25.12.2013 Views

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

42 EL KASSAR<br />

Lebewesen auf fundamentale Weise von den Dispositionen von Menschen, denn laut<br />

Ginsborg sind erstere nicht mit primitiver Normativität verbunden. Wenn eine Taube Grünes<br />

zu Grünem sortiert, geht das nicht mit dem Bewusstsein einher, dass sie angemessen handelt<br />

oder so handelt, wie sie handeln sollte.<br />

Primitive Normativität findet sich nach Ginsborg nicht nur in der Fortsetzung von Reihen,<br />

sondern auch in Begriffs- und Spracherwerbsprozessen (ibid.: 235); sie geht noch weiter und<br />

betont, dass das Angemessenheits-Bewusstsein eine Bedingung für die Aneignung von<br />

Begriffen sei. Ein Kind könne die Begriffe grün oder auch Pyramide nur deswegen empirisch<br />

aneignen, weil es von primitiver Normativität begleitete Dispositionen, etwa zum Sortieren<br />

von einem grünen Stein zu anderen grünen Steinen, besitze (Ginsborg 2006a: 420). Genau<br />

darin liegt einer der zwei Vorteile, die Ginsborg in ihrer eigenen Konzeption im Vergleich zum<br />

Dispositionalismus und Anti-Reduktionismus erkennt: Erstens biete sie eine <strong>wir</strong>kliche<br />

Lösung für Kripkes Skeptiker, und zweitens könne sie erklären, wie Kinder Begriffe und<br />

Regeln lernen, nämlich auf Grundlage von primitiver Normativität.<br />

Ginsborgs Beispiele beschränken sich auf Kinder, aber sie betont, dass auch das Verhalten<br />

vollkompetenter Sprecher in primitiver Normativität gründet. Primitive Normativität und<br />

entwickelte [sophisticated] Normativität, die kompetenten Begriffsbesitz sowie<br />

Regelverstehen umfasst, koexistieren: Eine Erwachsene, die die Addiere-zwei-Regel<br />

beherrscht, betrachtet ihre Fortführung durch ‚42‘ nach ‚40‘ auch als angemessen simpliciter,<br />

unabhängig davon, ob sie in den vorherigen Teilen der Reihe die Regel befolgt hat (Ginsborg<br />

2011b: 234). Die These, dass auch die Erwachsene ein Angemessenheits-Bewusstsein hat,<br />

wenn sie die Zahlen-Reihe mit ‚42‘ fortführt, ist laut Ginsborg eine anthropologische These<br />

(ibid.: 240), die auf einer von uns allen geteilten „pretheoretical intuition“ basiere (ibid.). 3<br />

4. Einwände gegen Ginsborgs Theorie primitiver Normativität<br />

In diesem vierten Abschnitt werde ich nun drei Einwände hervorbringen, die Ginsborgs<br />

Theorie in Hinblick auf ihre innere Konsistenz sowie ihre Angemessenheit als Antwort auf<br />

den Regelfolgen-Skeptiker in Frage stellen.<br />

Der erste Einwand beginnt mit der Frage, was primitive Normativität überhaupt meint.<br />

Ginsborg definiert primitive Normativität als ein primitives Bewusstsein, ein Empfinden, das<br />

vorhergehendes Regel-Verstehen nicht voraussetzt (Ginsborg 2011b: 233). Genau diese<br />

besondere Eigenschaft, die Unabhängigkeit von einem vorausgehenden Regel- oder<br />

Begriffsverständnis, ist essentiell für eine der Funktionen, die laut Ginsborg ihre Theorie so<br />

hervorragend macht: Primitive Normativität ist nicht-begrifflich, da sie keinen Begriffsbesitz<br />

voraussetzt und ist damit die beste Grundlage für eine nicht-zirkuläre Erklärung der<br />

Aneignung von empirischen Begriffen und Regeln (ibid.: 238). Diese Facette von primitiver<br />

Normativität steht jedoch ganz offenbar in Spannung mit einer anderen Eigenschaft von<br />

primitiver Normativität: Ginsborg betont, dass nur Menschen für primitive Normativität<br />

empfänglich sind. Die Handlungen von Tieren sind ‚blind‘, ohne Angemessenheits-<br />

Bewusstsein (Ginsborg 2006a: 420; Ginsborg 2006b: 36of.; Ginsborg 2011a: 152; Ginsborg<br />

2011b: 237). Genauer betrachtet ist diese Ausgrenzung von Tieren jedoch unverständlich:<br />

Wenn Ginsborgs Aussagen zur Relation zwischen primitiver Normativität und Begriffsbesitz<br />

zu Ende gedacht werden, stellt sich die Frage, warum nicht-begriffsbegabte Tiere nicht<br />

genauso wie noch nicht begriffsbegabte Kinder empfänglich für primitive Normativität sind.<br />

Gibt es ein Zuschreibungskriterium, das Kinder erfüllen, Tiere aber nicht?<br />

3<br />

Ginsborg fügt hinzu: Nur Philosophen kämen auf die Idee die Fortführung durch ‚43‘ als<br />

gleichermaßen mit einem Bewusstsein von Angemessenheit, nämlich angemessen zu einer Quaddierezwei-Regel,<br />

verbunden vorzustellen (Ginsborg 2006a: 426).

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!