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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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CHANCENGLEICHHEIT IN DER BILDUNG BEI RAWLS 467<br />

Ämtern und Positionen für alle Menschen gleichwahrscheinlich sein soll, sondern nur dass er<br />

für alle Menschen mit denselben natürlichen Fähigkeiten (ungefähr) gleichwahrscheinlich<br />

sein soll. Der zufällige Faktor der natürlichen Fähigkeiten darf also Rawls zufolge weiterhin<br />

eine diskriminierende Rolle <strong>bei</strong> der Vergabe von Ämtern spielen.<br />

Es lassen sich meines Erachtens zwei plausible Gründe für Rawls’ Position angeben. Erstens<br />

müssen nach dem ersten Gerechtigkeitsgrundsatz die Grundrechte und Grundfreiheiten einer<br />

Person geschützt werden. Zu diesen zählt auch die freie Berufswahl. Man kann nun eine<br />

Person, die für eine bestimmte Position die entsprechenden Begabungen mitbringt, z.B.<br />

pädagogisches Geschick vorweist, nach dem ersten Gerechtigkeitsgrundsatz nicht davon<br />

abhalten, den Lehrerberuf anzustreben. Bleibt zu begründen, warum die begabtere bzw.<br />

geeignetere Person <strong>bei</strong> der Bewerbung auf dieselbe Stelle der unbegabteren vorzuziehen ist.<br />

Das Effizienzargument, dass eine bessere Ausübung der Ämter und Positionen einer<br />

schlechteren vorzuziehen ist, und dadurch größerer gesellschaftlicher Wohlstand erreicht<br />

werden kann, steht Rawls nicht zur Verfügung, da Chancengleichheit gegenüber<br />

gesellschaftlicher Wohlfahrt Vorrang hat. Als Rawlssches Argument kann gelten, dass es die<br />

Ach<strong>tun</strong>g vor der Person erfordert, <strong>bei</strong> der Bewerbung einzig ihr Eignungspotential zu<br />

berücksichtigen. Andere Verfahren könnten dazu führen, die sozialen Grundlagen der<br />

Selbstach<strong>tun</strong>g zu untergraben. 4<br />

Ein zweiter Grund, der für Rawls’ Vorgehen spricht, von der Maximalforderung der<br />

Chancengleichheit Abstand zu nehmen, ist, dass die Realisierung der Chancengleichheit in<br />

diesem maximalen Sinn schlicht unmöglich zu sein scheint. Es scheint aussichtslos,<br />

Menschen mit völlig unterschiedlichen Fähigkeiten in die Lage zu versetzen, dass jede und<br />

jeder jeden beliebigen Beruf ausüben kann. Ob ein solches Szenario überhaupt<br />

wünschenswert ist, sei dahingestellt, aber es ist sicherlich unrealistisch. So erscheint es<br />

<strong>bei</strong>spielsweise sinnlos, einer Person mit „zwei linken Händen“ den Beruf eines Chirurgen<br />

zuzumuten.<br />

Das Chancenprinzip fordert also nur gleiche Chancen auf Ämter und Positionen unabhängig<br />

von gesellschaftlichen Zufälligkeiten und nicht unabhängig von natürlichen Zufälligkeiten.<br />

Rawls’ These, dass die Abhängigkeit der Einkommensverteilung von natürlichen Fähigkeiten<br />

unter moralischen Gesichtspunkten ebenso ungerecht ist wie die Abhängigkeit von<br />

gesellschaftlichen Zufälligkeiten, findet schließlich doch noch in seinem Differenzprinzip<br />

Berücksichtigung, das die „willkürlichen Wirkungen der natürlichen Lotterie“ mildern soll<br />

(TdG, 94). Dieses Prinzip besagt, dass „die besseren Aussichten der Begünstigten genau dann<br />

gerecht [sind], wenn sie zur Verbesserung der Aussichten der am wenigsten begünstigten<br />

Mitglieder der Gesellschaft <strong>bei</strong>tragen“ (TdG, 96). An einem Beispiel kann die Grundidee<br />

verdeutlicht werden: Das Prinzip der fairen Chancengleichheit besagt, dass zwei<br />

gleichermaßen begabte Personen die gleiche Chance haben <strong>sollen</strong>, Arzt zu werden, obgleich<br />

eine der <strong>bei</strong>den aus einer Familie stammt, in der die Eltern nicht studiert haben und nicht die<br />

finanziellen Mittel haben, ihrem Kind das Studium zu ermöglichen. Wenn jedoch aufgrund<br />

verschiedener natürlicher Fähigkeiten nur eine der <strong>bei</strong>den Personen dazu in der Lage ist, den<br />

Arztberuf auszuüben, während die zweite nicht die entsprechende Begabung besitzt, soll die<br />

zweite laut Differenzprinzip Vorteile aus der guten Stellung der ersten haben. 5<br />

4<br />

Vgl. zu diesem Punkt auch Wallimann 2008, 25, außerdem Sher 1988. Eine andere Möglichkeit, die in<br />

diesem Zusammenhang diskutiert <strong>wir</strong>d, ist die Einführung von Quoten, die ja gerade die Annahme in<br />

Frage stellen, dass nur Eignung bzw. Begabung der ausschlaggebende Faktor <strong>bei</strong> der Vergabe von<br />

Ämtern sein soll. Für eine Diskussion siehe Rössler 1993.<br />

5<br />

Es ist eine interessante Frage, ob aus Rawls’ Differenzprinzip impliziert, dass die weniger Begabten<br />

besonders gefördert werden sollten. Auf den ersten Blick scheint dies nahezuliegen, denn das<br />

Differenzprinzip richtet den Blick auf die am schlechtesten Gestellten in der Gesellschaft und fordert,<br />

deren Vorteile zu maximieren, d.h. auch im „Bildungswesen die Anstrengungen auf die Verbesserung<br />

der langfristigen Aussichten der am wenigsten Bevorzugten lenken“ (TdG, 122). Allerdings könnte dies

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