REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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462 Reformunterfangen - im Rahmen der Ausländererlässe - hatte man die Weimarer Gesetzgebung auf das Niveau der Verordnung über die Einstellung und Beschäftigung ausländischer Arbeiter von 2. Januar 1923 (Dohse 1981, 101) zurück reformiert. Die in diesem Gesetz vorgesehenen und 1933 abgeschafften paritätischen Prüfungsausschüsse der Arbeitsämter sowie die im Nationalsozialismus abgeschaffte Paritätische Kommission im Beschwerdeverfahren wurde wieder hergestellt. Die Schaffung dieser Institutionen war in den Erlässen von 1946 und 1951 enthalten. Der VGH erklärte nun, dass hierfür eine legistische Grundlage vollständig fehle. Ohne diese Deckung und der dazugehörigen Durchführungsbestimmungen würde das Sozialministerium die Gesetzgeber - also das Parlament und indirekterweise auch das österreichische Volk - gesetzwidrig umgehen. 597 Der VGH setzte formell die Weimarer Ausländerverordnung von 1933 in ihrer ursprünglichen unparitätischen Form wieder in Kraft. Um dem Parlament Zeit zu geben, die seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Praxis auf eine legale Basis zu stellen, wurde aber eine Übergangsfrist von 18.12.1959 bis 15. 06.1960 gesetzt. Die informell arbeitende Paritätische Kommission, die aus einer ähnlichen Umgehungspanne entstanden war, beschloß zuerst nicht - wie im Falle ihrer eigenen Gründung - den Weg der Informalität einzuschlagen. So kam es am 1.4.1960 - von diesem außerparlamentarischen Gremium der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter initiiert - zu einer Aufforderung an das Sozialministerium, einen Gesetzesentwurf zur Ausländerbeschäftigung auszuarbeiten. Der Gesetzgebungsprozeß stockte jedoch wegen der vorherrschenden Unstimmigkeiten 598 zwischen den Sozialpartnern. (Wollner 1996, 38-56). Die Frist bis Jahresmitte 1960 konnte somit nicht eingehalten werden. 1. Gewerkschaftliche Ausländerpolitik Dieses anekdotenhafte Wissen wurde durch Gespräche mit südslawischen Gewerbetreibende, Akademiker und Minderheitenvertreter nach dem Untergang des realsozialistischen Jugoslawiens bestätigt. 597 Die Sozialpartner und das Sozialministerium hatte beim Ausländererlaß von 20.06.1951 offensichtlich den gleichen Formfehler begangen wie bei der zwei Monate zuvor auf illegale Weise eingerichtete sozialpartnerschaftlichen Wirtschaftsdirektorium der Bundesregierung (April 1951). "Der VGH erkläter nun in diesem Zusammenhang in seiner Urteilbegründung, daß die Erlässe nicht nur 'wegen nicht gehöriger Kundmachung gesetzwidrig' wären, sondern auch infolge einer fehlenden legistische Grundlage. Exemplarisch erläuterte der VGH diese Feststellung in Bezug auf die Verwaltungs- und Vermittlungsausschuüsse. 'Wenn nun solcherart feststeht, daß die nunmehrige Schaffung von Verwaltungsausschüsse und Vermittlungsausschüssen nicht an die Bestimmungen des AVAVG. Anknüpfen, so stellen die besagte Erlässe keine Durchführungsbestimmungen zu gesetzlichen Regelungen dar. Sie erweisen sich auch inhaltlich als gesetzwidrig, weil sie der gesetzlichen Deckung entbehren.' Die Paritätische Kommission beschloß in ihrer Sitzung am 1.4.1960 an das BMfsV die Auffordung zu richten, einen Gesetzesentwurf zur Ausländerbeschäftigung auszuarbeiten." (Wollner 1996, 36). 598 Hier ging es vor allem um das Primat der Einzelgenehmigung, das bereits im Inlandarbeiterschutzgesetz für das Bereich der Landwirtschaft teilweise beseitigt wurden und erst von den Nazis 1941 hergestellte werden könnte. Für den ÖGB war es

