REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

96 Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem damaligen Ausland, also Venetien, der Lombardei und Bayern stammten. Von noch viel größerer Bedeutung ist die Tatsache, dass sich die Umschau bis 1914 zur traditionellen Form der Arbeitsbeschaffung bei den Betrieben entwickelt hatte. Auch hier wurden "natürliche" regionalgewachsene Arbeitsmärkte 1918/1919 auseinander gerissen. Bei einigen Industriezweigen war bereits in den Boomjahren der späten Gründerzeit das saisonale, oft weitverzweigte Wandern üblich. Wegen der absoluten Freizügigkeit am Arbeitsmarkt war es auch belanglos, ob diese Wanderarbeiter aus dem In- oder Ausland stammten. Diese Arbeitsmigration wurde entweder durch den Arbeitgeber selber, einen Werkführer, Polier aber auch von einfachen angelernten Hilfsarbeitern organisiert. Sie reichte von dem wöchentlichen Rekrutieren von landwirtschaftlichen Hilfsarbeitern aus der unmittelbaren Umgebung für die benachbarte Industrie bis hin zu regelrechte Bewerbungsfahrten beispielsweise in die Emilia-Romagna oder die östliche Slowakei. Mataya bezeichnet die "Bevollmächtigung von Werkführern" als eher unsystematisch beziehungsweise unüblich. Bei dieser Art der Rekrutierung kam es häufig auch zum Mißbrauch bei der Suche nach Arbeitskräften seitens des Betriebsleiters. Als Extrembeispiel führt Mataya bestimmte Werkführer in Mähren an. "Weiters gibt es auch (...) Meister, die als Nebengeschäft ein Gasthaus besitzen, und Arbeiter, die dort nicht einen größeren Theil des Verdienstes verzehren, kündigen. Von den Landbewohnern erpressen einzelnen Meister sogar Feldfrüchte, wenn sie kein bares Geld bekommen können". 132 Viel üblicher und offensichtlich um einiges gerechter war die Selbstorganisierung der Teilbelegschaft durch des "Capo-System". Dieses war vorwiegend bei Saisonarbeiter üblich. Poliere, Ziegelmeister und erfahrene Zuckerfabriksarbeiter wurden zwischen den Saisonen von den jeweiligen Besitzern mit der Zusammenstellung von Belegschaften beauftragt. Neben den drei Hauptindustriezweigen - Ziegel, Zucker und Baugewerbe - in der ein Großteil und manchmal die Mehrheit der Arbeiter durch das Capo-System erworben wurde - wurden in der Textilbranche manchmal Faktoren beauftragt, den Verleger mit Arbeitermannschaften zu 131 Mataya 1898, 289. 132 Mataya 1898, 290.

97 beliefern. Schließlich entwickelten in bestimmten Regionen Arbeiter ein System, in dem sie in ihrer jeweiligen Heimatregion Teilbelegschaften nach dem Nationalitätenprinzip für die verschiedensten Zwecke zusammenstellten. So wurden aus "Böhmen, Nieder- und Oberösterreich, Südtirol, Küstenland und Italien", nach den Ergebnissen der Arbeitsvermittlungsstudie des Handelsministeriums Nationalitätenmannschaften angeworben und für die Marmor-, Kalk-, Zement-, Kupferbergbau-, Glas- und Torferzeugungsindustrien in der Steiermark, Niederösterreich und Salzburg vermittelt. Diese gänzlich unvollständigen Ergebnisse zeigen auf, dass die "Gastarbeiter des 19. Jahrhunderts" sowohl aus Böhmen oder Niederösterreich stammen wie auch jährlich dorthin hinwandern konnten. Manche Reichsratsländer galten also als "push" und "pull" Regionen. Je nach Industriezweig und Jahreszeit gaben sie Arbeitnehmer ab oder nahmen sie auf. Andere Regionen können, was den cisleithanischen Arbeitsmarkt anlangt, als reine Auswanderungs- oder Einwanderungsgebiete (push oder pull) klassifiziert werden. So waren vor allem die Gebirgsprovinzen Vorarlberg, (Nord)Tirol und Salzburg klassische Aufnahmeländer für fremdsprachige Arbeiter aus Südtirol und Böhmen und staatsfremde Einwanderer aus Italien. Böhmen, Mähren und die Slowakei lieferten Binnenwanderer nach Ober- und Niederösterreich und die Steiermark und Niederösterreich nahmen zehntausenden transleithanische magyarische und slawische Migranten auf. 133 Schließlich soll noch die sehr große Gruppe der Wanderarbeiter, die "ohne ein vorher bestimmtes Reiseziel die Heimat" jährlich verlassen und sich nach Wien in den nördlichen Alpenregionen durcharbeiten, erwähnt werden. Sie reisen oft sogar als geschlossene Arbeiterpartie aus Südtirol, dem Königreich Italien, Krain, Küstenland und Galizien ab und sind bei ihrer Ankunft "aller Mittel zum Lebensunterhalte entblößt und auf sofortige Beschäftigung angewiesen". 134 Diese Kategorie von Wanderarbeitern war es, die in den Industriezentren die Arbeitsbedingungen - nach den oft gehässigen zeitgenössischen Berichten jedoch weit übertrieben - tatsächlich verschlechterten und die Löhne drückten. 135 Einige der von Mataya beschriebenen Wanderungsrouten sind besonders wichtig, weil sie unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg reaktiviert wurden und somit in direkte Konfrontation mit den neuen internationalen Grenzen geraten. Im folgenden werden ausschließlich die 133 Mataya 1898, 291-293. 134 Mataya 1898, 292.

