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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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PRIMITIVE NORMATIVITÄT 43<br />

Zur Beantwor<strong>tun</strong>g dieser Frage müssen <strong>wir</strong> zurück zu Ginsborgs Ausführungen gehen. Wie<br />

erkennt man, dass und ob ein Lebewesen empfänglich für primitive Normativität ist?<br />

Ginsborgs Ausführungen zum Regelfolgen-Problem enthalten keinerlei Feststellungen dazu,<br />

doch können ihre diesbezüglichen Erklärungen aus ihrer Wahrnehmungskonzeption<br />

übernommen werden. Über primitive Normativität in der Wahrnehmung behauptet<br />

Ginsborg, dass das beobachtete Sortierverhalten eines Kindes Rückschlüsse auf die<br />

Wahrnehmungsprozesse zulasse. Ein Kind, das Pyramiden in einer Schachtel sammelt und<br />

sich weigert Dreiecke in diese Schachtel werfen zu lassen, beschreibt Ginsborg<br />

folgendermaßen: Das Kind habe das Bewusstsein, dass die Pyramiden zusammengehören,<br />

dass es angemessen ist eine Pyramide zu Pyramiden zu sortieren, aber nicht angemessen ist<br />

ein Dreieck zu Pyramiden zu sortieren. Gleiches soll für das Fortsetzen der Addiere-zwei-<br />

Reihe gelten. Das Verhalten des Kindes lässt nach Ginsborg direkte Rückschlüsse auf interne<br />

Prozesse zu (Ginsborg 2006a: 364; Ginsborg 2006b: 419).<br />

Diese Methode der Zuschreibung eines Bewusstseins von primitiver Normativität <strong>bei</strong> einem<br />

Kind schließt jedoch weder die Möglichkeit, noch die Korrektheit der Zuschreibung von<br />

primitiver Normativität zu nicht-begriffsbegabten Tieren aus. Damit ihre Argumente Tiere<br />

von der Empfänglichkeit für primitive Normativität ausschließen, müsste Ginsborg<br />

<strong>bei</strong>spielsweise zusätzlich zeigen, dass eine Taube, die Farben sortieren kann, etwa blaue<br />

Perlen nicht aus der Schachtel mit grünen Perlen entfernen würde. Mit der aktuellen<br />

Diagnose-Methode allein kann Ginsborg nicht gegen die Zuschreibung von primitiver<br />

Normativität zu nicht-menschlichen Tieren argumentieren. 4<br />

<strong>Was</strong> bedeutet das für Ginsborgs Konzeption? Zuvorderst deuten diese Punkte auf eine<br />

problematische Unschärfe des Begriffs primitive Normativität: Es gibt Widersprüche<br />

zwischen der Gruppe der Lebewesen, denen Ginsborg primitive Normativität zuschreiben<br />

möchte, und der Gruppe der Lebewesen, denen primitive Normativität auf Basis von<br />

Ginsborgs Ausführungen zugeschrieben werden kann. Ein derart unscharfer Begriff, dessen<br />

Darstellung inkompatible Festlegungen enthält, kann nicht die definitive Grundlage für ein so<br />

kontrovers diskutiertes Problem wie das Regelfolgen-Problem bieten.<br />

Ginsborg könnte versuchen diesen Einwand mit Verweis auf eine Endnote in einem ihrer<br />

Aufsätze zu entkräften. Dort merkt sie an, dass sie nicht darauf verpflichtet sei primitive<br />

Normativität für Tiere auszuschließen (Ginsborg 2006b: 435, fn.32). Diese Antwort ist jedoch<br />

klarerweise ad hoc. Erstens erläutert Ginsborg nicht, warum diese Verpflich<strong>tun</strong>g nicht<br />

besteht. Zweitens <strong>wir</strong>d damit unverständlich, warum Ginsborg in ihren Haupttexten stets<br />

Tiere von Kindern in Hinsicht auf primitive Normativität unterscheidet (Ginsborg 2006a;<br />

Ginsborg 2006b; Ginsborg 2006c; Ginsborg 2011a; Ginsborg 2011b). Auch die Beschreibung<br />

ihrer Thesen über primitive Normativität als „anthropological claim“ (Ginsborg 2011b: 240)<br />

<strong>wir</strong>kt damit maximal fehlleitend und mindestens unmotiviert. 5<br />

4<br />

Versuche, das Bestehen von primitiver Normativität in anderen Kennzeichen zu verankern, drohen auf<br />

Einwände des Regelfolgen-Skeptikers zu treffen. Vgl. (Haddock 2012: 150)<br />

5<br />

Zwei weitere Reaktionen stehen Ginsborg offen. Erstens könnte sie korrigierend anmerken, dass sie<br />

gar nicht behaupte, dass primitive Normativität nicht-begrifflich sei. Sie behaupte nur, dass eine<br />

Theorie der Aneignung von Begriffen oder Regeln aus Erfahrung nicht schon den Besitz ebendieser<br />

voraussetzen dürfe, da sonst die Erklärung zirkulär sei (Ginsborg 2006a: 407f.). Damit sei nicht<br />

ausgeschlossen, dass das Subjekt nicht schon bestimmte Begriffe besitzt oder Regeln versteht. Eine<br />

solche teil-begriffliche Rekonstruktion würde sich allerdings weiteren eigenen Einwänden gegenüber<br />

sehen, vgl. dazu (Haddock 2012). Zweitens könnten Unterstützer Ginsborgs einwenden, dass einige<br />

Tiere durchaus empfänglich für primitive Normativität sind; <strong>bei</strong> ihnen ist primitive Normativität nur<br />

weniger komplex. Sie besitzen normativ aufgeladene Dispositionen, die oft im Kontext von anderen<br />

Dispositionen erfolgreich aktualisiert werden. Diese zweite Reaktion kann durchaus vorgebracht<br />

werden, doch sie wäre klarerweise nicht mehr in Übereinstimmung mit der Position, die in Ginsborgs<br />

Schriften entwickelt <strong>wir</strong>d (s.o.).

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