GAMM Rundbrief 2002/Heft 2
GAMM Rundbrief 2002/Heft 2
GAMM Rundbrief 2002/Heft 2
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
24<br />
<strong>GAMM</strong>-Jahrestagung <strong>2002</strong> in Augsburg<br />
Da gibt es zunächst einen Bericht für die 50-Jahr-Feier der <strong>GAMM</strong>, verfasst von den Kollegen<br />
Dörr, Görtler, Hämmerlin, Mettler und zusammengestellt von Herrn Gericke, in dem man<br />
einiges über die Gründung der <strong>GAMM</strong> nachlesen kann. Als Gründungstag gilt heute der 21.<br />
September 1922, auf den Namen Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik<br />
einigte man sich erst nach längerer Diskussion und Briefwechseln. Die Gründungsväter, allen<br />
voran Ludwig Prandtl und Richard von Mises, sahen damals die dringende Notwendigkeit, die<br />
Mathematik und Mechanik stärker mit den Anwendungen zusammenzubringen und zusätzlich<br />
die Kluft, die zwischen Mathematik und Mechanik besteht, zu überwinden. In diesem<br />
Zusammenhang schrieb Ende Februar 1921 Felix Klein, das erste Ehrenmitglied der <strong>GAMM</strong>,<br />
an den damals nicht unbeteiligten Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure, Herrn Mayer,<br />
einen Brief, dem ich folgendes entnehme:<br />
„Es ist mir eine Genugtuung und eine besondere Freude, dass sich die Ingenieure und<br />
Mathematiker zusammengefunden haben.“<br />
Und weiter:<br />
„Es scheint mir, dass hiermit eine besondere Aufgabe aller angewandten Mathematik<br />
bezeichnet ist, eine Aufgabe zudem, die der Denkweise und der Berufstätigkeit des<br />
schaffenden Ingenieurs besonders nahe liegt. Um in der Sprache unserer Pädagogen zu reden:<br />
Es ist recht eigentlich funktionales Denken, welches hier verlangt wird: Der volle Überblick<br />
über den Zusammenhang der Ergebnisse mit den jeweiligen Daten der Aufgabe.“<br />
Ich denke, dass diese Aussagen heute genauso modern sind wie vor 80 Jahren, als sie<br />
geschrieben wurden.<br />
Das Umfeld ist jedoch in den letzten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg schlechter<br />
geworden. Dazu bedurfte es nicht der Pisa-Studien, die Situation war und ist bekannt. Ich darf<br />
in diesem Zusammenhang an die Eröffnungsrede erinnern, die der viel zu früh verstorbene<br />
Kollege Prof. Becker aus Darmstadt, im Jahre 1975 in Göttingen gehalten hat. Ich zitiere:<br />
„Dass dies schließlich den Gedanken nahe legen könnte, die Mathematik als eine im<br />
wesentlichen nutzlose Kunst, die wegen schwerer Erlernbarkeit aber leider viel beschworene<br />
Chancengleichheit gefährdet, im Sekundarunterricht abzuschaffen oder sie wenigstens in eine<br />
zweitklassige Rolle zurückzudrängen, wie sie heute die alten Sprachen haben, erwähne ich nur<br />
am Rande. So absurd uns allen dieser Gedanke auch erscheinen mag, von maßgebenden<br />
Kulturpolitikern der Bundesrepublik ist als mittelfristiges Ziel die weitgehende Abschaffung<br />
des eigenständigen Faches Mathematik schon anvisiert worden (Literaturzitat Badische<br />
Neueste Nachrichten 1975).“<br />
Dies zur Situation der Schulen vor über 20 Jahren. Auch in den Hochschulen hat sich die<br />
heutige Situation damals bereits abgezeichnet. Auch hierfür Herr Becker:<br />
„Zu stark ist die Neigung, dem Computer nicht nur das Rechnen, sondern auch das Denken zu<br />
überlassen, zu wenig verbreitet die Einsicht, dass das, was aus dem Computer herauskommt,<br />
nie besser, aber oft noch schlechter ist, als das, was man hineinsteckt. Gerade die Fähigkeit,<br />
einen konkreten Sachverhalt in ein mathematisches Modell zu übersetzen, nimmt nach meiner<br />
Erfahrung immer mehr ab, obwohl bekannt sein sollte, dass mit der sachgerechten<br />
Mathematisierung eines Problems schon der erste, oft entscheidende Schritt zur Lösung getan<br />
ist.“