REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER
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8 VON METTERNICH BIS EU BEITRITT REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSLÄNDER Immigration und Einwanderungspolitik in Österreich Eugène Richard Sensenig-Dabbous Ludwig-Boltzmann-Institut für Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Salzburg I. EINLEITUNG Die Zuwanderung von Staatsfremden nach Österreich ist begrifflich schwer fassbar. Dies ist einerseits bedingt durch die sich wandelnde Bedeutung des Begriffs Staatsfremde. Abgesehen von den eindeutigen völkerrechtlichen Verschiebungen in den Jahren 1918, 1938, 1945 und 1995 sorgen die zahlreichen historischen und aktuellen Übergangsphasen - wie etwa zur Zeit der Option (1920-1925) oder nach dem Beitritt zur EU (1995 bis heute) - für zusätzliche Komplexität 1 . Andererseits müsste der Begriff Zuwanderung genauso grundsätzlich 1 Nach Mussak (1995, 424-426) dauerte die Abwicklung der Optionsanträge schätzungsweise zwischen 300.000 und 540.000 Einbürgerungswilligen - inklusive Hauptantragsperiode (1920-1921) und Rekursionsphase (1924-1925) etwa fünf Jahre. In dieser Zeit war es nicht eindeutig klar, wer Inländer und wer Ausländer war. Bereits im Vorfeld des österreichischen Beitritts zur EU mußten viele Gesetze im sozialpolitischen und wirtschaftlichen Bereich geändert werden, um EU-Bürger gleichzustellen. Hierbei ist immer noch nicht geklärt worden, inwiefern das Kammersystem davon betroffen sein wird. EU-Bürger bleiben somit aus der systemprägenden Institution der Sozialpartnerschaft ausgeklammert. NB: Das Wahlrechtsverbot für EU-Ausländer wurde nach fertigstellung dieser Studie novelliert. vgl. aus dem standard vom 15.6.1998: DER STANDARD: Montag, 15. Juni 1998, Seite 6; Inland: "Passives" Wahlrecht durch die Hintertür: EU- Bürger dürfen doch noch Kammerräte werden, alle anderen nicht - Grüne kämpfen, Lydia Ninz; Wien - Mit einem Trick versucht die Koalitionsregierung zweierlei: den EU-Bürgern doch noch das passive Wahlrecht für die Arbeiterkammer zu sichern, allen anderen "Gastarbeitern" dieses Recht aber zu verwehren. Die Grünen wollen das koalitionäre Manöver mit Hilfe der EU-Kommission durchkreuzen. Der Reihe nach: Die Koalitionsparteien haben im Sozialausschuß das neue Arbeiterkammergesetz verabschiedet. Dort ist festgelegt, daß nur Arbeitnehmer zu Kammerräten gekürt werden dürfen, die auch in den Nationalrat gewählt werden könnten. Praktisch wurde dieses Recht also an die österreichische Staatsbürgerschaft geknüpft. Laut neuem Gesetz, dem das Plenum noch zustimmen muß, sind also alle ausländischen Arbeitnehmer von der Mitwirkung in dieser Interessensvertretung ausgenommen, auch die EU-Bürger. Sie und alle anderen ausländischen Arbeitnehmer müssen zwar weiterhin für diese gesetzliche Interessensvertretung zahlen, dürfen aber nicht aktiv mitmischen."Das stört uns überhaupt nicht. Denn die EU-Bürger können trotzdem Kammerräte werden", lautet die verblüffende Auskunft aus der Arbeiterkammer. Es gebe ja eine Verordnung der EU, die stärker sei als das nationale Gesetz. Das österreichische Parlament ist also dabei, ein Gesetz zu verabschieden, das von vornherein einer EU-Verordnung widerspricht. Während EU-Staatsbürger ihre Arbeitnehmerrechte auf Umwegen trotzdem durchsetzen können, bleiben alle anderen Gastarbeiter aus nicht EU-Staaten auf der Strecke: Jugoslawische, Türkische oder ungarische Arbeitnehmer. Genau das sei der Zweck des Ganzen, vermutet Karl Öllinger, der Sozialsprecher der Grünen. Die Grünen kämpfen weiter für das passive Wahlrecht aller ausländischen Arbeitnehmer bei den hiesigen Arbeiterkammerwahlen und zerren die Novelle vor die EU-Kommission. " Das Gesetz stellt eine schwerwiegende