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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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HANDLUNGSFREIHEIT 487<br />

durch die Einsicht, dass x alles in allem betrachtet vor A gerechtfertigt ist, zu A motiviert<br />

<strong>wir</strong>d (vgl. Kant 1999 [1785]: 433). D.h. für Kant ist es eine notwendige Bedingung für die<br />

Autonomie einer Person, dass sie diejenigen Handlungen vollzieht, zu denen sie alles in allem<br />

Grund hat. Aber es sind gerade diese Handlungen – die Handlungen, zu denen sie alles in<br />

allem betrachtet Grund haben – an denen die Bürgerinnen und Bürger gemäß dem liberalen<br />

Prinzip nicht gehindert werden <strong>dürfen</strong>. <strong>Was</strong> der Liberalismus mittels des liberalen Prinzips<br />

wahren will, ist also nicht die individuelle Handlungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger<br />

tout court, sondern deren Möglichkeit, autonom zu handeln. Der Freiheitsspielraum, den<br />

Liberalismus sichert, ist der Raum individueller Autonomie.<br />

5. Ausblick<br />

Insgesamt haben meine Ausführungen dreierlei gezeigt: Dass man eine Person A genau dann<br />

als frei zu einer Handlung x ansehen sollte, wenn A nicht von anderen Personen an x<br />

gehindert <strong>wir</strong>d, wo<strong>bei</strong> A grundsätzlich in der Lage dazu sein muss, x auszuführen; dass<br />

staatliche Handlungen vor dem Hintergrund dieses Freiheitsbegriffs immer<br />

Freiheitseinschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger darstellen; und dass der<br />

Liberalismus nicht darum bemüht ist, die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger als Ganze zu<br />

schützen, sondern lediglich deren Möglichkeit zu autonomem Handeln sichern will.<br />

<strong>Was</strong> noch nicht gezeigt wurde, ist zum einen, ob der Liberalismus damit gerade denjenigen<br />

Teil der individuellen Handlungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger schützt, an dem diesen<br />

gelegen sein sollte, d.h. ob der Liberalismus den relevanten Teil individueller<br />

Handlungsfreiheit schützt. Um dies zu zeigen, müsste ich ausführen, was gut daran ist,<br />

autonom zu handeln – was allerdings den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde.<br />

Ebenfalls offen lassen muss ich an dieser Stelle, mit wie vielen und welchen staatlichen<br />

Handlungen und damit mit wie vielen und welchen Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit<br />

die Bürgerinnnen und Bürger eines liberalen Staates zu rechnen haben. Denn auch diese<br />

Überlegung – d.h. die Überlegung, welche staatlichen Handlungen vor allen Bürgerinnen und<br />

Bürgern zu rechtfertigen sind – würde zu viel Raum einnehmen, sofern man sie überhaupt<br />

ohne genauere Kenntnis des zu beurteilenden Staates bzw. der zu beurteiltenden<br />

Bürgerschaft anstellen kann.<br />

Aber zumindest einem Einwand möchte ich an dieser Stelle noch entgegentreten: Der eine<br />

oder die andere könnte die Tatsache, dass der Liberalismus den Bürgerinnen und Bürgern<br />

nur die Möglichkeit zu autonomem und das heißt zu vor ihnen alles in allem gerechtfertigtem<br />

Handeln einräumt, als ersten Schritt in die Tugenddiktatur verstehen. Sollte es den<br />

Bürgerinnen und Bürgern <strong>wir</strong>klich nur noch frei stehen, das zu <strong>tun</strong>, wozu sie Grund haben?<br />

Haben <strong>wir</strong> bspw. alles in allem betrachtet Grund dazu, unsere Wochenenden faul im Bett zu<br />

verbringen – und darf uns ein liberaler Staat, sofern das nicht der Fall ist, diese Handlung<br />

verbieten? Diese Sorge lässt sich meiner Ansicht nach dadurch entkräften, dass man sich<br />

bspw. an John Stuart Mills Ausführungen in „On Liberty“ erinnert (vgl. Mill 2008 [1859]:<br />

Kapitel 2 und 3). Dort weist Mill darauf hin, dass <strong>wir</strong> guten Grund dazu haben, den Menschen<br />

das Machen bestimmter Fehler – nämlich solcher, durch die niemand außer die Handelnde<br />

selbst geschädigt <strong>wir</strong>d – nicht zu verbieten. Denn nur aus selbst gemachten Erfahrungen<br />

kann der Mensch lernen und ein individuelles Leben entwickeln; und nur auf der Grundlage<br />

vieler individueller Erfahrungen und Lebensentwürfe kann Wissen erworben werden und<br />

gesellschaftlicher Fortschritt stattfinden. D.h. unter Umständen ist es alles in allem<br />

gerechtfertigt, die Bürgerinnen und Bürger selbst herausfinden zu lassen – und zwar auch<br />

mittels trial and error –, ob sie alles in allem betrachtet Grund dazu haben, sich aus dem Bett<br />

zu quälen oder eben nicht.

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