REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

472 - mit Ausnahme der ÖVP-Alleinregierung (1966-1970) - vom Gewerkschaftsflügel der SPÖ stark beeinflußte Ministerium gab dann die Empfehlungen der Sozialpartner eins zu eins an die Landesarbeitsämter weiter. Verfassung und Wahlvolk wurden somit umgangen. Die Ausländerpolitik wurde von den Gewerkschaften und Arbeitgeber hegemonisiert. 613 Bedenkt man die Tatsache, dass das Parlament für die Ausländerpolitik ab Anfang der 1960er Jahren nicht mehr zuständig war, so stellt sich die Wahlrechtsdebatte für Nichtstaatsbürger in einem neuen Licht. Fundament der bescheidenen Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb des Gewerkschaftsbundes sind die Betriebsratswahlen. Im Gegensatz zu den Kammern werden die Funktionäre des ÖGB nicht direkt gewählt. Die fraktionelle Vertretung auf den verschiedensten Ebenen der Fachgewerkschaften, Landesexekutiven und des Gewerkschaftsbundes orientieren sich am Ergebnis der Wahlen zum Betriebsrat (BR) in den einzelnen Unternehmen und industriellen Branchen (Gächter 1996). Das vom Ständestaat übergeleitete faschistische Betriebsratsverbot macht es unmöglich, dass Ausländer BR- Mitglieder werden könnten. Somit konnten sie auch nicht Gewerkschaftsfunktionäre werden. Der Zugang zu den Kontingentierungsverhandlungen blieb dadurch ethnisch gesperrt. Beim Beitritt zur EU änderte sich hier kaum etwas, da über 90% aller Gastarbeiter nicht EU-Bürger sind. Der ÖGB wird solange Ausländerpolitik gegen den Interessen der Ausländer in Österreich betreiben, solange die Betroffenen aus den außerparlamentarischen paritätischen Verhandlungen ausgegrenzt bleiben. C. Erzwungene Komplementarität Das System der paritätischen Kontingentierung ermöglichte es den Sozialpartnern, auf die sich anbahnende Wirtschaftsflaute 1973 rasch und flexibel zu reagieren. Staatliche Abwerbebegrenzungen und Zuwanderungsverschärfungen waren nicht erforderlich, da die Rekrutierung ohnehin im autonomen Wirkungsbereich von ÖGB und BWK geregelt wurde. Auf Drängen der Gewerkschaft Bau/Holz vereinbarten die Sozialpartner, dass die Ausländerbeschäftigung für das Jahr 1974 auf den Stand vom Oktober 1973 eingefroren werden sollte. Um die Zuwanderung zu bremsen, wurden als Notmaßnahme die zuständigen Verwaltungsstellen aufgefordert, neben der Reduzierung der Kontingente, "strenger den 613 Es ist keinen Zufall, daß die formelle Festlegung der Kontingentierung und die Entmachtung des Parlaments im gleichen Dokument - Raab-Olah-Abkommen - festgelegt werden.

473 Wohnungsnachweis zu prüfen und die fremdenpolizeilichen Maßnahmen einzusetzen, um die Mißstände in der Quartierung und der Touristenbeschäftigung zu beseitigen. Für bessere Kontrolle der Ausländerbeschäftigung wurden für jene nicht in Kontingenten erfaßten Berufsgruppen, die Beschäftigung eines Ausländers an die Anwerbung im Ausland gebunden." (Matuschek 1985, 182). 1973 leitete ein Prozeß die zunehmende Systematisierung des Inländerprimats ein. Der Übergang vom starren Inländerschutz zum flexiblen Inländerprimat stützte sich auf die Erfahrung mit der lang andauernden Wirtschaftskonjunktur ab Ende der 50er Jahre. Eine Beibehaltung des Inländerschutzes hätte ab Anfang der 60er Jahre wachstumshemmend gewirkt; der ÖGB drängte auf eine geregelte Liberalisierung des Marktes für ausländische Arbeitskräfte. Durch das oben erwähnte Prinzip, last hire, first fire wurden Ausländer ausdrücklich aus dem Schutzbereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausgegrenzt. Solange die Konjunktur anhielt, konnte die Zulassung zum Arbeitsmarkt informell durch die Kontingentregelung der Paritätischen Kommission gesteuert werden. Mit Einbruch der internationalen Konjunkturkrise 1973 genügte das System der außerparlamentarischen Migrationssteuerung nicht mehr. Ab 1974 waren die Sozialpartner also angewiesen, sich auf die Gewaltmechanismen des Staates zu beziehen, um den Ausländeranteil rapid zu reduzieren. Im Jahr 1973 arbeiteten 117,300 österreichische Gastarbeiter und Pendler in der Schweiz und Deutschland und 226,800 Staatsfremde in Österreich. Im November 1973 verhängte die deutsche Bundesregierung einen strikten Anwerbestopp. Dieser wurde unter anderem vom DGB gefordert (Dohse 1981, 310). Innerhalb von nur vier Jahren wurde die Anzahl der österreichischen Beschäftigten in der BRD von 101.000 (1973) auf 74.900 (1977) gesenkt. Der staatliche bundesdeutsche Anwerbestopp betraf in den Jahren der Wirtschaftsflaute also nicht nur Gastarbeiter aus den geringer entwickelten Ländern Südeuropas, auch österreichische Zuwanderer und Pendler wurden in dieser Zeit vom ausländischen Arbeitsmarkt verdrängt. Der Vergleich zu den sechziger Jahren ist hier besonders aufschlußreich. Von der vorübergehenden Wirtschaftskrise 1967-1968 waren die vorwiegend fachlich hochqualifizierten Österreicher kaum betroffen. Die Steigerung von insgesamt 43.000 österreichischen Arbeitnehmern in Deutschland 1961 bis auf 101.000 beim Höchststand 1973 wurde lediglich durch das Krisenjahr 1967, wenn auch nur geringfügig

