REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

lagen. Scheint diese Summe sehr niedrig zu sein, so sah es für einen anderen Vermittlungsträger noch viel trister aus. Der Anteil der heute dominierenden öffentlichen Arbeitsplatznachweise (Arbeistmarktservice) war nämlich noch viel kleiner. Die frühen Betreiber dieser städtischen, überwiegend bei der Vermittlung von Beschäftigungsstellen tätigen Anstalten, mussten sehr an die Zukunft geglaubt haben, um ihren geringfügigen gesamtcisleithanischen Anteil von 1,404 Vermittlungen nicht als Scheitern ihrer Initiative gesehen zu haben. 1895 ist die öffentliche Vermittlung in Österreich, wie diese Statistik 80 beweist, bei der Stellenbeschaffung kaum in Erscheinung getreten. Politisch hingegen tobte zwischen den Sozialdemokraten und Kathedersozialisten 107 einerseits und den Christlichsozialen und Arbeitgebervertreter andererseits schon länger ein Kampf um die Einrichtung solcher Stellen. Der erste öffentliche Arbeitsnachweis im engeren Sinn des Wortes 108 wurde 1896 in Graz eingerichtet. Die Debatte hierüber begann aber viel früher. "Als im Abgeordnetenhause 1874 über die Errichtung von Arbeiterkammern verhandelt wurde, war auch die Organisation von Dienststellenbureaux durch dieselben in Aussicht genommen worden. 1884 überreichte Dr. Julius Wolf in Wien (...) beim Ministerium des Inneren den Vorschlag, im Anschlusse an die (...) Unfallversicherungen die Errichtung von Arbeitsnachweisungsämtern in Aussicht zu nehmen. (...) In der Begründung zu diesem Vorschlage wurde auf den Mangel geeigneter Arbeitsvermittlungsstellen in Österreich, den Wert solcher für den Arbeiterstand, auf den zu beobachtenden Mangel an Arbeitskräften in gewissen Gegenenden und Überfluss von solchen in anderen verwiesen, was große Lohndifferenzen und die Wirkung zur Folge habe, dass Industrien, welche vermöge ihrer Natur auf die Alpenländer als die Gewinnungsstellen für ihr Rohmaterial gewiesen erschienen, in Böhmen, Mähren und Schlesien betrieben würden". 109 107 Das ist eine kleine Gruppe v.a. im Deutschen Reich vertretenen Universitätslehrern, die sich etwa ab 1865 mit Theorie und Praxis des Wirtschaftsliberalismus kritisch auseinandersetzen. Sie verwarfen das Harmoniedenken der damals vorherrschenden wirtschaftsliberalen Dogmatik als zugleich realitätsfremd und in seinen tatsächlichen Folgen sittlich verantwortungslos und erhoben die Forderung nach sozialpolitischen Korrekturen und einer teilweisen Umgestaltung der bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse. Da sie die dialektisch-materialistische Schicksalhaftigkeit und revolutionären Utopismus der damaligen Sozialdemokraten entschieden ablehnten, kam ein Bündnis zwischen beiden Gruppen, die annähernd die gleichen sozialpolitischen Reformpolitik forderten, nie zustande. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Denkrichtung in Österreich war der 1917 gestorbene Wiener Migrationsexperte Eugen von Phillipovich. vgl. Meyer et al 1986, 290-291; Mises 1926. 108 eine städtische Anstalt, die sich im wesentlichen mit der Arbeitsvermittlung beschäftigt. Bis 1896 haben solche Anstalten ihre Arbeit mehrheitlich auf die Mildtätigkeit ausgerichtet. 109 Mataya 1898, 302.

