2012_1 - Swissi

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15.02.2013 Aufrufe

Daniela Kuhn ist freischaffende Journalistin BR in Zürich. 44 Sicherheit Sécurité Sicurezza 2012_1 ARbeitssicheRheit Hitzige Emotionen bei Kundenreklamationen Beleidigungen, Beschimpfungen oder gar Drohungen dürfen nicht zum Alltag gehö- ren. Und doch: In verschiedenen Berufsbereichen kommt es zu Konflikten zwischen Angestellten und Kunden. Professionelles Verhalten hilft, eine Eskalation zu verhin- dern: Arbeitgeber sollten sich dafür einsetzen, dass Mitarbeitende so gut wie möglich vorbereitet sind. Für bestimmte Berufssegmente sind auch bauliche und technische Massnahmen angesagt. Die Polizei sollte besser zu früh als zu spät gerufen werden. Seinen Rückflug aus Dakar hatte der Mann verpasst. Gründe dafür gab es gleich mehrere: Als er am Flughafen eincheckte, war er bereits sehr spät dran. Sein Gepäck lag einiges über dem erlaubten Gewicht, bei der Sicherheitskontrolle verlor er zusätzlich Zeit, weil er Blumen mitführen wollte, was nicht erlaubt war. Aufgehalten vom Sicherheitspersonal kam es also, wie es kommen musste: Das Flugzeug flog ohne ihn. Auf diese Weise in Dakar gestrandet, rief der Mann das Reisebüro in der Schweiz an, bei dem er den Flug gebucht hatte. Völlig in Rage schrieb er bereits zu diesem Zeitpunkt die Schuld am Schlamassel dem Reisebüro zu. Die Angestellte, die ihn bedient hatte, erklärte, es gäbe nun zwei Möglichkeiten: Er könne die Airline um eine Ausnahme bitten, ihn beim nächsten Flug doch noch mitzunehmen, ansonsten müsse er einen neuen Flug buchen. Erstere Variante kam nicht infrage: Der Mann war gegenüber dem Check-in Personal verbal bereits dermassen ausfällig geworden, dass die Airline sich zu keiner Kulanz veranlasst fühlte. Schliesslich kaufte der Mann per Internet ein neues Ticket. Bereits am ersten Arbeitstag nach seiner Rück- kehr tauchte er im Reisebüro auf. Nach wie vor war er überzeugt, die Schuld am Vorfall liege bei der Airline und dem Reisebüro, das Reisebüro habe ihm die entstandenen Kosten also zu vergüten. Als die eingeschaltete Vorgesetzte des Reisebüros nicht darauf einging, äusserte der Mann in seiner Wut, er sei Metzger, auf die Schaufenster könne das Reisebüro schon mal aufpassen. Und die Dame (welche ihn bedient hatte), egal wo sie sich gerade aufhalte, werde er schon noch finden und zur Rechenschaft ziehen. Nach diesen Drohungen informierte die Filialleiterin, besorgt um W die Sicherheit ihrer Mitarbeiter, die Polizei. Eine Woche verging. Es gab ein zweites Gespräch in Anwesenheit der Angestellten und der Filialleitung. Der Mann war bereits wesentlich ruhiger. Das Reisebüro reichte für den Kunden eine Reklamation bei der Airline ein, allerdings mit wenig Aussicht auf Erfolg. Die Polizei musste nicht eingreifen. Immer wieder gibt es solche oder ähnliche Fälle, manchmal wehrt sich ein Kunde zu Recht, manchmal nicht. Aber ob im Recht oder nicht: Kunden, die Beleidigungen, Beschimpfungen oder gar Drohungen ausstossen, sind höchst unangenehm. In den letzten Jahren scheinen Konflikte zwischen Angestellten und aggressiven Kunden zugenommen zu haben (siehe Interview). Die Gründe für diese Veränderung sind vielfältig. «Das Selbstverständnis der Kunden hat sich in jüngster Zeit geändert», sagt Albert Vollmer. Der Arbeits- und Orga- W Sie bedrohen mich. Das liegt nicht drin! nisationspsychologe an der ETH meint, die Konkurrenz in den verschiedenen Sparten sei grösser geworden, nicht zuletzt mit dem Internet. «Der Kunde erlebt sich heute in einer aktiveren Rolle: Er hat ein höheres Be- wusstsein für Qualität, höhere Ansprüche an Produkt und Service und er weiss um die Relevanz von Reklamationen.» Aus Angst vor aggressiven Kunden haben grössere Geschäfte Massnahmen getroffen: In Shoppingcenter etwa wird, sobald jemand unangenehm auffällt, ein bestimmter Code ausgerufen. Sofort tauchen mehrere Männer auf, die um die auffällige Person einen Kreis bilden. Laut Auskunft von Roger Grab, Fachberater Kriminalprävention, rückt die Stadtpolizei Zürich häufig wegen Konflikten zwischen Angestellten

