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2012_1 - Swissi

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Stefan Kühnis<br />

ist freischaffender Jour-<br />

nalist BR mit Fachge-<br />

biet Sicherheit.<br />

IntervIew<br />

30 Sicherheit Sécurité Sicurezza <strong>2012</strong>_1<br />

Sicherheit als Balanceakt!<br />

Der Schweizer Hochseilartist Freddy nock hält verschiedene weltrekorde und verzaubert sein Publikum regelmässig<br />

mit atemberaubenden Aktionen. Dass er dabei besonders hohe risiken eingeht, findet nock aber<br />

nicht.<br />

Sie lassen sich immer neue Herausforderungen<br />

einfallen und gehen dabei auch viele risiken<br />

ein. welche war Ihre bislang riskanteste Situation auf<br />

dem Seil?<br />

Eigentlich keine. Naja, in jungen Jahren ging ich durchaus ei-<br />

nige Risiken ein. Deshalb fiel ich als 22-Jähriger in der Zirkus-<br />

manege vom Seil. Ich konzentrierte mich zu sehr auf eine<br />

hübsche Dame im Publikum. Zum Glück fiel ich nicht tief. Da-<br />

mals war ich ein richtiger Spinner und wollte alles ausprobie-<br />

ren. Heute übertreibe ich zwar immer noch, besitze aber<br />

auch das Können dazu. Alles, was ich heute mache, basiert<br />

auf sehr viel gezieltem Training – auch um mich im Notfall<br />

auffangen zu können. Ich denke heute weiter voraus und<br />

versuche, auf alles vorbereitet und gefasst zu sein. Die Situ-<br />

ationen entstehen laufend neu und müssen deshalb auch<br />

immer wieder neu eingeschätzt werden.<br />

Machten Sie sich solche Gedanken vor dem Sturz nie?<br />

Natürlich macht sich jeder Mensch solche Gedanken. Aber<br />

wenn zum ersten Mal tatsächlich etwas geschieht, entschei-<br />

det sich, wie man damit umgeht: Bleibt die Angst – oder will<br />

man es besser machen. Seit meinem Sturz weiss ich genauer,<br />

wozu ich fähig bin, wie weit ich gehen kann und wann ich<br />

aufhören muss.<br />

Gab es noch andere Unfälle?<br />

Ja, viele. Kürzlich stürzte ich mit dem Motorrad in der To-<br />

deskugel. Ich riss mir den Finger auf, das musste operiert<br />

werden. Aber ich bin kein wehleidiger Mensch. Ich wurde<br />

von klein auf so erzogen, dass es weitergehen muss, auch<br />

wenn etwas schmerzt. Ich kann das dann ganz gut ausblen-<br />

den. Verstauchte Füsse oder überdehnte Bänder halten mich<br />

nicht auf. Nach einer Bandscheibenoperation war ich nach<br />

sieben statt zwölf Wochen schon wieder voll aktiv. Ich weiss<br />

aber auch, wann ich eine Verletzung tatsächlich ausheilen<br />

lassen muss. Mein Körper sagt mir das ziemlich deutlich.<br />

trotz diesen Unfällen gehen Sie immer ungesichert über<br />

das Seil?<br />

Solche Sicherheitsmassnahmen sind für sehr viele Unfälle<br />

verantwortlich, das lernte ich schon von meinen Gross-<br />

eltern und Eltern. Ich werde unvorsichtiger, bin auf an-<br />

dere Menschen angewiesen und innerlich wenig fokus-<br />

siert. Deshalb fühle ich mich ohne eine Sicherung viel<br />

sicherer.<br />

Unterscheidet sich Ihre risikowahrnehmung von tag zu<br />

tag?<br />

Die körperliche Verfassung verändert das Risiko natürlich,<br />

und darauf gehe ich auch ein. Mit Konzentration und men-<br />

taler Stärke kann ich solche Faktoren ausgleichen. Trotzdem<br />

gab es Situationen, da musste ich nachträglich zugeben: Ei-<br />

gentlich hätte ich abstürzen müssen. Das sind dann jeweils<br />

ganz wichtige Erfahrungswerte, die mir ein noch präziseres<br />

Gefühl geben und mich das Risiko noch besser einschätzen<br />

lassen. Mein Bauchgefühl ist inzwischen sehr zuverlässig.<br />

Wenn es mir sagt, dass etwas nicht in Ordnung ist, reagiere<br />

ich konsequent darauf.<br />

Sie haben Familie, Frau und Kinder. Beeinflusst das Ihre<br />

risikowahrnehmung?<br />

Eigentlich nicht. Während ich auf dem Seil stehe, bin ich voll<br />

fokussiert. Streitigkeiten im Team, Themen aus der Familie,<br />

Menschen im Publikum – das alles kann ich heute vollstän-<br />

dig ausblenden. Die Partnerschaft ist aber schon sehr wich-<br />

tig, im Unterbewusstsein kann sie mein Verhalten durchaus<br />

beeinflussen.<br />

nehmen Sie Orientierungshilfen wie windmessungen<br />

oder Ähnliches zur Hand, um Ihre Situation und die Ge-<br />

fahren besser einschätzen zu können?<br />

Das sind alles Erfahrungswerte. Ich erhalte keine Wetter-<br />

daten, während ich auf dem Seil bin, kann aber anschlies-<br />

send Rückschlüsse ziehen. Auf dem Säntis herrschten da-<br />

mals Windstärken von 120 Stundenkilometern, ich lief bis<br />

zu Stärken von 60 oder 70 km/h. Auf der Zugspitze kamen<br />

Böen von bis zu 50 km/h, diese Windstösse waren wieder<br />

eine andere Herausforderung. Auf der Jungfrau war der<br />

Wind noch stärker, deshalb funktionierte die Aktion nicht.<br />

Ich fühlte diese Windspitzen jeweils deutlich und weiss<br />

nun, wann der Wind zu stark wird und ich die Aktionen<br />

abbrechen muss.

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