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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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VORRANG DER MORAL 605<br />

unverzeihliche moralische Fehler. Und die Forderung an den Handelnden, den Lottogewinn<br />

zu opfern, um einem Bekannten die Hand zu schütteln (um dessen Kränkung aufgrund dieser<br />

Unhöflichkeit zu vermeiden), wäre so wenig verhältnismäßig, dass sie sich in unserer<br />

Alltagsmoral nicht wiederfindet – insbesondere deshalb, weil dieser Normverstoß leicht<br />

durch eine spätere Erklärung und Entschuldigung ausgeglichen werden kann. Etwas pointiert<br />

formuliert: Von einem Freund ernsthaft zu fordern, auf große persönliche Vorteile zu<br />

verzichten, damit ein Gruß entboten oder eine kleine Zusage eingehalten werde, scheint ein<br />

Ausmaß an Rigidität auszudrücken, das moralisch fragwürdig ist. Ist man nicht moralisch<br />

dazu verpflichtet, dem Freund den moralischen Lapsus zuzugestehen, wenn ihm ein solcher<br />

Gewinn winkt? Die Gegen<strong>bei</strong>spiele dieses zweiten Typs scheitern demnach daran, dass ihnen<br />

die Eigenschaft fehlt, eine Handlungsoption zu <strong>bei</strong>nhalten, für die ausschließlich<br />

nichtmoralische Gründe sprechen. Es stehen sich hier zwei Entscheidungsoptionen<br />

gegenüber, für die <strong>bei</strong>de moralische Gründe sprechen. Somit ergibt sich auch in diesem Fall<br />

kein Widerspruch zur Vorrangthese, weil diese keine normativen Implikationen für<br />

moralinterne Konflikte (Konflikte zwischen divergierenden moralischen Regeln) hat.<br />

Zusammengefasst: Beide Beispieltypen können nicht als Belege gegen die Vorrangthese<br />

angesehen werden, weil im ersten Fall gar keine konfligierenden Handlungsgründe bestehen<br />

und im zweiten Fall ein moralinterner Konflikt vorliegt, für den sich aus der Vorrangthese<br />

keine normativen Implikationen ergeben.<br />

7. Fazit<br />

Ich habe in dieser Untersuchung dafür argumentiert, dass die Vorrangthese einen<br />

Bedeu<strong>tun</strong>gsaspekt des Begriffs moralischer Gründe expliziert, der in unserem<br />

Alltagsverständnis der Moral fest verankert ist. Diese Vorstellung vom Vorrang der Moral ist<br />

da<strong>bei</strong> weder trivial (denn sie hat normative Implikationen und deshalb Folgen für unser<br />

moralisches Argumentieren) noch ist die Vorrangthese unverständlich (denn man kann<br />

sinnvoll darüber streiten, ob moralischen Gründen <strong>wir</strong>klich der Vorrang gegenüber<br />

nichtmoralischen einzuräumen sei oder nicht). Außerdem vermag die Vorrangthese in der<br />

hier vertretenen Form viele moralische Intuitionen zu integrieren, mit denen <strong>wir</strong> auf konkrete<br />

Situationen moralischen Entscheidens reagieren.<br />

Schließlich ist meine Argumentation mit der Tatsache verträglich, dass in revisionären<br />

Moraltheorien moralischen Gründen häufig kein Vorrang vor nichtmoralischen Gründen<br />

eingeräumt <strong>wir</strong>d. Dies muss nicht immer die tragischen Konsequenzen haben, die es für<br />

Thomas Buddenbrook hatte. Ein Vertreter einer solchen Theorie der Moral muss aber die<br />

Frage beantworten, welche guten Gründe dafür sprechen, die Vorrangthese zurückzuweisen,<br />

die – vergleichbar der Universalisierbarkeit moralischer Urteile – die alltägliche Verwendung<br />

unserer moralischen Grundbegriffe entscheidend mitbestimmt. 6<br />

Martin Hoffmann<br />

Universität Hamburg<br />

martin.hoffmann@uni-hamburg.de<br />

6<br />

Diese Untersuchung verdankt sich der intensiven Auseinandersetzung mit der inspirierenden Studie<br />

von Héctor Wittwer (2011). Für wertvolle Hinweise danke ich außerdem Ali Behboud, Stefan Waller,<br />

Fabian Wendt und Annette Wolf.

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