Hierdurch wird nicht nur deutlich, dass man bereits Anfang der 1880er Jahre die 81 Notwendigkeit der geordneten Arbeitsmigration in den westlichen Reichsratsländern erkannt hatte, sondern auch, dass das Konzept der staatlicher Arbeitsmarktverwaltung in der Monarchie nicht am Informationsstand des Staats und das Vorhandensein ausgereifter realisierbaren Modelle gescheitert ist. Laut Studie von Victor Mataja wird das Projekt von Julius Wolf als erster ausgereifter Entwurf einer umfassenden Arbeitsmarktpolitik eingeschätzt. Im Gegensatz zu dem 20 Jahre später gegründeten "Reichsverband der allgemeinen Arbeitsvermittlungsanstalten in Österreich" wurde dieses Modell auf die Kompensation von Arbeitskräfteknappheiten und -überschüssen ausgerichtet. Um die in der Begründung angeführte Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen Böhmen, Mähren und Schlesien einerseits und den Alpenländern andererseits zu verwirklichen, sollten die lokalen Arbeitsnachweisungsämter in einem System von Oberamtsbezirken zusammengefaßt und dieses wiederum unter ein für allgemeine soziale Sicherheit und Beschäftigung verantwortliche "Centralstelle" des damals für die sozialen Belange zuständigen Innenministeriums untergeordnet sein. Genau dieses System, nämlich: - lokale "Arbeitslosenämter" - "Industrielle Bezirkskommissionen" - Zentralisierung im Sozialministerium wurde im November 1918 unter Ferdinand Hanusch eingerichtet. d. "lokal denken versus global handeln”, die öffentliche Kirchturmperspektive bei der Arbeitsvermittlung Da man weder im Reichsrat noch im Innenministerium die politische Entscheidungskraft aufbrachte, ein geordnetes, cisleithanisches Netzwerk von Arbeitsnachweisen einzurichten, fiel die Verantwortung hierfür an die Gemeinden zurück. Das aus der Zeit des Absolutismus stammende Heimatrecht zwang die österreichischen Gemeinden, sich der Frage der Stellenvermittlung anzunehmen. Bei dieser Lokalisierung arbeitsmarktpolitischer Verantwortung war jedoch problematisch, dass die Migrationsströmungen wesentlich großräumiger als die Kompetenzen der "Arbeitsmarktverwaltung" waren. Während Städte wie Graz, Prag oder Wien um die Jahrhundertwende begannen, lokal zu denken, hatten die Großindustriellen längst global gehandelt.

Hierdurch wird nicht nur deutlich, dass man bereits Anfang der 1880er Jahre die<br />

81<br />

Notwendigkeit der geordneten Arbeitsmigration in den westlichen Reichsratsländern erkannt<br />

hatte, sondern auch, dass das Konzept der staatlicher Arbeitsmarktverwaltung in der<br />

Monarchie nicht am Informationsstand des Staats und das Vorhandensein ausgereifter<br />

realisierbaren Modelle gescheitert ist. Laut Studie von Victor Mataja wird das Projekt von<br />

Julius Wolf als erster ausgereifter Entwurf einer umfassenden Arbeitsmarktpolitik<br />

eingeschätzt. Im Gegensatz zu dem 20 Jahre später gegründeten "Reichsverband der<br />

allgemeinen Arbeitsvermittlungsanstalten in Österreich" wurde dieses Modell auf die<br />

Kompensation von Arbeitskräfteknappheiten und -überschüssen ausgerichtet. Um die in der<br />

Begründung angeführte Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen Böhmen, Mähren und<br />

Schlesien einerseits und den Alpenländern andererseits zu verwirklichen, sollten die lokalen<br />

Arbeitsnachweisungsämter in einem System von Oberamtsbezirken zusammengefaßt und<br />

dieses wiederum unter ein für allgemeine soziale Sicherheit und Beschäftigung<br />

verantwortliche "Centralstelle" des damals für die sozialen Belange zuständigen<br />

Innenministeriums untergeordnet sein. Genau dieses System, nämlich:<br />

- lokale "Arbeitslosenämter"<br />

- "Industrielle Bezirkskommissionen"<br />

- Zentralisierung im Sozialministerium<br />

wurde im November 1918 unter Ferdinand Hanusch eingerichtet.<br />

d. "lokal denken versus global handeln”, die öffentliche Kirchturmperspektive bei der<br />

Arbeitsvermittlung<br />

Da man weder im Reichsrat noch im Innenministerium die politische Entscheidungskraft<br />

aufbrachte, ein geordnetes, cisleithanisches Netzwerk von Arbeitsnachweisen einzurichten,<br />

fiel die Verantwortung hierfür an die Gemeinden zurück. Das aus der Zeit des Absolutismus<br />

stammende Heimatrecht zwang die österreichischen Gemeinden, sich der Frage der<br />

Stellenvermittlung anzunehmen. Bei dieser Lokalisierung arbeitsmarktpolitischer<br />

Verantwortung war jedoch problematisch, dass die Migrationsströmungen wesentlich<br />

großräumiger als die Kompetenzen der "Arbeitsmarktverwaltung" waren. Während Städte<br />

wie Graz, Prag oder Wien um die Jahrhundertwende begannen, lokal zu denken, hatten die<br />

Großindustriellen längst global gehandelt.

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