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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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CHANCENGLEICHHEIT IN DER BILDUNG BEI RAWLS 473<br />

Hand in Hand mit der Idee der Gleichheit der Personen geht, zweitens, die Idee, dass auf<br />

dieser Grundlage eine Gesellschaft realisiert werden soll, in der alle Personen gleichermaßen<br />

in sozialer, politischer und ökonomischer Sicht teilhaben können. Eine solche Gesellschaft ist<br />

nach Rawls einer Gesellschaft, in der die schlecht Gestellten Versorgung erhalten,<br />

vorzuziehen. Zwar würde Rawls den Bedürftigen, „die durch Zufälle oder Pech Verluste<br />

erleiden“, durchaus Beistand versichern (GaF, 217), aber diese Versorgung sollte in einer<br />

Gesellschaft, die sich als „faires System der Kooperation zwischen Bürgern“ versteht, „die als<br />

freie und gleiche Personen gesehen werden“ (GaF, 218), der Ausnahmefall bleiben.<br />

Der dritte Aspekt, der den Vorrang der Chancengleichheit motiviert, ist die Rolle von Bildung<br />

(und beruflicher Tätigkeit) für die Selbstach<strong>tun</strong>g, die Rawls als das „vielleicht wichtigste<br />

Grundgut“ bezeichnet (TdG, 479). Bildung und die Ausübung einer beruflichen Position<br />

bedeutet nach Rawls „Selbstver<strong>wir</strong>klichung in Form der Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten<br />

mit Können und Hingabe, einer der Hauptformen des menschlichen Wohles“ (TdG, 105).<br />

Rawls weist damit auf den Punkt hin, dass Ämter und Positionen nicht nur mit gewissen<br />

„äußeren Vorteilen“ (TdG, 105) einhergehen – da<strong>bei</strong> denkt er wohl an ein entsprechendes<br />

finanzielles Einkommen – sondern auch mit der Möglichkeit der Selbstver<strong>wir</strong>klichung. Es<br />

lässt sich argumentieren (vgl. Wallimann 2008, 16f.), dass die Ausübung von Ämtern und<br />

Positionen das Grundgut der Selbstach<strong>tun</strong>g fördert: Nach Rawls’ Konzeption der Person<br />

besitzen Personen eine Konzeption des Guten und wollen ihr Leben in Übereinstimmung mit<br />

den Grundsätzen praktischer Rationalität führen. Da<strong>bei</strong> streben sie danach, ihre Fähigkeiten<br />

einzusetzen und finden mehr Befriedigung, je komplexer und besser entwickelt diese sind<br />

(vgl. TdG, 480). Dementsprechend ist der Zugang zu Ämtern und Positionen notwendig, um<br />

die persönliche Konzeption des Guten zu ver<strong>wir</strong>klichen und damit eine notwendige<br />

Bedingung der Selbstach<strong>tun</strong>g.<br />

Darüber hinaus lässt sich auf die gesellschaftliche Konstitution der Selbstach<strong>tun</strong>g verweisen.<br />

Eine Person, die ein Amt kompetent ausübt, erfährt gesellschaftliche Anerkennung, die ihre<br />

Selbstach<strong>tun</strong>g stärkt. In diese Rich<strong>tun</strong>g weisen Rawls’ Bemerkungen, „daß man nur dann<br />

vom Wert seiner Bemühungen überzeugt sein kann, wenn sie von den Mitmenschen geschätzt<br />

werden“ (TdG, 480) und dass „Gruppenbindungen“ die Selbstach<strong>tun</strong>g stärken, „da sie ein<br />

Versagen weniger wahrscheinlich machen, und, wenn es doch vorkommt, dem Selbstzweifel<br />

entgegen<strong>wir</strong>ken“ (TdG, 481).<br />

Alle drei Punkte sind nur dadurch zu ver<strong>wir</strong>klichen, dass man dem Chancenprinzip Vorrang<br />

vor dem Differenzprinzip einräumt. Der Vorrang des Chancenprinzips basiert demnach auf<br />

wichtigen Grundideen der Rawlsschen Theorie und kann nicht einfach aufgegeben werden.<br />

Das Problem lautet zusammengefasst: Rawls’ ideale Theorie beansprucht, mit dem ersten<br />

und zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz und den Vorrangregeln die Prinzipien für eine<br />

„vollkommen gerechte[...] Grundstruktur“ (TdG, 277) zu liefern. Insbesondere <strong>bei</strong>nhaltet das<br />

Chancenprinzip die Forderung nach Chancengleichheit unabhängig von der sozialen<br />

Herkunft, wo<strong>bei</strong> dieses Prinzip dem der Garantie der Grundfreiheiten nach- und dem<br />

Differenzprinzip vorgeordnet sein soll. Doch die Gerechtigkeitsgrundsätze einschließlich der<br />

Vorrangregeln können nur vollständig umgesetzt werden, wenn vom Einfluss der Familie<br />

weitgehend abstrahiert <strong>wir</strong>d. Ideale Theorie sagt demnach zwar, dass Chancengleichheit eine<br />

Forderung der Gerechtigkeit ist, aber auf welche Weise sie angesichts der realen<br />

Bedingungen umgesetzt werden kann, bleibt offen.<br />

5. Realisierung der Chancengleichheit zwischen idealer und nichtidealer<br />

Theorie<br />

Die gerade geäußerte Kritik macht deutlich, dass Rawls’ ideale Theorie der Ergänzung durch<br />

Regeln einer nicht-idealen Theorie bedarf. Die Notwendigkeit der Ergänzung resultiert aus

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