und Kunden aus: «Im heutigen rauen Klima sind Beleidigungen keine Seltenheit», sagt Roger Grab. Wenn zu den Beschimpfungen dann auch noch Drohungen oder Nötigung hinzukommen, sei es am Platz, die Polizei zu rufen. «Lieber zu früh als zu spät», meint Grab. Massive Drohungen würden aber nicht oft ausgesprochen. Es stellt sich allerdings die Frage, woran zu erkennen ist, ob eine Drohung ernst zu nehmen sei. Rechtlich gesehen, sagt Grab, müsse die Drohung beim Gegenüber «Angst und Schrecken» auslösen: «Wenn dies der Fall ist, sollte Anzeige erstattet werden, dann können wir den Fall verfolgen.» Bedrohlichen Situationen besonders ausgesetzt sind Personen, die schlechte Nachrichten überbringen müssen. Auf Sozialämtern wird den Klienten beispielsweise mitgeteilt, dass sie weniger Geld erhalten. Heikle Situationen können sich auch im Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) ereignen oder in Institutionen, welche die Kreditwürdigkeit von Personen und Firmen einstufen. Um die Menschen zu schützen, die an solchen Orten arbeiten, werden immer öfter bauliche und technische Massnahmen ergriffen. «Die Büros sollten so eingerichtet sein, dass dem Angestellten, der bedroht wird, ein Fluchtweg offen steht», sagt Uwe Maier. Der Berater bei der Swissi AG erwähnt noch eine weitere bauliche Massnahme: «Idealerweise, wenn die Büros nebeneinander liegen, können Milchglaswände eingebaut werden, bis auf eine bestimmte Höhe. Wenn die Personen sitzen, sieht der Büronachbar nichts. Sobald aber jemand aufsteht, ist die Sicht frei, kann, wenn nötig, Hilfe mobilisiert werden.» Solche baulichen Veränderungen sind kostspielig. «Manche Verantwortliche wollen nicht umbauen», sagt Uwe Maier: «Sie ziehen dann vielleicht eine technische Lösung vor. Etwa die sogenannte Bedrohungstaste. Sie befindet sich unter dem Arbeitstisch und kann auch mit dem Knie betätigt werden.» Am Empfang, beim Hausdienst oder direkt bei der Polizei leuchtet dann ein Licht. Der Alarm ist somit lautlos, die bedrohende Person merkt nichts. Ein lauter Alarm könnte beim po- tenziellen Täter eine Kurzschlussreaktion auslösen, aus diesem Grund ist der Alarm meist lautlos. «In der Regel beruhigt sich die Situation, sobald eine zweite Person hinzukommt», sagt Maier. Die Stadtpolizei Zürich empfiehlt auf einem Merkblatt zum Thema «Gewalt am Arbeitsplatz» konkrete Tipps, welche die Sicherheit erhöhen (www. stadtpolizei.ch/praevention). Zuoberst auf der Liste stehen: respektvoller Umgang mit dem Gegenüber, aufmerksames Zuhören, sachliches Begründen von Entscheiden, offene und verständliche Gesprächsführung. Die Stadtpolizei empfiehlt zudem, den Arbeitsplatz sicher einzurichten. Er soll «übersichtlich und freundlich» sein. Gefährliche Gegenstände wie Brieföffner oder Aschenbecher gehören weggeräumt. Die Sitzordnung soll Distanz ermöglichen. Und auch die Stadtpolizei rät zu Fluchtwegen, allerdings nicht nur für die bedrohte, sondern auch für die bedrohende Person. Auf dem Merkblatt der Stadtpolizei finden sich zudem Tipps, welche die Atmosphäre positiv beeinflussen: «Führen Sie schwierige Gespräche nicht zu Randzeiten. Bereiten Sie sich gut auf sie vor, und informieren Sie vorab eine Kollegin oder einen Kollegen. Vermeiden Sie Wartezeiten. Hören Sie aktiv zu, fragen Sie bei Unklarheiten nach. Achten Sie auf Ihre Körpersprache: Sie soll Aufmerksamkeit und Respekt ausdrücken.» Ob im Recht oder nicht: Kunden, die beleidigungen,beschimpfungen oder gar Drohungen ausstossen, sind höchst unangenehm. iStockphoto Sicherheit Sécurité Sicurezza 2012_1 45

Daniela Kuhn<br />

ist freischaffende<br />

Journalistin BR in<br />

Zürich.<br />

44 Sicherheit Sécurité Sicurezza <strong>2012</strong>_1<br />

ARbeitssicheRheit<br />

Hitzige Emotionen bei<br />

Kundenreklamationen<br />

Beleidigungen, Beschimpfungen oder gar Drohungen dürfen nicht zum Alltag gehö-<br />

ren. Und doch: In verschiedenen Berufsbereichen kommt es zu Konflikten zwischen<br />

Angestellten und Kunden. Professionelles Verhalten hilft, eine Eskalation zu verhin-<br />

dern: Arbeitgeber sollten sich dafür einsetzen, dass Mitarbeitende so gut wie möglich<br />

vorbereitet sind. Für bestimmte Berufssegmente sind auch bauliche und technische<br />