463 Mit dem Scheitern des Parlamentarismus in Bereich der Ausländerbeschäftigung sah sich der ÖGB wie im Falle der paritätischen Wirtschaftsplanung (siehe oben) Mitte der 50er Jahre gezwungen, die Initiative zu ergreifen. Hierbei bedienten sich die Gewerkschaften eines verfahrenstechnischen Schachzugs, um die Arbeitgeber unter Zugzwang zu setzen. Indem der ÖGB auf seinen Begutachtungsanspruch 599 und auf eine im Frühjahr 1961 geplante Sitzung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einfach verzichtete, setzte er gegen den Willen der Bundeswirtschaftskammer de facto Kontingente für das Jahr 1961 durch. In Absprache mit den Fachgewerkschaften Bau/Holz und Hotel/Gastgewerbe wurden diese von den jeweiligen Landesexekutiven je nach dem von den Arbeitnehmern vorbestimmten erforderlichen Zeit und Menge als Toleranzobergrenzen einseitig festgelegt. Auch die Herkunftsländer (Italien, Schweiz, BRD und Jugoslawien) wurden vom ÖGB vorbestimmt. Diese Kontingentierung wurde ausdrücklich als saisonale Übergangslösung gekennzeichnet 600 . (Wollner 1996, 58-61). Das folgende Zitat aus einem Brief des ÖGB-Präsidenten Franz Olah an den damaligen Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer Franz Dworak vom 16.06.1961 zeigt deutlich, dass die Vertretung der österreichischen Arbeitgeber bereits jeglichen Vertretungsanspruch bezüglich der Interessen der Gastarbeiter abgelegt haben. Franz Olah brach mit der Tradition des austromarxistischen Inländerschutzes. Für den ÖGB-Präsident sind Gastarbeiter nicht gleichberechtigte Kolleginnen und Kollegen, die man aus Gründen der vorübergehenden wirtschaftlichen Not aus Österreich fernhalten muß, sondern lediglich Arbeitskräfte, die man im Dienste des österreichischen Nationalinteresses befristet ins Land holen soll. Somit tritt 1960 unvorstellbar, diese Konzept - wonach Kontingenten nur als Ausnahme und nicht als Anrecht der Arbeitgeber verstanden wurden - neuerdings durchbrochen werden sollte. Vgl. Wollner 1996, 46. 599 Im Erlaß vom 13.06.1960 wurde das Vorlageverfahren aus der Zeit vor 1959 verfestigt, "demzufolge (...) die Entscheidungen der Landes- bzw. Arbeitsämter an das BMfsV und von dort den Interessenvertretungen zur Stellungnahme weitergeleitet wurden. Eine breite Palette von paritätische Mitbestimmungsmöglichkeiten müßte das Weimarer Ausländerverordnung von 1933 ergänzen bevor es endgültig 1976 aufgehoben wurde. (Wollner 1996, 52-56) 600 Bei dieser einseitigen Lösung führte der ÖGB auch das Konzept des umfassenden Inländerprimats - last hire, first fire - ein. "Neu in diesem Zusammenhang war die vom ÖGB iniziierte Vorschrift, Ausländer vor Inländer zu entlassen. Während den von ÖGB und BMfsV erstellten Gesetzesentwurf der Gedanke einer Benachteiligung von Ausländern gegenüber Inländern bei der Vergabe einer Beschäftigung charakterisierte, waren die ausländischen Arbeitskräfte nun auch als erste vom Verlust einer Beschäftigung betroffen." (Wollner 1996, 61). Hier sieht man den deutlichen Unterschied zum kommunistischen Staatsgewerkschaft des Entsenderlandes Jugoslawien. Während die realsozialistischen, jugoslawischen Gewerkschaften noch zu dieser Zeit (siehe oben) eine auf südslawischer, nationaler Autarkie basierende Inländerprimat verfolgten, handelte der ÖGB autonom. Im Gegensatz zum jugoslawischen Bruderverband, war der österreichische Bund vom Staat völlig unabhängig. In Jugoslawien hingegen war die Migrationspolitik des Staates und der Gewerkschaften totalitär. Arbeitswillige dürften nicht aus Jugoslawien legal abwandern, da dies - nach Meinung der ICEM - dem Logik der kommunistischen Weltordnung zuwider lief. Die ÖGB führte mit dem Frühjahrskontingent von 1961 eine eigenständige Politik des nationalstaatlichen Einsatzes von ausländischen Arbeitskräfte ein. Dies setzte eine gefügige Gastarbeiterschaft voraus. Die Sozialisierung der jugoslawischen Zuwanderer in Österreich kam dieses Bedürfnis entgegen. Die überwiegende Mehrheit aller Gastarbeiter stammten aus einem Land, in dem es keine echte Gewerkschaften gab. In Gegensatz zu den Arbeiter aus Italien, Spanien oder Griechenland, stellten die Jugoslawen an eine Organisation, die erfahrungsgemäß nur die Interessen der realsozialistischen Machtelite diente, kaum Ansprüche. Das oben dargestellte undemokratische Verhalten der sozialistisch dominierten ÖGB gegenüber dieser realsozialistischen Zuwanderer hat sicherlich nichts dazu beigetragen, um den Zynismus der jugoslawischen Gastarbeiter abzubauen.