Verletzung der politischen und sozialen Rechter von WanderarbeitnehmerInnen dar. Die Kommission soll es prüfen und gegebenenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten". Als Basis für die EU-Klage hat Öllinger schon eine abweichende Stellungnahme formuliert "Mit diesem Regelwerk setzt die Regierungsmehrheit eine unwürdige Tradition der Verletzung von politischen Rechten von WanderarbeiterInnen fort" fügt Öllinger hinzu und verweist auf die verpatzte Reform der Notanshilfe. Der Grüne erinnert daran, daß die ÖVP unter Federführung des ÖAAB-Chefs Werner Fasslabend das von den Sozialisten vorgeschlagene passive Wahlrecht wieder zu Fall gebracht hatte. "Dabei hat der ÖAAB dieses Wahlrecht verlangt", ätzt der Grüne in Richtung Verteidigungsminister. - (c) DER STANDARD, 15. Juni 1998 - Automatically processed by COMLAB NewsBench; X-ListName: RainbowLink fuer Migrations- und ImmigrantInnenforschung; ;
hinterfragt werden. Die vielerseits als implizit angenommene Freiwilligkeit des Phänomens war bei den meisten Einwanderern, Saisonniers und Grenzgängern nur bedingt vorhanden. Die Grenze zwischen den Kategorien Gastarbeiter, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge war immer fließend. Schließlich war auch Österreich als Begriff mehreren radikalen Veränderungen unterworfen. Neben den für die ganze Region Mitteleuropa 9 schwerwiegenden, internationalen Umbrüchen - Auflösung der Monarchie, Anschluss durch das und Befreiung vom Dritten Reich wie der Beitritt der wichtigsten Habsburger Nachfolgerstaaten zur EU - sorgte auch die Frage nach dem Wesen des Phänomens Österreich öfters für Konflikte. Wie, beziehungsweise ab wann wurde Österreich deutsch, beziehungsweise im welchen Jahr genau wurde Österreich endgültig eine Nation. A. Ausländer - eine Definition Aus Gründen der Zweckmäßigkeit werden in dieser Studie Definitionen verwendet, die von der üblichen Kategorisierung abweichen können. Die in der jeweiligen Periode des zu untersuchenden Zeitraumes geltende Einteilung der Zuwanderer in Staatsfremde und Staatsangehörige soll hinterfragt werden. Begriffliche Einheitlichkeit und historische Übersichtlichkeit werden den jeweils orts- beziehungsweise zeitüblichen 2 Bezeichnungen vorgezogen. Nicht nur ist die Bedeutung von Konzepten wie Fremde, Ausländer oder Einwanderer in der Monarchie, während der beiden Republiken, in der Ostmark oder innerhalb der Europäischen Union untereinander widersprüchlich; die Auslegung dieser Begriffe ist auch innerhalb der jeweiligen Staatssysteme beziehungsweise Zeitabschnitte teilweise uneinheitlich. 3 Ein Beispiel hierfür aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sollte dies verdeutlichen. Die Debatte zur grenzüberschreitenden Migration in der Monarchie wurde von Message-ID: ; Date: Sun, 14 Jun 1998 21:57:38 +0200; From: Bernhard Perchinig 2 Oft gelten Definitionen oder Begriffe in einer bestimmten Zeit oder in einem bestimmten Raum als „objektiv‟ und „wissenschaftlich‟; zu einer anderen Zeit bzw. in einem anderen Zusammenhang hingegen scheinen diese gleichen Charakterisierungen einseitig, unfair oder gar rassistisch zu sein. So scheinen die Bezeichnungen deutschungarisch oder deutschösterreichisch normal zu sein, kroatischungarisch oder tschechischösterreichisch wirken jedoch aufgesetzt. Ähnliches gilt für den Begriff Rasse. Das Recht, das Konzept der deutschen Rasse in Österreich zu bestimmen, wurde 1920 von den nichtjüdischen Österreichern monopolisiert. Die jüdischen Bevölkerung wurden als rassisch nicht deutsch eingestuft und deswegen in vielen Fälle vom Einbürgerungsverfahren (Option) ausgegrenzt. Wie sich das Definitionsmonopol der Deutschösterreicher auf das Verhalten der Behörden bei ehemaligen romani Cisleithanier im Zusammenhang mit der Option ausgewirkt hat, ist nicht bekannt. Obwohl derzeit keine Auswertung vorliegt, kann man mit Sicherheit annehmen, daß in Streitfällen auch die Volksgruppe der Roma als nicht zur deutschen Rasse zugehörig eingestuft wurde. 3 So werden Ungarn im Entwurf des Sozialministers Mataja zum Arbeiterkammergesetz 1918 zu den Ausländern gezählt und sollten als solche bei den AK-Wahlen nicht passiv wahlberechtigt sein (MföA,1918,730/68560). Im Jahre 1895 hingegen