Massnahmen angesagt. Die Polizei sollte besser zu früh als zu spät gerufen werden.<br />

Seinen Rückflug aus Dakar hatte der Mann<br />

verpasst. Gründe dafür gab es gleich mehrere:<br />

Als er am Flughafen eincheckte, war er bereits<br />

sehr spät dran. Sein Gepäck lag einiges über<br />

dem erlaubten Gewicht, bei der Sicherheitskontrolle<br />

verlor er zusätzlich Zeit, weil er Blumen mitführen<br />

wollte, was nicht erlaubt war. Aufgehalten<br />

vom Sicherheitspersonal kam es also, wie es kommen<br />

musste: Das Flugzeug flog ohne ihn.<br />

Auf diese Weise in Dakar gestrandet, rief der Mann<br />

das Reisebüro in der Schweiz an, bei dem er den<br />

Flug gebucht hatte. Völlig in Rage schrieb er bereits<br />

zu diesem Zeitpunkt die Schuld am Schlamassel<br />

dem Reisebüro zu. Die Angestellte, die ihn<br />

bedient hatte, erklärte, es gäbe nun zwei Möglichkeiten:<br />

Er könne die Airline um eine Ausnahme<br />

bitten, ihn beim nächsten Flug doch noch mitzunehmen,<br />

ansonsten müsse er einen neuen Flug<br />

buchen. Erstere Variante kam nicht infrage: Der<br />

Mann war gegenüber dem Check-in<br />

Personal verbal bereits dermassen<br />

ausfällig geworden, dass die Airline<br />

sich zu keiner Kulanz veranlasst<br />

fühlte.<br />

Schliesslich kaufte der Mann per Internet<br />

ein neues Ticket. Bereits am<br />

ersten Arbeitstag nach seiner Rück-<br />

kehr tauchte er im Reisebüro auf. Nach wie vor<br />

war er überzeugt, die Schuld am Vorfall liege bei<br />

der Airline und dem Reisebüro, das Reisebüro<br />

habe ihm die entstandenen Kosten also zu vergüten.<br />

Als die eingeschaltete Vorgesetzte des Reisebüros<br />

nicht darauf einging, äusserte der Mann in<br />

seiner Wut, er sei Metzger, auf die Schaufenster<br />

könne das Reisebüro schon mal aufpassen. Und<br />

die Dame (welche ihn bedient hatte), egal wo sie<br />

sich gerade aufhalte, werde er schon noch finden<br />

und zur Rechenschaft ziehen. Nach diesen Drohungen<br />

informierte die Filialleiterin, besorgt um<br />

W<br />

die Sicherheit ihrer Mitarbeiter, die Polizei. Eine<br />

Woche verging. Es gab ein zweites Gespräch in<br />

Anwesenheit der Angestellten und der Filialleitung.<br />

Der Mann war bereits wesentlich ruhiger.<br />

Das Reisebüro reichte für den Kunden eine Reklamation<br />

bei der Airline ein, allerdings mit wenig<br />

Aussicht auf Erfolg. Die Polizei musste nicht eingreifen.<br />

Immer wieder gibt es solche oder ähnliche Fälle,<br />

manchmal wehrt sich ein Kunde zu Recht,<br />

manchmal nicht. Aber ob im Recht oder nicht:<br />

Kunden, die Beleidigungen, Beschimpfungen<br />

oder gar Drohungen ausstossen, sind höchst unangenehm.<br />

In den letzten Jahren scheinen Konflikte<br />

zwischen Angestellten und aggressiven<br />

Kunden zugenommen zu haben (siehe Interview).<br />

Die Gründe für diese Veränderung sind<br />

vielfältig. «Das Selbstverständnis der Kunden<br />

hat sich in jüngster Zeit geändert», sagt Albert<br />

Vollmer. Der Arbeits- und Orga-<br />

W<br />

Sie bedrohen<br />

mich. Das liegt<br />

nicht drin!<br />

nisationspsychologe an der ETH<br />

meint, die Konkurrenz in den<br />

verschiedenen Sparten sei grösser<br />

geworden, nicht zuletzt mit<br />

dem Internet. «Der Kunde erlebt<br />

sich heute in einer aktiveren<br />

Rolle: Er hat ein höheres Be-<br />

wusstsein für Qualität, höhere Ansprüche an<br />

Produkt und Service und er weiss um die Relevanz<br />

von Reklamationen.»<br />

Aus Angst vor aggressiven Kunden haben grössere<br />

Geschäfte Massnahmen getroffen: In Shoppingcenter<br />

etwa wird, sobald jemand unangenehm<br />

auffällt, ein bestimmter Code ausgerufen.<br />

Sofort tauchen mehrere Männer auf, die um die<br />

auffällige Person einen Kreis bilden.<br />

Laut Auskunft von Roger Grab, Fachberater Kriminalprävention,<br />

rückt die Stadtpolizei Zürich<br />

häufig wegen Konflikten zwischen Angestellten

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