REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

454 In ihrer Ausgabe vom 3.6.1960 warf das westdeutsche Nachrichtenmagazine Der Spiegel Österreich vor, im Rahmen der Operation Jugo tausende jugoslawische Asylsuchende an ihr Herkunftsland ausgeliefert zu haben. Dieser Bericht ging auf einen lang andauernden Konflikt zwischen dem Innenministerium und einigen internationalen Flüchtlingshilfsorganisationen zurück. Die Bundesregierung wies die internationalen Vorwürfe seit Ende der 50er Jahre, wonach sie Flüchtlinge in totalitär regierten Ländern aus freien Stücken abschob, zurück. Die Vertreter der großen Koalition versicherten der Öffentlichkeit, dass seit Abzug der Russen Flüchtlinge so gut wie nicht mehr aus Österreich zurückgeschickt wurden. Nach einer Stellungnahme eines österreichischen Vertreters auf dem 10. WAR/AER FlüchtlingsKongress in Vaduz 1960 hätten alle Flüchtlinge - explizit auch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge - Anspruch auf Asyl in Österreich. 587 (Moore 1961). Die durchaus heikle Frage der Zuwanderung aus Jugoslawien nach Österreich während der späten fünfziger Jahren zeigt wie verschwommen die Grenze zwischen dem Flüchtlings- und Wanderarbeiterstatus zu dieser Zeit bereits war. Österreich war in den Jahren zwischen dem Staatsvertrag 1955 und Raab-Olah-Abkommen 1961 noch kein typisches Land der Gastarbeiterbeschäftigung. Abgesehen von den Volksdeutschen, die ab 1951 automatisch einen Befreiungsschein erhielten (siehe oben), befanden sich kaum Staatsfremde am Arbeitsmarkt. Die Zahl der Beschäftigungsgenehmigungen für ausländische Arbeitnehmer, einschließlich der Verlängerungsbewilligungen, verminderte sich im Laufe der fünfziger Jahre allmählich. 1958 wurden bei rund 7 Millionen Einwohnern und 2,202,809 unselbständig Erwerbstätigen, 40.389 Genehmigungen für die Beschäftigung von Ausländern neu erteilt beziehungsweise wieder verlängert, Tendenz fallend. Die über Anwerbeverträge rekrutierten Gastarbeiter spielten keine Rolle. "Auf Grund der bestehenden Gastarbeitnehmervereinbarungen (etwa mit Italien BGBl. Nr. 123/1958, E.S.) haben 170 ausländische Gastarbeitnehmer um Beschäftigung in Österreich angesucht, von denen 118 für einen Arbeitsplatz in Österreich zugelassen wurden." (Jahrbuch 1959, 188). 1959 wurden 37.225 Genehmigungen, 1960 1988) Anfang der 90er Jahre - ähnlich die Anfang der 70er Jahre - initiierten, weil gerade diese Ablenkung durch Jörg Haider den tatsächlichen Ursachen der Verschärfungen im Ausländerbereich verdeckten. 587 "Dr. Theodor Veiter, Feldkirch, wandte sich gegen die Zitierung einer Zeitschrift, wie sie Der Spiegel (Hamburg) darstelle, und gegen die darin sowie in anderen Publikationen zutage getretene unzutreffende Darstellung der Behandlung und der Aufnahme von jugoslawischen Flüchtlinge in Österreich. Veiter betonte, daß selbstredend auch 'Wirtschaftsflüchtlinge' Anspruch auf Anerkennung des Flüchtlings-Status nach der Konvention von 1951 besäßen und jugoslawische Flüchtlinge schon seit Sommer 1959 so gut wie nicht mehr von Österreich zurückgeschickt worden seien,

