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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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594 HOFFMANN<br />

Das Ziel meiner Argumentation besteht darin, diese Kritik zu entkräften und eine plausible<br />

Version der Vorrangthese zu verteidigen. Da<strong>bei</strong> gehe ich in fünf Schritten vor: Ich stelle<br />

zunächst einige Überlegungen zum Status der Vorrangthese an und stelle fest, was daraus in<br />

Bezug auf ihre Begründung folgt (2). Daraufhin werden die <strong>bei</strong>den gegenwärtig<br />

meistdiskutierten Explikationsansätze der Vorrangthese voneinander abgegrenzt. Ich werde<br />

mich dagegen aussprechen, die Vorrangthese als allgemeines Vernunftgebot aufzufassen, und<br />

dafür votieren, sie als ein moralisches Gebot zu verstehen (3). Diesen Vorschlag werde ich<br />

dann gegen zwei wichtige Einwände verteidigen: gegen den Trivialitätseinwand von Foot (4)<br />

und den Unverständlichkeitseinwand von Wittwer (5). Abschließend werden zwei<br />

Fall<strong>bei</strong>spiele diskutiert, die in der Debatte häufig angeführt werden, um die Unplausibilität<br />

der Vorrangthese zu erweisen. Es <strong>wir</strong>d gezeigt, dass diese <strong>bei</strong> näherer Analyse nicht gegen<br />

den Vorrang der Moral sprechen (6).<br />

2. Der Status der Vorrangthese<br />

Kants Behaup<strong>tun</strong>g einer kategorial prioritären Verbindlichkeit moralischer Forderungen vor<br />

allen Regeln der Klugheit ist systematisch fundiert in seiner Theorie der Autonomie des<br />

Willens und der Heteronomie der Willkür. Während letztere durch Naturgesetze und<br />

Neigungen „pathologisch“ bestimmt <strong>wir</strong>d, gewinnt erstere ihre unbedingte Gel<strong>tun</strong>g aus der<br />

reinen (nicht empirisch affizierten) praktischen Vernunft allein (Kant 1788: 33ff.). Kants<br />

Vorrangthese ist somit tief eingebettet in seine Metaphysik der Moral. Sie hat im Rahmen<br />

dieser Konzeption lediglich den Status eines Korollars, das aus grundlegenden<br />

Vernunftprinzipien ableitbar ist.<br />

Daraus folgt aber nicht, dass sich die Vorrangthese nur vor dem Hintergrund von Kants<br />

Theorie der praktischen Vernunft oder eine vergleichbar anspruchsvollen Metaphysik der<br />

Moral verteidigen ließe. Ich werde im Folgenden eine weitaus bescheidenere<br />

Statusbestimmung der Vorrangthese vertreten, die sich an Richard Hares Rekonstruktion der<br />

Moralsprache orientiert. Hare nimmt an, dass unsere Moralsprache primär durch drei<br />

Bestimmungen zu charakterisieren sei: Neben Präskriptivität und Universalisierbarkeit<br />

moralischer Urteile verweist er auch auf deren Vorrang, den er unter dem Schlagwort<br />

„overridingness“ prominent vertreten hat (Hare 1981: 53–60). In diesem Zusammenhang<br />

grenzt Hare moralische Prinzipien von anderen handlungsrelevanten Prinzipien definitorisch<br />

ab wie folgt:<br />

A man’s moral principles, in this sense, are those which, in the end, he accepts to guide<br />

his life by, even if this involves breaches of subordinate principles such as those of<br />

aesthetics and etiquette. (Hare 1963: 169)<br />

Bevor ich auf den Status der Vorrangthese eingehen kann, ist vor dem Hintergrund der Zitate<br />

von Kant und Hare ein kurzer terminologischer Exkurs nötig. Denn offensichtlich besteht<br />

keine Einigkeit hinsichtlich des genauen Gehalts der These. Dies <strong>wir</strong>d augenfällig, wenn man<br />

danach fragt, welchen Gegenständen eigentlich der Vorrang zugeschrieben werden soll. Hare<br />

schreibt ihn an der zitierten Stelle moralischen Prinzipien, an anderer Stelle moralischen<br />

Urteilen zu (Hare 1981: 55). Kant schreibt ihn Prinzipien, Imperativen oder Maximen zu. All<br />

diese Optionen sind problematisch: Kants Begrifflichkeit <strong>wir</strong>d nur vor dem Hintergrund<br />

seiner Metaphysik der Moral verständlich, die im Folgenden nicht als notwendige Bedingung<br />

für die Gel<strong>tun</strong>g der Vorrangthese vorausgesetzt werden soll. Hares Prinzipienbegriff ist zu<br />

eng, weil gemeinhin nicht nur moralischen Regeln einer hohen Allgemeinheitsstufe (eben:<br />

Prinzipien), sondern auch spezialisierten Konkretisierungen moralischer Regeln Vorrang vor<br />

anderen speziellen Regeln der Klugheit oder Etikette zugeschrieben <strong>wir</strong>d. Die Bezugnahme<br />

auf Moralurteile ist dagegen zu weit, weil da<strong>bei</strong> auch gänzlich unbegründete oder falsche<br />

Moralurteile einbezogen würden. All diese Probleme werden durch eine theoretische Option

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