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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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624 LÖSCHKE<br />

Eine nonisomorphistische Position bestreitet dagegen die Möglichkeit einfacher<br />

Ergebnisübertragungen bzw. einfacher Analogieschlüsse von einer Situation auf eine andere.<br />

Es werden vielmehr strukturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von<br />

Hilfspflichten angenommen, die Unterschiede im normativen Status der entsprechenden<br />

Pflichten generieren können, und zwar unabhängig von den Gütern, die jeweils auf dem Spiel<br />

stehen. Dies bedeutet nicht, dass inhaltliche Erwägungen keine Rolle <strong>bei</strong> der Beurteilung des<br />

deontischen Status einer Hilfspflicht spielen, es bedeutet allerdings, dass solche Erwägungen<br />

nicht die einzige Rolle spielen und dass daher einfache Analogieschlüsse von einer Situation,<br />

in der eine Hilfspflicht auftritt, auf eine andere Situation, in der eine oder mehrere Personen<br />

hilfsbedürftig sind, unzulässig und daher zu vermeiden sind.<br />

Im Folgenden werde ich eine nonisomorphistische Position verteidigen, die strukturelle<br />

Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Hilfspflichten postuliert. Da<strong>bei</strong> werde ich<br />

neben den in der Literatur vertretenen und als normativ relevant bewerteten Eigenschaften,<br />

die verschiedenen Arten von Hilfspflichten zukommen und Unterschiede im normativen<br />

Status generieren, ein Unterscheidungskriterium vorschlagen, das so meines Erachtens noch<br />

nicht behandelt wurde, und zwar den Aspekt der prinzipiellen Einlösbarkeit der jeweiligen<br />

Hilfspflicht. Basierend auf diesem Kriterium werde ich eine Dreiteilung in verschiedene<br />

Formen von Hilfspflichten vorschlagen: Situative Hilfspflichten, projektbezogene<br />

Hilfspflichten und konstante Hilfspflichten. Beginnen werde ich mit einer kurzen Darstellung<br />

der isomorphistischen Gegenposition zu meinem Ansatz.<br />

2. Isomorphistische Konzeptionen positiver Pflichten<br />

Ein prominentes und viel diskutiertes Beispiel für einen isomorphistischen Ansatz stellt die<br />

Position von Peter Singer dar. In seinem einflussreichen Aufsatz Famine, Affluence, and<br />

Morality (Singer 1972) konstruiert Singer ein Beispiel, das mittlerweile klassisch geworden<br />

ist, und zwar das Teich<strong>bei</strong>spiel, in dem die Situation vorgestellt <strong>wir</strong>d, dass ein Passant an<br />

einem Teich vor<strong>bei</strong>kommt, in dem ein Kind ertrinkt und dessen Leben der Passant ohne<br />

große Kosten oder große Gefahr für sein eigenes Leben retten kann. In einer solchen Situation<br />

hat der Passant laut Singer (und wohl dem überwiegend großen Teil der Leserinnen und<br />

Leser, die sich mit Singers Argumentation auseinandersetzen) die Pflicht, in den Teich zu<br />

waten und das Kind herauszuziehen, auch wenn dies bedeutet, sich die Kleidung schmutzig<br />

zu machen. Das Leben des Kindes ist ein zentraleres Gut als die saubere Kleidung des<br />

Passanten, und daher herrscht hier eine starke Hilfspflicht. Singer stellt des Weiteren einen<br />

vieldiskutierten Analogieschluss zu der Hilfspflicht auf, Menschen in der Dritten Welt <strong>bei</strong> der<br />

Bekämpfung ihrer lebensbedrohlichen Armut zu helfen. Der Unterschied zwischen diesen<br />

<strong>bei</strong>den Fällen, so Singer, liegt allenfalls in der geographischen Distanz zwischen der<br />

Hilfeleistenden und dem Empfänger der Hilfeleis<strong>tun</strong>g: Im Teich<strong>bei</strong>spiel ist diese gering, im<br />

Fall der Hilfe angesichts des Welthungerproblems dagegen groß. Da räumliche Entfernung<br />

aber nach Singer normativ nicht relevant ist, sind die <strong>bei</strong>den Fällen gleich zu bewerten: Es ist<br />

jeweils Hilfe möglich, durch die zentrale Güter geschützt werden, ohne dass etwas<br />

Vergleichbares geopfert <strong>wir</strong>d. Die Hilfspflichten gegenüber Personen in der Dritten Welt<br />

haben denselben deontischen Status wie Hilfspflichten gegenüber ertrinkenden Kindern, und<br />

das moralische Vergehen <strong>bei</strong> Nichtbeach<strong>tun</strong>g wiegt in <strong>bei</strong>den Fällen gleich schwer.<br />

Singer möchte mit seinem Beispiel und dem von ihm angestellten Analogieschluss die<br />

Dringlichkeit demonstrieren, die nicht nur mit Blick auf ertrinkende Kinder, sondern auch<br />

mit Blick auf das Weltarmutsproblem besteht. Sein Ziel besteht darin, eine revisionistische<br />

Auffassung von positiven Pflichten zu begründen: Während für gewöhnlich die Hilfspflichten<br />

gegenüber Personen, die von Armut betroffen sind, als weniger dringlich im Vergleich zu<br />

Fällen wie dem des ertrinkenden Kindes eingeschätzt werden, möchte er den deontischen<br />

Status dieser Pflichten auf Distanz aufwerten. Dagegen macht Onora O’Neill auf ein Problem

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