25.12.2013 Views

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

Thomas Buddenbrook und der Vorrang der Moral<br />

Martin Hoffmann<br />

Handelnde <strong>sollen</strong> in ihrem Handeln moralischen Gründen gegenüber anderen praktischen<br />

Gründen den Vorrang geben. – Diese Auffassung ist in der Ethik weithin akzeptiert. In der<br />

philosophischen Tradition ist Kant einer ihrer herausragenden Vertreter; in der modernen<br />

Metaethik hat sie Richard Hare an prominenter Stelle verteidigt. In jüngerer Vergangenheit<br />

ist die allgemeine Gel<strong>tun</strong>g der These vom Vorrang der Moral aber aus verschiedenen<br />

Gründen bezweifelt worden. Mein Ziel besteht darin, diese Kritik zu entkräften und eine<br />

plausible Version dieser These zu explizieren. Zunächst <strong>wir</strong>d der Status der Vorrangthese<br />

diskutiert. Es <strong>wir</strong>d dafür argumentiert, dass die Vorrangthese eine Behaup<strong>tun</strong>g ist, die in<br />

unserem alltäglichen Sprechen und Urteilen über moralische Gründe tief verankert ist. Vor<br />

diesem Hintergrund <strong>wir</strong>d dann die Frage gestellt, ob das in der Vorrangthese zum Ausdruck<br />

kommende Gebot ein allgemeines Vernunftgebot oder ein moralisches Gebot ist. Ich werde<br />

am Beispiel eines in Thomas Manns Buddenbrooks gestalteten Handlungsszenarios zeigen,<br />

dass sich die Vorrangthese sinnvoll als moralische Forderung interpretieren lässt.<br />

Abschließend werden zwei Fall<strong>bei</strong>spiele diskutiert, die die Kritiker der Vorrangthese<br />

vorbringen, um ihre Unplausibilität zu belegen. Es <strong>wir</strong>d dafür argumentiert, dass diese<br />

Fall<strong>bei</strong>spiele entgegen dem ersten Anschein keine schlagkräftigen Belege gegen die Gel<strong>tun</strong>g<br />

des Vorrangs der Moral darstellen.<br />

1. Einlei<strong>tun</strong>g<br />

Die Auffassung, dass Handelnde in ihrem Handeln moralischen Gründen gegenüber anderen<br />

praktischen Gründen den Vorrang geben <strong>sollen</strong> – im Folgenden: die Vorrangthese –, ist in<br />

der Ethik weithin akzeptiert. In der philosophischen Tradition ist Kant einer ihrer<br />

herausragenden Vertreter. So schreibt er in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten:<br />

Der hypothetische Imperativ sagt also nur, daß die Handlung zu irgendeiner möglichen<br />

oder <strong>wir</strong>klichen Absicht gut sei. Im erstern Falle ist er ein problematisch-, im<br />

zweiten assertorisch-praktisches Prinzip. Der kategorische Imperativ, der die<br />

Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d. i. auch ohne irgend einen<br />

anderen Zweck, für sich als objektiv nothwendig erklärt, gilt als ein apodiktischpraktisches<br />

Prinzip. (Kant 1785: 414–415)<br />

Und in der Kritik der praktischen Vernunft heißt es:<br />

Die Maxime der Selbstliebe (Klugheit) räth bloß an; das Gesetz der Sittlichkeit<br />

gebietet. Es ist aber doch ein großer Unterschied zwischen dem, wozu man uns<br />

anräthig ist, und dem, wozu <strong>wir</strong> verbindlich sind. (Kant 1788: 36)<br />

Offensichtlich schreibt Kant hier dem kategorischen Imperativ (dem Gesetz der Sittlichkeit)<br />

gegenüber hypothetischen Imperativen (bloßen Maximen der Selbstliebe) einen kategorial<br />

anderen Gel<strong>tun</strong>gsmodus zu, der moralischen Forderungen stets eine prioritäre<br />

Verbindlichkeit sichert. In jüngerer Vergangenheit ist die allgemeine Gel<strong>tun</strong>g der<br />

Vorrangthese aber aus verschiedenen Gründen bezweifelt worden. Zu nennen sind in diesem<br />

Zusammenhang vor allem Philippa Foot (1978a, 1978b), John L. Mackie (1977: 99–102),<br />

David Copp (1997) sowie – im deutschen Sprachraum – Dieter Birnbacher ( 2 2007: 40–42)<br />

und Héctor Wittwer (2010: 357–61; 2011).

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!