REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

umgekehrt, dass jeder Geselle zu dem ihn aufnehmenden Arbeitgeber gelangen könne, der ihm am meisten ansteht". 93 Ideologisch und politisch begründet wird diese Liberalisierung mit der Feststellung, dass dieser Grundsatz "der Billigkeit", "den natürlichen Recht" und der "gesunden Vernunft" entspreche. Wirtschaftlich wurde argumentiert, dass die Abschaffung der Einrichtung der Verschickung von Gesellen durch die Zünfte der "Beförderung der Industrie" dienlich sei. 68 Arbeitsvermittlung sollte ab diesem Zeitpunkt nur mehr auf Basis der absoluten Freiwilligkeit erfolgen. Als Träger sollten "öffentliche" Einrichtungen dienen. Diese durften jedoch niemanden diskriminieren und nur als letzte Instanz einspringen, wenn entweder ein Arbeitgeber keine Arbeitskräfte oder ein Arbeitnehmer keinen Dienstgeber finden konnte. Auf gar keinen Fall war es erlaubt, bestimmte Personen oder Gruppen anderen vorzureihen. "Nur in jenen Fällen, wo sich Arbeitgeber und Gesellen nicht selbst unmittelbar treffen können ist die Dazwischenkunft einer öffentlichen Anstalt nothwendig, die sie zusammen bringt, und bei diesem Zusammenbringungen muss eine bestimmte alle Willkür und Parteilichkeit ausschliessende Ordnung festgesetzt seyn. (...) Der Antrag, die Arbeitgeber und die Gesellen an die Steckordnung (und Zuschichordnung, E.S.) zu binden (...) ist ein höchstschädlicher Zunftzwang, den gerade die Regierung durch die Verordnung von 1. August 1815 vom Grunde aus gehoben wissen wollte. Er hindert die Arbeitgeber an Überkommung derjenigen Subjecte, die ihnen gerade die anständigsten, brauchbarsten und vorteilhaftesten sind, beeinträchtigt dadurch sowohl den Gewerbstrieb der Einzelnen als die Fortschritte der Fabrikation im Ganzen". 94 Bezeichnenderweise wird der zünftmäßigen Praxis der Reihung von Arbeitslosen schon zu dieser frühen Zeit als fremdenfeindlich anerkannt. Sie führe nämlich nach Meinung des - offensichtlich dem Geiste der Freizügigkeit verpflichteten Gesetzgebers - dazu, dass harte geistige und körperliche Leistung bei der Verteilung von Arbeitsplätzen nicht ausschlaggebend sein kann. 93 Mataja 1898, 109. 94 Mataja 1898, 110.

69 "Er (der "Antrag sich an Steck- und Zuschickordnung” zu halten, E.S.) unterdrückt dadurch den Fleiß und Talent, verscheucht die Fremden, verleitet die Einheimischen zum Wegziehen und wird in allen diesen Beziehungen der Industrie höchst nachtheilig; und dieser Zunftzwang, den nur die Kurzsichtigkeit der Meister verlangt, kann nichts weiter bewirken, als dass (...) dann in der Folge desto weniger geschickte Gesellen auf dem Platz vorhanden sind, allen Arbeitgebern und dem Publicum theuer zu stehen kommt". 95 Zu dieser Zeit - so Mataja - lag also eine diskriminierende Einschränkung der Verkehrsfreiheit am Arbeitsmarkt im Interesse der einzelnen Arbeitgeber, nicht aber der Wirtschaft oder der Arbeitnehmer. Wandernde und ortsfremde Gesellen wurden nämlich nach den Ordnungen der Genossenschaften gezwungen, sich beim Eintreffen in einer fremden Stadt bei der Innung zu melden. Sie wurden dann in der genossenschaftlichen Herberge aufgenommen und mussten den ihnen angebotenen Arbeitsplatz auch annehmen. Diese Regelung galt auch für arbeitslos gewordene heimatberechtigte Gesellen. Zweck dieses Zunftzwangs war nach Meinung des Verfassers der Regierungs-Verordnung von 1816 eindeutig die Lohndruckerei. "(...); und dieser Zunftzwang, den nur die Kurzsichtigkeit der Meister verlangt, kann nicht weiter bewirken, als dass er einigen Arbeitgebern auf Kosten der Gesellen und auf Kosten des Fortschritts der Industrie den vorübergehenden Vortheil gewährt (...)". Die gewerblichen Innungen versuchten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, ihre Steck- und Zuschickordnungen illegal aufrecht zu halten. Die Behörden reagierten mit An- und Abmeldungsbestimmungen und strengen Kontrollen. Wesentlich wirkungsvoller bei der Abschaffung des Zunftzwangs war die technische und wirtschaftliche Entwicklung, die die dominierende Stellung der Handwerksgenossenschaften untergrub. Die Innungen verloren langsam ihre Bedeutung und eine langandauernder Prozeß des Verfalls setzte ein. Für die Besitzer und Betreiber von Fabriken spielte die genossenschaftliche Form der Arbeitsvermittlung kaum eine Rolle. Die ortsfremden und staatsfremden Gesellen waren den für sie lästigen Zwang der gewerblichen Meister endlich los. 95 Mataja 1898, 110.