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Wohnungsnachweis zu prüfen und die fremdenpolizeilichen Maßnahmen einzusetzen, um die<br />

Mißstände in der Quartierung und der Touristenbeschäftigung zu beseitigen. Für bessere<br />

Kontrolle der Ausländerbeschäftigung wurden für jene nicht in Kontingenten erfaßten<br />

Berufsgruppen, die Beschäftigung eines Ausländers an die Anwerbung im Ausland<br />

gebunden." (Matuschek 1985, 182).<br />

1973 leitete ein Prozeß die zunehmende Systematisierung des Inländerprimats ein. Der<br />

Übergang vom starren Inländerschutz zum flexiblen Inländerprimat stützte sich auf die<br />

Erfahrung mit der lang andauernden Wirtschaftskonjunktur ab Ende der 50er Jahre. Eine<br />

Beibehaltung des Inländerschutzes hätte ab Anfang der 60er Jahre wachstumshemmend<br />

gewirkt; der ÖGB drängte auf eine geregelte Liberalisierung des Marktes für ausländische<br />

Arbeitskräfte. Durch das oben erwähnte Prinzip, last hire, first fire wurden Ausländer<br />

ausdrücklich aus dem Schutzbereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausgegrenzt. Solange die<br />

Konjunktur anhielt, konnte die Zulassung zum Arbeitsmarkt informell durch die<br />

Kontingentregelung der Paritätischen Kommission gesteuert werden. Mit Einbruch der<br />

internationalen Konjunkturkrise 1973 genügte das System der außerparlamentarischen<br />

Migrationssteuerung nicht mehr. Ab 1974 waren die Sozialpartner also angewiesen, sich auf<br />

die Gewaltmechanismen des Staates zu beziehen, um den Ausländeranteil rapid zu<br />

reduzieren.<br />

Im Jahr 1973 arbeiteten 117,300 österreichische Gastarbeiter und Pendler in der Schweiz und<br />

Deutschland und 226,800 Staatsfremde in Österreich. Im November 1973 verhängte die<br />

deutsche Bundesregierung einen strikten Anwerbestopp. Dieser wurde unter anderem vom<br />

DGB gefordert (Dohse 1981, 310). Innerhalb von nur vier Jahren wurde die Anzahl der<br />

österreichischen Beschäftigten in der BRD von 101.000 (1973) auf 74.900 (1977) gesenkt.<br />

Der staatliche bundesdeutsche Anwerbestopp betraf in den Jahren der Wirtschaftsflaute also<br />

nicht nur Gastarbeiter aus den geringer entwickelten Ländern Südeuropas, auch<br />

österreichische Zuwanderer und Pendler wurden in dieser Zeit vom ausländischen<br />

Arbeitsmarkt verdrängt. Der Vergleich zu den sechziger Jahren ist hier besonders<br />

aufschlußreich. Von der vorübergehenden Wirtschaftskrise 1967-1968 waren die vorwiegend<br />

fachlich hochqualifizierten Österreicher kaum betroffen. Die Steigerung von insgesamt<br />

43.000 österreichischen Arbeitnehmern in Deutschland 1961 bis auf 101.000 beim<br />

Höchststand 1973 wurde lediglich durch das Krisenjahr 1967, wenn auch nur geringfügig

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