Nr. 141-Oktober 2009 - RotFuchs
Nr. 141-Oktober 2009 - RotFuchs
Nr. 141-Oktober 2009 - RotFuchs
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>RotFuchs</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong> Seite 3<br />
Gespensterdiskussion über den „Unrechtsstaat“<br />
Was ein DDR-Historiker der Hamburger „Zeit“ zu sagen hat<br />
Die Zeit“ hat in den Streit um den Begriff<br />
„Unrechtsstaat“ eingegriffen, den die<br />
Knabes aller Schattierungen der DDR als<br />
Kainsmal aufdrücken wollen. Mehrere<br />
Autoren kamen in den Spalten des Blattes<br />
zu Wort. Am 25. Juni war es Gesine<br />
Schwan, die schon zweimal Präsidentschaftskandidatin<br />
für die SPD gewesen<br />
ist. Unter dem Titel „In der Falle des<br />
Totalitarismus“ grüßte sie zunächst die<br />
„Geßlerhüte“ (Günter Gaus), wie bei diesem<br />
Thema fällig. Zugleich aber erhob sie<br />
berechtigte Einwände gegen den Begriff<br />
„Unrechtsstaat“. Einer davon: Er verprelle<br />
die Ostdeutschen. Wie wahr!<br />
Eine Woche später kam Marianne Birthler<br />
zu Wort. Der patentierungswürdige<br />
Titel „Liebe Ossiversteher!“ scheint ihre<br />
Wortschöpfung zu sein. „Ossis“ werden<br />
in der Regel nichts dagegen haben, wenn<br />
sie jemand verstehen will. Für einen „Ossi“<br />
ist es allerdings erstaunlich, mit welcher<br />
Vehemenz und Naivität Frau Birthler die<br />
Deutungshoheit über Begriffe beansprucht.<br />
Hat sie ein Überirdischer dazu auserkoren?<br />
Ist ihre Behörde eine Art Vatikan mit<br />
Unfehlbarkeitsanspruch? Kann sie überhaupt<br />
noch logisch und sachlich urteilen?<br />
„Warum identifizieren sich viele Ostdeutsche<br />
mit dem System, das sie einst bevormundete,<br />
unterdrückte und einsperrte?“,<br />
will die Dame wissen. Da nach eigenem<br />
Zeugnis Marianne Birthler solches Ungemach<br />
nicht begegnet ist, könnte es ja auch<br />
andere DDR-Bürger geben, die sich nicht<br />
„bevormundet, unterdrückt und eingesperrt“<br />
fühlten.<br />
Die „Zeit“-Artikel greifen spät in die<br />
„Erinnerungsschlacht“ um das DDR-Bild<br />
ein. Bereits am 26. April <strong>2009</strong> hatte Anne<br />
Will in ihrer Talkshow besondere Gäste:<br />
Innenminister Wolfgang Schäuble, den<br />
selbsternannten Papst der deutschen<br />
Historiker Hubertus Knabe und den mit<br />
seiner Rolle hadernden Ostdeutschen<br />
Wolfgang Thierse. Alle gemeinsam übten<br />
sich als Leichenfledderer in bezug auf die<br />
DDR und forderten, sie künftig nur noch<br />
als „Unrechtsstaat“ zu bezeichnen. Der<br />
Gesprächsteilnehmer aus der Linkspartei,<br />
Maurer, sollte das noch an Ort und Stelle<br />
tun, was ihm dann doch zuviel war.<br />
Die stellvertretende CSU-Generalsekretärin<br />
Dorothee Bär verlangte am nächsten<br />
Tag, daß diejenigen nicht mehr ungeschoren<br />
davonkommen sollten, welche<br />
„Unrecht“ von SED und „Stasi“ weiterhin<br />
leugneten. Wie die Strafe aussehen solle,<br />
sagte sie noch nicht. Am 27. April legte<br />
auch der MDR nach und machte in „Fakt“<br />
den „Unrechtsstaat“ zum Thema. Es gab<br />
kaum eine Zeitung, die nicht ihren Sermon<br />
beitrug. Die „Super-Illu“ prüfte, wie der<br />
Begriff von den Bürgern aufgenommen<br />
werde. Das Ergebnis: „Bei den Ostdeutschen<br />
ist er umstritten. Nur 28 % würden<br />
danach die DDR so bezeichnen. Und auch<br />
bei CDU-Wählern im Osten macht sich ihn<br />
nur eine Minderheit von 43 % zu eigen.“ Auf<br />
„Volkes Wille“ können sich die Birthlers<br />
und Knabes also nicht berufen.<br />
Der Artikel von Daniela Dahn im ND vom<br />
25./26. April „Das Urteil von den zwei<br />
deutschen Diktaturen“ distanzierte sich<br />
von den Ächtern und setzte so ein Achtungs-<br />
und Stoppzeichen.<br />
Stellen wir zunächst einmal fest: An Leuten,<br />
die sich kompetent fühlen, die DDR<br />
postum in eine Hölle zu verwandeln, fehlt<br />
es nicht. Die Frage ist nur: Warum gilt<br />
dieser Aufwand jemandem, der 20 Jahre<br />
tot ist? Oder handelt es sich um ein neues<br />
Wunder der Auferstehung?<br />
Sollten nicht erst einmal bestimmte Fragen<br />
geprüft werden, bevor man über den<br />
Begriff „Unrechtsstaat“ philosophiert?<br />
Wie kommt es, daß er nicht einmal im<br />
Duden vermerkt ist? Wer hat ihn denn<br />
wann und wo eingeführt?<br />
Wenn die DDR nicht erst nachträglich<br />
