REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

98 saisonalen Migrationsströmungen aus der Studie des Handelsministeriums dargestellt, über die auch in der Sammlung des Innenministeriums und Sozialministeriums des österreichischen Archivs der Republik berichtet wird. Somit soll andeutungsweise 136 ersichtlich werden, inwiefern es sich bei der in der Ersten Republik polemisierten Ausländerbeschäftigung tatsächlich um die Zuwanderung von Fremden handelte und inwiefern es sich bei diesen "Ausländern" lediglich um Staatsbürger des ehemaligen Österreichs handelten, die weder für Deutschösterreich optieren konnten oder wollten. Bei den eindeutig Staatsfremden aus dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien wird es von Interesse sein, festzustellen, ob es sich nach 1918 um eine Neuzuwanderung oder lediglich die Wiederaufnahme von Arbeitskräften, die ohnehin seit Jahren oder sogar Jahrzehnten in Österreich gearbeitet hatten, handelte. Wäre nämlich das letztere der Fall, könnte man argumentieren, dass sich auch in einer Zeit der stark eingeschränkten Freizügigkeit dieser staatsfremde Teil der Stammarbeiterschaft - moralisch, wenn nicht rechtlich - einen Anspruch auf Bevorzugung bei der Beschäftigung im Inland ersessen 137 hätte. a. Jenseits und diesseits des Weltkrieges Nach Mataya war das grenzüberschreitende Wanderarbeiterwesen auf Industrien beschränkt, die in Spitzenzeiten ihren Bedarf an größeren Mengen von Arbeitnehmern aus der regionalen Umschau nicht decken konnten. Das System ermöglichte die Verlagerung vieler Reproduktionskosten aus den teureren urbanen beziehungsweise ländlich-industriellen Ballungszentren in die noch nach den Prinzipien der Familienwirtschaft arbeitenden dörflichen Gemeinschaft. Dieses Prinzip der Koppelung von handwerklicher Produktion, landwirtschaftlichem Erwerb und von Lohnarbeit in der Schwerindustrie war mindestens ein 135 Nader 1908; Mataya 1898, 292. 136 Um das Bild vollständig abzurunden, müssen sämtliche Landesarchive wie auch Stadt- und Gemeindearchive der wichtigsten Grenzregionen aufgearbeitet werden. Dies ist jedoch erst für Wien, Vorarlberg und Oberösterreich passiert. 137 Das Konzept des Ersitzens von arbeitsrechtlichen Ansprüche gab es - im Gegensatz zum Heimat- und Staatsbürgerschaftsrecht - noch nicht, weil es bei der vorherrschenden absolute Freizügigkeit am Arbeitsmarkt hierfür keine Notwendigkeit gab. Bei der Einführung des Ersitzens des Beschäftigungrechtes 1926 wurden die Grenzgänger und Saisoniers nicht berücksichtigt. Statt sich auf die Beschäftigungsdauer zu konzentrieren, bezog man sich entsprechend der Logik des Heimatrechtes auf die Länge der Seßhaftigkeit. Somit konnte es vorgekommen sein, daß Arbeitnehmer, die langjährig in Österreich beschäftigt wurden, zu Gunsten von denjenigen ausgegrenzt wurden, die erst drei oder vier Jahre in Österreich wohnten. Dies ist ein besonders ironischer Zug, da diese späte Anwendung des Territorialprinzips und Ablehnung des vor allem von den slowenischen Sozialdemokraten Etbin Kristan vertretenen Personalitätsprinzips u.a. die jugoslalawischen Wanderarbeiter bereits in der Republik besonders hart traf. zu Kristan sehe Rozman 1993 und Löw 1984, 38.

halbes Jahrtausend alt. Typisch und sehr weit verbreitet war sie vor allem in alpinen 99 Bergbauregionen. Hierzu zählten vor allem Salzburg, Tirol, die Steiermark und Kärnten 138 "Infolge des mehr als tausendjährigen Bestandes des Kärntner Bleibergbaus hat sich nämlich dort eine seßhafte Knappenbevölkerung herangebildet, welche durch Generationen dem Bergbauberufe obliegt. (...) Unter den (...) männlichen Bergarbeitern sind (..) 23 Procent weder ortsangehörig noch ortsansässig. Diese relativ niedrige Ziffer erhöht oder vermindert sich je nach den ziemlich variablen Verhältnissen bei den benachbarten Bergbauunternehmungen. Wenn dort Arbeitsmangel eintritt, so wenden sich die Bergarbeiter wieder nach Bleiberg, wo sie auch Aufnahme finden. Solche Knappen bilden sozusagen das flottante Element". 139 Die Industrialisierung und der Eisenbahnbau ermöglicht es diesen "flottanten" Arbeiterschichten auch, im wesentlich weiteren Umkreis saisonal auszupendeln. Die bis dorthin übliche Wanderung der Männer und Jungen - vor allem in der Baubranche - wurden nun auch auf Frauen und Mädchen erweitert. So konnte Franz Nader in Heft 5 des ersten Jahrgangs der sozialdemokratischen Monatsschrift (1908, 282-283) "Der Kampf" über die "Wandlung im Wandern der Bauarbeiter" berichten: "Vor dem Bau der Eisenbahn musste die Reise meist zu Fuss oder, wie es hiess, auf Schusters Rappen zurückgelegt werden, nur das Gepäck wurde per Achse befördert. Nur wenige Bessergestellte konnten sich die Reise mit dem Fuhrwerk gestatten. Damals war die Auswanderung noch sehr beschränkt, vor allem auf das männliche Geschlecht. Als die Eisenbahn das Fuhrwerk verdrängte, stieg die Zahl der Wanderer ganz gewaltig, auch Frauen und Mädchen waren darunter, die mit verdienen halfen". Damit diese nun technisch mögliche, regelmäßige, jährliche Migration größere Proportionen annehmen und sich auf zahlreiche Industriezweige ausdehnen konnte, mussten die Ausreisewilligen vermittelt werden. Dies geschah in der Regel erst nachdem sich die ersten Wanderungspioniere in den neuen Aufnahmeregionen zurecht gefunden hatten. Durch den Ausbau von Anwerbungsnetzwerken durch die Arbeitnehmer selber wurden ganze Familien 138 Sensenig 1990, 44-65. 139 Mataya 1898, 283.

