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Was sollen wir tun? Was dürfen wir glauben? - bei DuEPublico ...

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PRIMITIVE NORMATIVITÄT 41<br />

Zur Bear<strong>bei</strong><strong>tun</strong>g der zweiten Aufgabe führt Ginsborg das folgende Wittgenstein-inspirierte<br />

Beispiel ein: Man stelle sich ein Kind vor, das gelernt hat die Addiere-zwei-Reihe zu<br />

vervollständigen. Der Lernprozess erfolgte durch Beobach<strong>tun</strong>g und nicht durch explizite<br />

Instruktion. Im Szenario ist festgelegt, dass das Kind die Regel „Addiere-zwei“ nicht<br />

beherrscht, da ihm die dafür erforderlichen Begriffe fehlen. Nehmen <strong>wir</strong> nun an, dass das<br />

Kind die Reihe ‚… 36, 38, 40‘ mit ‚42‘ fortsetzen möchte. Wenn <strong>wir</strong> das Kind unterbrechen<br />

und fragen, warum ‚42‘ die nächste Zahl ist, <strong>wir</strong>d es keinen Grund angeben können. Dennoch,<br />

so betont Ginsborg, <strong>wir</strong>d es den möglichen Vorschlag ‚43‘ ablehnen und auf der Fortsetzung<br />

mit ‚42‘ insistieren, denn dieses ist seinem Empfinden nach die angemessene [„appropriate“<br />

(Ginsborg 2011b: 234)] Fortsetzung. ‚42‘ ist die Zahl, die es nennen sollte [„what she ought to<br />

say“ (ibid.)]. Ginsborg nennt dieses Empfinden feeling, awareness, oder auch consciousness<br />

und behandelt die Ausdrücke gleichbedeutend (Ginsborg 2006b; Ginsborg 2011a; Ginsborg<br />

2011b). Die Normativität, die sich im Insistieren manifestieren würde, ist laut Ginsborg eine<br />

primitive Normativität, denn dem Kind mangelt es an den Begriffen, die für die entwickelte<br />

[sophisticated] Normativität notwendig wären. Aus demselben Grund kann das Verhalten des<br />

Kindes auch nicht durch Regelbefolgung erklärt werden. Das Verhalten (des Kindes) muss<br />

vielmehr folgendermaßen erklärt werden: Es besitzt die Disposition die Zahlenreihe mit der<br />

Zahl ‚42‘ fortzusetzen. Diese Disposition ist jedoch normativ aufgeladen, da das Kind das<br />

Bewusstsein hat, dass ‚42‘ folgen sollte und ‚43‘ nicht folgen sollte. Diese normative<br />

Aufladung ohne Regelverstehen oder Begriffsbesitz <strong>wir</strong>d ausgedrückt durch primitive<br />

Normativität: „[Primitive normativity is] normativity which does not depend on conformity to<br />

an antecedently recognized rule.“ (Ginsborg 2011b: 233) Das ist die Antwort auf die zweite<br />

Aufgabe. Das Kind ist gerechtfertigt und besteht auf der Fortsetzung durch ‚42‘, weil es das<br />

primitive Bewusstsein hat, dass diese Fortsetzung der Reihe einfach angemessen ist. Damit<br />

ist es schlicht irrelevant, ob das Kind auf dem Weg durch die Zahlenreihe eine von ihm<br />

verstandene Regel befolgt hat und ob die Fortführung auf einer nicht-ambigen Tatsache<br />

beruht.<br />

Wie kann nun mit Hilfe von primitiver Normativität auf die erste Aufgabe geantwortet<br />

werden? Die Aufgabe war ein Faktum anzugeben, das festlegt, dass in der Addiere-zwei-Reihe<br />

etwa tatsächlich ‚42‘ folgen sollte und nicht ‚43‘. Wir brauchen, laut Ginsborg, jedoch gar<br />

nicht auf ein Faktum zu verweisen, da das primitive Bewusstsein des Kindes ausreicht: Für<br />

das Kind soll ‚42‘ folgen, weil nur diese Fortsetzung mit dem Angemessenheits-Empfinden<br />

des Kindes einher geht. Dieses Angemessenheits-Empfinden ist bezogen auf Angemessenheit<br />

simpliciter, unabhängig davon, ob das Subjekt die Regel für die Addiere-Zwei-Reihe bereits<br />

erfasst hat (ibid.: 234).<br />

Im Regelfolgen-Problem ist primitive Normativität also der Schlüssel, der laut Ginsborg die<br />

richtige Antwort auf Kripkes Skeptiker eröffnet. Ihre Antwort ist, wie sie es nennt, „partly<br />

reductionist“ und „naturalistic“ (ibid.: 230, 237): Das Fortsetzen von Reihen, aber auch<br />

Zählen und Sortier-Tätigkeiten, werden auf Dispositionen reduziert, die stets ‚begleitet‘ sind<br />

von primitiver Normativität. Ginsborg erklärt:<br />

The normative proviso builds into your disposition the feature that every response you<br />

are disposed to give involves a claim to its own appropriateness to the context in which<br />

you give it. (ibid.: 244)<br />

Beispiele für solche Dispositionen sind <strong>bei</strong> Menschen Sortier-Dispositionen (z.B. Grünes zu<br />

Grünem) und Zähl-Dispositionen (z.B. Reihen von geraden Zahlen). Darüber steht auf<br />

zweiter Ebene die Disposition auf eine bestimmte Weise auf „Training“ zu reagieren (ibid.:<br />

236). Diese Dispositionen teilen Menschen mit nicht-menschlichen Lebewesen. Auch sie<br />

haben die angeborene Disposition auf Training in einer gewissen Weise zu reagieren; z.B.<br />

Tauben, die trainiert wurden Perlen farblich zu sortieren und im richtigen Kontext dies auch<br />

<strong>tun</strong>. Die Dispositionen gehören zur Natur der jeweiligen Spezies, ob Taube oder Mensch<br />

(ibid: 237). Dennoch unterscheiden sich die Dispositionen von nicht-menschlichen

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