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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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PATERNALISMUS UND ENHANCEMENT 497<br />

Weicher Paternalismus hat hier durchaus einen legitimen Platz. Man sollte vor allem<br />

betrachten, wie weit <strong>wir</strong> die Autonomie eines Betroffenen unterstützen bzw. wiederherstellen<br />

<strong>sollen</strong>, wenn jemand in einer bestimmten Entscheidungssituation unter negativen Einflüssen<br />

leidet, die eine autonome Entscheidung behindern – und den Betreffenden unter die Schwelle<br />

drücken. Die restriktive, liberal geprägte Paternalismuskritik, welche John Stuart Mill folgt 28 ,<br />

würde meiner Ansicht nach in bestimmten Fällen sogar verpflichten, Autonomie (wieder)<br />

herzustellen. Das impliziert <strong>bei</strong>spielsweise, jemand mit den grundlegenden Informationen zu<br />

versorgen, auch wenn er diese evtl. nicht haben möchte, damit er überhaupt eine autonome<br />

Entscheidung treffen kann. Ebenso ist nötig, den Menschen mit den grundlegenden<br />

materiellen und geistigen Voraussetzungen für eine autonome Entscheidung auszustatten –<br />

etwa durch Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und ein genügendes Maß an Bildung.<br />

Jedoch sind dieser Art der Autonomie Grenzen gesetzt: Entscheidend für den Paternalisten<br />

ist hier, wann eine Person in ihrer Autonomie hinter dieser Schwelle zurückbleibt. In diesem<br />

Fall liegt keine Autonomie vor und ein weicher Paternalismus ist gerechtfertigt.<br />

Diese Deu<strong>tun</strong>g von Autonomie als Schwellenbegriff hat den Vorteil, dass sie eine prinzipielle<br />

Grenze für Eingriffe setzt. Der Wert der so verstandenen Autonomie erfordert, Personen und<br />

deren Entscheidungen grundsätzlich zu respektieren und ihren Status als Wesen zu achten,<br />

die ihr Leben selbst bestimmen können. Dadurch <strong>wir</strong>d eine private Sphäre garantiert, in der<br />

ein Mensch in Bezug auf sein eigenes Leben schalten und walten kann, wie er will – auch<br />

irrational, dumm oder irrtümlich. Dies entspricht der eingangs angesprochenen liberalen<br />

Idee, dass die Freiheit des Menschen grundlegend ist, und soweit als möglich respektiert<br />

werden muss, wenn nicht Dritte geschädigt werden.<br />

Diese Position steht dem Enhancement generell kritisch gegenüber, auch wenn es sich auf die<br />

Autonomie richtet: Ziel ist es, den Menschen in die Lage zu versetzen, dass er selbstbestimmt<br />

entscheiden kann – darüber hinaus sollte er aber frei entscheiden können, wie und was er<br />

wählt. Dies kann auch <strong>bei</strong>nhalten, eben nicht seine Fähigkeiten zu steigern, Fehler zu machen<br />

etc. Enhancement wäre hier also nur in dem sehr limitierten Bereich der<br />

Autonomieherstellung legitim.<br />

2.3.2.2 Autonomie als Ideal: „mehr ist besser“<br />

Man kann Autonomie allerdings auch graduell deuten. In diesem Sinn misst man die<br />

Fähigkeiten und Zustände eines Menschen an einem normativen Standard. Derjenige kann<br />

anhand dessen als mehr oder weniger autonom eingestuft werden. Dieses Verständnis von<br />

Autonomie ist insofern plausibel, als <strong>wir</strong> <strong>bei</strong> der Beurteilung von Entscheidungen häufig<br />

davon sprechen, eine Entscheidung sei mehr oder weniger X – z. B. klüger, dümmer,<br />

überlegter etc. So können <strong>wir</strong> von Menschen auch sagen, sie seien autonomer, weil sie ihre<br />

eigenen Wünsche besser ver<strong>wir</strong>klichen als andere.<br />

In der Diskussion um die o.g. Bounded Rationality <strong>wir</strong>d Autonomie zudem mit Rationalität<br />

gleichgesetzt. Sunstein und Thaler beziehen sich, wie ich meine, häufig auf ein graduelles<br />

Konzept von Rationalität in Fällen, in denen sie annehmen, der Mensch solle in der<br />

Umsetzung seiner Präferenzen maximal rational sein. So beschreiben sie das Ideal eines<br />

perfekt rational agierenden Entscheiders mit vollständigen, transitiven und symmetrischen<br />

Präferenzen, dem <strong>wir</strong> in der Realität mehr oder weniger entsprechen können.<br />

Autonomie in dieser Form ist also eng an das beschriebene Bild von Rationalität geknüpft. So<br />

kann man auch von mehr oder weniger autonomen Entscheidungen sprechen, gemessen an<br />

dem Standard für Rationalität, den man zugrunde legt.<br />

Wiederum lässt sich der Brückenfall auch in diesem Sinn deuten: Wenn man vollständige<br />

Information als Kriterium für Autonomie annimmt, dann folgt, dass der Mann in Bezug auf<br />

28<br />

vgl. Mill 1859

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