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saisonalen Migrationsströmungen aus der Studie des Handelsministeriums dargestellt, über<br />

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österreichischen Archivs der Republik berichtet wird. Somit soll andeutungsweise 136<br />

ersichtlich werden, inwiefern es sich bei der in der Ersten Republik polemisierten<br />

Ausländerbeschäftigung tatsächlich um die Zuwanderung von Fremden handelte und<br />

inwiefern es sich bei diesen "Ausländern" lediglich um Staatsbürger des ehemaligen<br />

Österreichs handelten, die weder für Deutschösterreich optieren konnten oder wollten. Bei<br />

den eindeutig Staatsfremden aus dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien wird es<br />

von Interesse sein, festzustellen, ob es sich nach 1918 um eine Neuzuwanderung oder<br />

lediglich die Wiederaufnahme von Arbeitskräften, die ohnehin seit Jahren oder sogar<br />

Jahrzehnten in Österreich gearbeitet hatten, handelte. Wäre nämlich das letztere der Fall,<br />

könnte man argumentieren, dass sich auch in einer Zeit der stark eingeschränkten<br />

Freizügigkeit dieser staatsfremde Teil der Stammarbeiterschaft - moralisch, wenn nicht<br />

rechtlich - einen Anspruch auf Bevorzugung bei der Beschäftigung im Inland ersessen 137<br />

hätte.<br />

a. Jenseits und diesseits des Weltkrieges<br />

Nach Mataya war das grenzüberschreitende Wanderarbeiterwesen auf Industrien beschränkt,<br />

die in Spitzenzeiten ihren Bedarf an größeren Mengen von Arbeitnehmern aus der regionalen<br />

Umschau nicht decken konnten. Das System ermöglichte die Verlagerung vieler<br />

Reproduktionskosten aus den teureren urbanen beziehungsweise ländlich-industriellen<br />

Ballungszentren in die noch nach den Prinzipien der Familienwirtschaft arbeitenden<br />

dörflichen Gemeinschaft. Dieses Prinzip der Koppelung von handwerklicher Produktion,<br />

landwirtschaftlichem Erwerb und von Lohnarbeit in der Schwerindustrie war mindestens ein<br />

135 Nader 1908; Mataya 1898, 292.<br />

136 Um das Bild vollständig abzurunden, müssen sämtliche Landesarchive wie auch Stadt- und Gemeindearchive der<br />

wichtigsten Grenzregionen aufgearbeitet werden. Dies ist jedoch erst für Wien, Vorarlberg und Oberösterreich passiert.<br />

137 Das Konzept des Ersitzens von arbeitsrechtlichen Ansprüche gab es - im Gegensatz zum Heimat- und<br />

Staatsbürgerschaftsrecht - noch nicht, weil es bei der vorherrschenden absolute Freizügigkeit am Arbeitsmarkt hierfür keine<br />

Notwendigkeit gab. Bei der Einführung des Ersitzens des Beschäftigungrechtes 1926 wurden die Grenzgänger und<br />

Saisoniers nicht berücksichtigt. Statt sich auf die Beschäftigungsdauer zu konzentrieren, bezog man sich entsprechend der<br />

Logik des Heimatrechtes auf die Länge der Seßhaftigkeit. Somit konnte es vorgekommen sein, daß Arbeitnehmer, die<br />

langjährig in Österreich beschäftigt wurden, zu Gunsten von denjenigen ausgegrenzt wurden, die erst drei oder vier Jahre in<br />

Österreich wohnten. Dies ist ein besonders ironischer Zug, da diese späte Anwendung des Territorialprinzips und Ablehnung<br />

des vor allem von den slowenischen Sozialdemokraten Etbin Kristan vertretenen Personalitätsprinzips u.a. die<br />

jugoslalawischen Wanderarbeiter bereits in der Republik besonders hart traf. zu Kristan sehe Rozman 1993 und Löw 1984,<br />

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