beispiel des Verkehrsunfall fordert ebenfalls eine Form der Ar<strong>bei</strong>tsteilung<br />

zwischen Personen, allerdings ist diese Ar<strong>bei</strong>tsteilung zeitlich hinreichend eingeschränkt, um<br />

eher als situative Hilfspflicht zu gelten.<br />

Als Beispiel für eine projektbezogene Hilfspflicht kann die Bekämpfung des<br />

Welthungerproblems genannt werden. Wenn man um des Arguments willen annimmt, dass<br />

das Welthungerproblem grundsätzlich gelöst werden kann (was natürlich eine empirische<br />

Frage darstellt und an dieser Stelle nicht untersucht werden kann), dann ist es als<br />

moralisches Projekt anzusehen, weil zu erwarten ist, dass die Handlungen vieler einzelner<br />

Akteure über einen signifikanten Zeitraum hinweg koordiniert werden müssen, um es zu<br />

lösen. Die individuellen Beiträge der einzelnen Akteure (die Personen oder Institutionen sein<br />

können) müssen in diesem Sinne als projektbezogene Hilfspflichten interpretiert werden.<br />

Hilfspflichten, die sich auf die Beseitigung des Welthungerproblems richten, sind nicht das<br />

einzige Beispiel für projektbezogene Hilfspflichten. Diverse Formen von Solidaritätspflichten<br />

lassen sich ebenfalls als projektbezogene Hilfspflichten charakterisieren. Wenn etwa<br />

diskriminierte Frauen zusammenstehen, um sexistische Praktiken zu beenden, so handelt es<br />

sich um eine konzertierte Aktion, um ein moralisches Projekt zum Erfolg zu bringen, nämlich<br />

die Beendigung der sexistischen Praxis. Ist dieses Ziel erreicht, ist das Projekt „abgear<strong>bei</strong>tet“,<br />

und die entsprechende Hilfspflicht hört auf, eine zu sein – die Voraussetzung für ihr<br />

Entstehen ist beseitigt, und somit liegt das entsprechende moralische Projekt nicht mehr vor.<br />

Die dritte Form von Hilfspflichten sind konstante Hilfspflichten, auch wenn hier die<br />

Bezeichnung einer Hilfspflicht unter Umständen fehl am Platz ist. Situative und<br />

projektbezogene Hilfspflichten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie grundsätzlich erfüllt<br />

werden können, oder mit anderen Worten: Der Weltzustand, der die entsprechenden<br />

Hilfspflichten generiert, kann prinzipiell so verändert werden, dass es keinen Anlass zur<br />

entsprechenden Hilfspflicht mehr gibt – das ertrinkende Kind kann aus dem Teich gezogen<br />

werden, und der Welthunger kann beseitigt werden. Konstante Hilfspflichten unterscheiden<br />

sich in diesem Punkt sowohl von situativen als auch von projektbezogenen Hilfspflichten,<br />

denn es lässt sich nicht sinnvoll denken, dass der Weltzustand, der Anlass einer konstanten<br />

Hilfspflicht ist, so verändert <strong>wir</strong>d, dass die entsprechende Hilfspflicht sich nicht mehr stellt.<br />

Ein paradigmatisches Beispiel für diese Klasse von positiven Pflichten stellt die Förderung<br />

fremden Wohlergehens dar, also den klassischen Fall einer unvollkommenen Pflicht in der<br />

Kantischen Konzeption. Menschen sind Wesen, die auf die Hilfe anderer Personen<br />

angewiesen sind, um das eigene Wohlergehen zu erreichen – teilweise, weil andere Personen<br />

direkt zu ihrem Wohlergehen <strong>bei</strong>tragen (so sind gesunde persönliche Nahbeziehungen wohl<br />

integraler Bestandteil des gelingenden Lebens von nahezu jeder Person), teilweise weil die<br />

Güter, die Personen zum Wohlergehen brauchen, nur durch die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

verschiedener Personen erzeugt werden können – man denke an die Aufzählung<br />

verschiedener Güter im Leviathan, die allein durch Kooperation erzeugt werden können und

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