dazu gemacht wurde, sondern schon zur<br />
Zeit ihrer Existenz ein „Unrechtsstaat“<br />
gewesen sein sollte, ergäben sich weitere<br />
Fragen:<br />
Sind 1973 (im gleichen Verfahren mit je<br />
einer Gegenstimme) etwa ein Rechtsstaat<br />
BRD und ein „Unrechtsstaat“ DDR als<br />
gleichberechtigte Mitglieder in die UNO<br />
aufgenommen worden? Wurden die Verträge<br />
zwischen beiden deutschen Staaten<br />
stets zwischen einem Rechts- und einem<br />
Unrechtsstaat abgeschlossen? Hat Schäuble<br />
1990 eigentlich mit Beauftragten von Folterern<br />
und Mordbuben verhandelt? Wie<br />
konnte Richard von Weizsäcker Erich<br />
Honecker in seinem Garten spazierenführen,<br />
Helmut Schmidt ihn gar seinen<br />
„deutschen Bruder“ nennen?<br />
Hat es in der UNO jemals einen Beschluß<br />
gegeben, in dem die Politik der DDR gerügt<br />
wurde – ein Vorgang, den Israel permanent<br />
erlebte? BRD-Außenminister Hans-<br />
Dietrich Genscher hatte von 1974 bis 1990<br />
jährlich im September vor der UNO-Vollversammlung<br />
Gelegenheit, sein Urteil über<br />
den „Unrechtsstaat“ kundzutun.<br />
Warum hat er das damals nicht getan?<br />
War er zu feige? Mit wem hätte er Ärger<br />
bekommen?<br />
Die Zahl der Fragen ließe sich beliebig<br />
fortsetzen.<br />
Es bleibt dabei: Diskriminierende Vokabeln<br />
wie „Unrechtsstaat“ oder „Schurkenstaat“<br />
sind bloße Kampfbegriffe zur<br />
Diskriminierung des politischen Gegners<br />
und entstammen nicht der Terminologie<br />
des Völkerrechts.<br />
Wenn Pfarrer Schorlemmer sich zum<br />
„Unrechtsstaat“ DDR äußert, fällt mir<br />
noch anderes ein. Am 4. November 1989<br />
war er einer der 26 Redner auf dem Alexanderplatz.<br />
Er sagte damals, daß ohne<br />
die SED die Probleme nicht lösbar seien.<br />
Zwei Jahre später war er Anhänger der<br />
Idee, ein Tribunal zur Aburteilung von<br />
DDR-Politikern einzurichten. In der ND-<br />
Ausgabe vom 28./29. März <strong>2009</strong> prägte<br />
er den Satz: „Freilich wird nie zu verschweigen<br />
sein, was Bautzen und Waldheim<br />
bedeuten.“<br />
Wer verschweigt denn das? Was bedeuten<br />
beide Namen?<br />
Vergleichen wir: Es wird doch wohl ebenso<br />
wenig zu verschweigen sein, welche Vorstellungen<br />
sich mit Fuhlsbüttel und Moabit<br />
verbinden. Bestimmen Haftanstalten den<br />
Charakter eines Staates? Dann müßte der<br />
„Diktaturenvergleich“ auf die Gefängnisse<br />
konzentriert werden.<br />
Herrn Knabe genügte die Existenz der<br />
UHA Hohenschönhausen als „Beweis für<br />
den Unrechtscharakter der DDR“. Wollen<br />
wir sie mit Plötzensee und Stammheim<br />
vergleichen? Was bringt das?<br />
Schorlemmer hat in einem recht: „Die<br />
,Unrechtsstaats‘-Formel trägt nicht.“<br />
Noch eine Bemerkung zu Knabes Sermon:<br />
Das einzige, was er an der DDR positiv<br />
findet, ist Wolf Biermann. Ob dem Barden<br />
nun die Brust schwillt?<br />
Zuletzt: Die DDR besteht seit 20 Jahren<br />
nicht mehr. Matthias Platzeck diktierte dem<br />
„Spiegel“ (21/<strong>2009</strong>): „Die DDR ist seit 1990<br />
mausetot. Wir müssen sie nicht noch mal<br />
beerdigen.“ Ist es üblich (und anständig)<br />
einen Toten 20 Jahre nach seiner Beisetzung<br />
von Amts wegen zu verunglimpfen,<br />
wenn der Verleumdete sich nicht mehr<br />
wehren kann? Ist denn 1989 aller Anstand<br />
verschwunden? Könnte es sein, daß aus<br />
der Debatte außer Haß und Frust auch<br />
etwas Nützliches hervorginge? Ich habe<br />
einen Satz entdeckt, der weiterführte, aber<br />
er stammt nicht von Marianne Birthler<br />
oder Anne Wills Talkgästen, sondern aus<br />
den „Gefängnis-Notizen“ von Egon Krenz:<br />
„Es gibt nicht nur eine, d i e Sicht auf die<br />
DDR, sondern vermutlich so viele, wie<br />
dieses Land Köpfe zählte. Jeder hat seine<br />
eigenen Erfahrungen mit ihr. Wer ehrlich<br />
zu sich und seiner Umgebung ist, sollte<br />
seine individuellen Wahrnehmungen nicht<br />
zur allgemeingültigen, einzig zulässigen<br />
Beurteilung der DDR erheben.“<br />
Prof. Dr. Horst Schneider<br />
Am 25. <strong>Oktober</strong> spricht<br />
Peter Wolter<br />
von der Redaktion „junge Welt“ auf<br />
einer Veranstaltung der RF-Regionalgruppe<br />
Frankfurt/O in der Volkssolidarität,<br />
Fürstenwalder Straße 24, über<br />
das Thema<br />
Der Lügenberg – gegen die DDR<br />
mit allen Mitteln