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beliefern. Schließlich entwickelten in bestimmten Regionen Arbeiter ein System, in dem sie<br />

in ihrer jeweiligen Heimatregion Teilbelegschaften nach dem Nationalitätenprinzip für die<br />

verschiedensten Zwecke zusammenstellten. So wurden aus "Böhmen, Nieder- und<br />

Oberösterreich, Südtirol, Küstenland und Italien", nach den Ergebnissen der<br />

Arbeitsvermittlungsstudie des Handelsministeriums Nationalitätenmannschaften angeworben<br />

und für die Marmor-, Kalk-, Zement-, Kupferbergbau-, Glas- und Torferzeugungsindustrien<br />

in der Steiermark, Niederösterreich und Salzburg vermittelt.<br />

Diese gänzlich unvollständigen Ergebnisse zeigen auf, dass die "Gastarbeiter des 19.<br />

Jahrhunderts" sowohl aus Böhmen oder Niederösterreich stammen wie auch jährlich dorthin<br />

hinwandern konnten. Manche Reichsratsländer galten also als "push" und "pull" Regionen. Je<br />

nach Industriezweig und Jahreszeit gaben sie Arbeitnehmer ab oder nahmen sie auf. Andere<br />

Regionen können, was den cisleithanischen Arbeitsmarkt anlangt, als reine Auswanderungs-<br />

oder Einwanderungsgebiete (push oder pull) klassifiziert werden. So waren vor allem die<br />

Gebirgsprovinzen Vorarlberg, (Nord)Tirol und Salzburg klassische Aufnahmeländer für<br />

fremdsprachige Arbeiter aus Südtirol und Böhmen und staatsfremde Einwanderer aus Italien.<br />

Böhmen, Mähren und die Slowakei lieferten Binnenwanderer nach Ober- und<br />

Niederösterreich und die Steiermark und Niederösterreich nahmen zehntausenden<br />

transleithanische magyarische und slawische Migranten auf. 133 Schließlich soll noch die sehr<br />

große Gruppe der Wanderarbeiter, die "ohne ein vorher bestimmtes Reiseziel die Heimat"<br />

jährlich verlassen und sich nach Wien in den nördlichen Alpenregionen durcharbeiten,<br />

erwähnt werden. Sie reisen oft sogar als geschlossene Arbeiterpartie aus Südtirol, dem<br />

Königreich Italien, Krain, Küstenland und Galizien ab und sind bei ihrer Ankunft "aller<br />

Mittel zum Lebensunterhalte entblößt und auf sofortige Beschäftigung angewiesen". 134 Diese<br />

Kategorie von Wanderarbeitern war es, die in den Industriezentren die Arbeitsbedingungen -<br />

nach den oft gehässigen zeitgenössischen Berichten jedoch weit übertrieben - tatsächlich<br />

verschlechterten und die Löhne drückten. 135<br />

Einige der von Mataya beschriebenen Wanderungsrouten sind besonders wichtig, weil sie<br />

unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg reaktiviert wurden und somit in direkte Konfrontation<br />

mit den neuen internationalen Grenzen geraten. Im folgenden werden ausschließlich die<br />

133 Mataya 1898, 291-293.<br />

134 Mataya 1898, 292.

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