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Die Grenze zwischen den Kategorien Gastarbeiter, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge war<br />
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schwerwiegenden, internationalen Umbrüchen - Auflösung der Monarchie, Anschluss durch<br />
das und Befreiung vom Dritten Reich wie der Beitritt der wichtigsten Habsburger<br />
Nachfolgerstaaten zur EU - sorgte auch die Frage nach dem Wesen des Phänomens<br />
Österreich öfters für Konflikte. Wie, beziehungsweise ab wann wurde Österreich deutsch,<br />
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A. Ausländer - eine Definition<br />
Aus Gründen der Zweckmäßigkeit werden in dieser Studie Definitionen verwendet, die von<br />
der üblichen Kategorisierung abweichen können. Die in der jeweiligen Periode des zu<br />
untersuchenden Zeitraumes geltende Einteilung der Zuwanderer in Staatsfremde und<br />
Staatsangehörige soll hinterfragt werden. Begriffliche Einheitlichkeit und historische<br />
Übersichtlichkeit werden den jeweils orts- beziehungsweise zeitüblichen 2 Bezeichnungen<br />
vorgezogen. Nicht nur ist die Bedeutung von Konzepten wie Fremde, Ausländer oder<br />
Einwanderer in der Monarchie, während der beiden Republiken, in der Ostmark oder<br />
innerhalb der Europäischen Union untereinander widersprüchlich; die Auslegung dieser<br />
Begriffe ist auch innerhalb der jeweiligen Staatssysteme beziehungsweise Zeitabschnitte<br />
teilweise uneinheitlich. 3 Ein Beispiel hierfür aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sollte dies<br />
verdeutlichen. Die Debatte zur grenzüberschreitenden Migration in der Monarchie wurde von<br />
Message-ID: ; Date: Sun, 14 Jun 1998 21:57:38 +0200; From: Bernhard Perchinig<br />
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2 Oft gelten Definitionen oder Begriffe in einer bestimmten Zeit oder in einem bestimmten Raum als „objektiv‟ und<br />
„wissenschaftlich‟; zu einer anderen Zeit bzw. in einem anderen Zusammenhang hingegen scheinen diese gleichen<br />
Charakterisierungen einseitig, unfair oder gar rassistisch zu sein. So scheinen die Bezeichnungen deutschungarisch oder<br />
deutschösterreichisch normal zu sein, kroatischungarisch oder tschechischösterreichisch wirken jedoch aufgesetzt.<br />
Ähnliches gilt für den Begriff Rasse. Das Recht, das Konzept der deutschen Rasse in Österreich zu bestimmen, wurde 1920<br />
von den nichtjüdischen Österreichern monopolisiert. Die jüdischen Bevölkerung wurden als rassisch nicht deutsch<br />
eingestuft und deswegen in vielen Fälle vom Einbürgerungsverfahren (Option) ausgegrenzt. Wie sich das<br />
Definitionsmonopol der Deutschösterreicher auf das Verhalten der Behörden bei ehemaligen romani Cisleithanier im<br />
Zusammenhang mit der Option ausgewirkt hat, ist nicht bekannt. Obwohl derzeit keine Auswertung vorliegt, kann man mit<br />
Sicherheit annehmen, daß in Streitfällen auch die Volksgruppe der Roma als nicht zur deutschen Rasse zugehörig eingestuft<br />
wurde.<br />
3 So werden Ungarn im Entwurf des Sozialministers Mataja zum Arbeiterkammergesetz 1918 zu den Ausländern gezählt und<br />
sollten als solche bei den AK-Wahlen nicht passiv wahlberechtigt sein (MföA,1918,730/68560). Im Jahre 1895 hingegen