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"Er (der "Antrag sich an Steck- und Zuschickordnung” zu halten, E.S.) unterdrückt dadurch<br />

den Fleiß und Talent, verscheucht die Fremden, verleitet die Einheimischen zum Wegziehen<br />

und wird in allen diesen Beziehungen der Industrie höchst nachtheilig; und dieser<br />

Zunftzwang, den nur die Kurzsichtigkeit der Meister verlangt, kann nichts weiter bewirken,<br />

als dass (...) dann in der Folge desto weniger geschickte Gesellen auf dem Platz vorhanden<br />

sind, allen Arbeitgebern und dem Publicum theuer zu stehen kommt". 95<br />

Zu dieser Zeit - so Mataja - lag also eine diskriminierende Einschränkung der<br />

Verkehrsfreiheit am Arbeitsmarkt im Interesse der einzelnen Arbeitgeber, nicht aber der<br />

Wirtschaft oder der Arbeitnehmer. Wandernde und ortsfremde Gesellen wurden nämlich nach<br />

den Ordnungen der Genossenschaften gezwungen, sich beim Eintreffen in einer fremden<br />

Stadt bei der Innung zu melden. Sie wurden dann in der genossenschaftlichen Herberge<br />

aufgenommen und mussten den ihnen angebotenen Arbeitsplatz auch annehmen. Diese<br />

Regelung galt auch für arbeitslos gewordene heimatberechtigte Gesellen. Zweck dieses<br />

Zunftzwangs war nach Meinung des Verfassers der Regierungs-Verordnung von 1816<br />

eindeutig die Lohndruckerei.<br />

"(...); und dieser Zunftzwang, den nur die Kurzsichtigkeit der Meister verlangt, kann nicht<br />

weiter bewirken, als dass er einigen Arbeitgebern auf Kosten der Gesellen und auf Kosten des<br />

Fortschritts der Industrie den vorübergehenden Vortheil gewährt (...)".<br />

Die gewerblichen Innungen versuchten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, ihre<br />

Steck- und Zuschickordnungen illegal aufrecht zu halten. Die Behörden reagierten mit An-<br />

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Abschaffung des Zunftzwangs war die technische und wirtschaftliche Entwicklung, die die<br />

dominierende Stellung der Handwerksgenossenschaften untergrub. Die Innungen verloren<br />

langsam ihre Bedeutung und eine langandauernder Prozeß des Verfalls setzte ein. Für die<br />

Besitzer und Betreiber von Fabriken spielte die genossenschaftliche Form der<br />

Arbeitsvermittlung kaum eine Rolle. Die ortsfremden und staatsfremden Gesellen waren den<br />

für sie lästigen Zwang der gewerblichen Meister endlich los.<br />

95 Mataja 1898, 110.

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