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Mit dem Scheitern des Parlamentarismus in Bereich der Ausländerbeschäftigung sah sich der<br />

ÖGB wie im Falle der paritätischen Wirtschaftsplanung (siehe oben) Mitte der 50er Jahre<br />

gezwungen, die Initiative zu ergreifen. Hierbei bedienten sich die Gewerkschaften eines<br />

verfahrenstechnischen Schachzugs, um die Arbeitgeber unter Zugzwang zu setzen. Indem der<br />

ÖGB auf seinen Begutachtungsanspruch 599 und auf eine im Frühjahr 1961 geplante Sitzung<br />

der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einfach verzichtete, setzte er gegen den Willen der<br />

Bundeswirtschaftskammer de facto Kontingente für das Jahr 1961 durch. In Absprache mit<br />

den Fachgewerkschaften Bau/Holz und Hotel/Gastgewerbe wurden diese von den jeweiligen<br />

Landesexekutiven je nach dem von den Arbeitnehmern vorbestimmten erforderlichen Zeit<br />

und Menge als Toleranzobergrenzen einseitig festgelegt. Auch die Herkunftsländer (Italien,<br />

Schweiz, BRD und Jugoslawien) wurden vom ÖGB vorbestimmt. Diese Kontingentierung<br />

wurde ausdrücklich als saisonale Übergangslösung gekennzeichnet 600 . (Wollner 1996, 58-61).<br />

Das folgende Zitat aus einem Brief des ÖGB-Präsidenten Franz Olah an den damaligen<br />

Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer Franz Dworak vom 16.06.1961 zeigt deutlich,<br />

dass die Vertretung der österreichischen Arbeitgeber bereits jeglichen Vertretungsanspruch<br />

bezüglich der Interessen der Gastarbeiter abgelegt haben. Franz Olah brach mit der Tradition<br />

des austromarxistischen Inländerschutzes. Für den ÖGB-Präsident sind Gastarbeiter nicht<br />

gleichberechtigte Kolleginnen und Kollegen, die man aus Gründen der vorübergehenden<br />

wirtschaftlichen Not aus Österreich fernhalten muß, sondern lediglich Arbeitskräfte, die man<br />

im Dienste des österreichischen Nationalinteresses befristet ins Land holen soll. Somit tritt<br />

1960 unvorstellbar, diese Konzept - wonach Kontingenten nur als Ausnahme und nicht als Anrecht der Arbeitgeber<br />

verstanden wurden - neuerdings durchbrochen werden sollte. Vgl. Wollner 1996, 46.<br />

599 Im Erlaß vom 13.06.1960 wurde das Vorlageverfahren aus der Zeit vor 1959 verfestigt, "demzufolge (...) die<br />

Entscheidungen der Landes- bzw. Arbeitsämter an das BMfsV und von dort den Interessenvertretungen zur Stellungnahme<br />

weitergeleitet wurden. Eine breite Palette von paritätische Mitbestimmungsmöglichkeiten müßte das Weimarer<br />

Ausländerverordnung von 1933 ergänzen bevor es endgültig 1976 aufgehoben wurde. (Wollner 1996, 52-56)<br />

600 Bei dieser einseitigen Lösung führte der ÖGB auch das Konzept des umfassenden Inländerprimats - last hire, first fire -<br />

ein. "Neu in diesem Zusammenhang war die vom ÖGB iniziierte Vorschrift, Ausländer vor Inländer zu entlassen. Während<br />

den von ÖGB und BMfsV erstellten Gesetzesentwurf der Gedanke einer Benachteiligung von Ausländern gegenüber<br />

Inländern bei der Vergabe einer Beschäftigung charakterisierte, waren die ausländischen Arbeitskräfte nun auch als erste<br />

vom Verlust einer Beschäftigung betroffen." (Wollner 1996, 61). Hier sieht man den deutlichen Unterschied zum<br />

kommunistischen Staatsgewerkschaft des Entsenderlandes Jugoslawien. Während die realsozialistischen, jugoslawischen<br />

Gewerkschaften noch zu dieser Zeit (siehe oben) eine auf südslawischer, nationaler Autarkie basierende Inländerprimat<br />

verfolgten, handelte der ÖGB autonom. Im Gegensatz zum jugoslawischen Bruderverband, war der österreichische Bund<br />

vom Staat völlig unabhängig. In Jugoslawien hingegen war die Migrationspolitik des Staates und der Gewerkschaften<br />

totalitär. Arbeitswillige dürften nicht aus Jugoslawien legal abwandern, da dies - nach Meinung der ICEM - dem Logik der<br />

kommunistischen Weltordnung zuwider lief. Die ÖGB führte mit dem Frühjahrskontingent von 1961 eine eigenständige<br />

Politik des nationalstaatlichen Einsatzes von ausländischen Arbeitskräfte ein. Dies setzte eine gefügige Gastarbeiterschaft<br />

voraus. Die Sozialisierung der jugoslawischen Zuwanderer in Österreich kam dieses Bedürfnis entgegen. Die überwiegende<br />

Mehrheit aller Gastarbeiter stammten aus einem Land, in dem es keine echte Gewerkschaften gab. In Gegensatz zu den<br />

Arbeiter aus Italien, Spanien oder Griechenland, stellten die Jugoslawen an eine Organisation, die erfahrungsgemäß nur die<br />

Interessen der realsozialistischen Machtelite diente, kaum Ansprüche. Das oben dargestellte undemokratische Verhalten der<br />

sozialistisch dominierten ÖGB gegenüber dieser realsozialistischen Zuwanderer hat sicherlich nichts dazu beigetragen, um<br />

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