455 30.769 Genehmigungen, 1961 30.266 Genehmigungen und schließlich - leicht steigend - 1962 34.124 Genehmigungen an heimische Arbeitgeber verlängert oder neu erteilt. 588 Die Zahl der Anträge beziehungsweise Zulassungen auf Grund zwischenstaatlicher Gastarbeitnehmervereinbarungen lagen für 1959 bei 163 zu 111; 1960 155 zu 110; 1961 118 zu 65 und schließlich 1962 109 zu 51 (Jahrbuch 1960; 1961; 1962; 1963). 589 Die Zeit der massiven Gastarbeiterrekrutierung hat noch nicht begonnen. 1. Zurückstellung von Wirtschaftsflüchtlingen Die erste Auswanderungswelle aus Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg fiel in diese Übergangszeit. Nach Abzug der Besatzungsbehörden im Herbst 1955 waren, wie oben erwähnt, die österreichischen Grenzbehörden nur noch dem Wiener Innenministerium gegenüber verantwortlich. Vor allem die sehr ernstzunehmende Gefahr der Auslieferung an die heimatlichen kommunistischen Sicherheitsdienste fiel somit vorübergehend weg. Österreich verpflichtet sich 1955 auch keine Rückschiebungen mehr vorzunehmen. "Als sich aber Mitte des Jahres 1956 die Zahl der jugoslawischen Asylwerber, begünstigt durch die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, wesentlich verstärkte, appellierte Österreich um internationale Hilfe. Die westliche Welt fand sich jedoch nicht bereit, Österreich zu unterstützen." So wurden bereits 1956 von 5500 Asylwerbern 2100, im Jahr 1958 von 4400 bereits 2579 "mangels Flüchtlingseigenschaft wieder zurückgestellt" in das Land, aus dem sie illegal geflüchtet waren. 590 Für diese Flüchtlinge wurde der Begriff "Wirtschaftsflüchtling geprägt." (Stanek 1985, 79-80) Die Wiederaufnahme der in der Besatzungszeit nur von den Sowjets im großen Stil praktizierten Zurückstellung von Asylwerbern in ihren kommunistischen Herkunftsländern bewirkte, dass das Intergovernmental Committee for European Migration (ICEM) eine Doppelstrategie einschlug. Einerseits kritisierte sie die Asylpolitik Österreichs, andererseits übernahmen sie aber auch praktische Schritte, damit die Aussiedlung aus dem Land beschleunigt werden konnte, um dadurch den Rückschiebungen zumal an die Stelle der Auffanglager Wagna und Tessendorf-Annabichl das Zentralauffanglager Traiskirchen bei Wien getreten sei." (Moore 1961, 190). 588 Nicht alle dieser Beschäftigungsgenehmigungen wurden tatsächlich in Anspruch genommen. So arbeiten beispielsweise 1961 lediglich rund 16.200 und 1962 17.700 Gastarbeitnehmer in Österreich (Biffl 1997, table 11). 589 Mit der Wiedereinführung des Befrieungsschiens in Dezember 1959 (Wollner 1996, 35) wurden 1960 3063 Verlängerungsbewilligungen in Befreiungsschiene (nach zehnjähriger legalen Beschäftigung) umgewandelt. 1961 wurde 4717 und 1962 3631 Befreiungsscheine (inklusive Verlängerungen) ausgestellt. 590 Stanek druckt in der quasi-offiziellen Geschichte der österreichischen Flüchtlingspolitik aus, daß diese rigide Asylpraxis u.a. dazu beitragen sollte, einen "Rückgang jugoslawischer Asylwerber" zu ermöglichen. (1985, 80).

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In ihrer Ausgabe vom 3.6.1960 warf das westdeutsche Nachrichtenmagazine Der Spiegel<br />

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zwischen dem Innenministerium und einigen internationalen Flüchtlingshilfsorganisationen<br />

zurück. Die Bundesregierung wies die internationalen Vorwürfe seit Ende der 50er Jahre,<br />

wonach sie Flüchtlinge in totalitär regierten Ländern aus freien Stücken abschob, zurück. Die<br />

Vertreter der großen Koalition versicherten der Öffentlichkeit, dass seit Abzug der Russen<br />

Flüchtlinge so gut wie nicht mehr aus Österreich zurückgeschickt wurden. Nach einer<br />

Stellungnahme eines österreichischen Vertreters auf dem 10. WAR/AER FlüchtlingsKongress<br />

in Vaduz 1960 hätten alle Flüchtlinge - explizit auch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge -<br />

Anspruch auf Asyl in Österreich. 587 (Moore 1961). Die durchaus heikle Frage der<br />

Zuwanderung aus Jugoslawien nach Österreich während der späten fünfziger Jahren zeigt wie<br />

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Zeit bereits war.<br />

Österreich war in den Jahren zwischen dem Staatsvertrag 1955 und Raab-Olah-Abkommen<br />

1961 noch kein typisches Land der Gastarbeiterbeschäftigung. Abgesehen von den<br />

Volksdeutschen, die ab 1951 automatisch einen Befreiungsschein erhielten (siehe oben),<br />

befanden sich kaum Staatsfremde am Arbeitsmarkt. Die Zahl der<br />

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wurden bei rund 7 Millionen Einwohnern und 2,202,809 unselbständig Erwerbstätigen,<br />

40.389 Genehmigungen für die Beschäftigung von Ausländern neu erteilt beziehungsweise<br />

wieder verlängert, Tendenz fallend. Die über Anwerbeverträge rekrutierten Gastarbeiter<br />

spielten keine Rolle. "Auf Grund der bestehenden Gastarbeitnehmervereinbarungen (etwa mit<br />

Italien BGBl. Nr. 123/1958, E.S.) haben 170 ausländische Gastarbeitnehmer um<br />

Beschäftigung in Österreich angesucht, von denen 118 für einen Arbeitsplatz in Österreich<br />

zugelassen wurden." (Jahrbuch 1959, 188). 1959 wurden 37.225 Genehmigungen, 1960<br />

1988) Anfang der 90er Jahre - ähnlich die Anfang der 70er Jahre - initiierten, weil gerade diese Ablenkung durch Jörg<br />

Haider den tatsächlichen Ursachen der Verschärfungen im Ausländerbereich verdeckten.<br />

587 "Dr. Theodor Veiter, Feldkirch, wandte sich gegen die Zitierung einer Zeitschrift, wie sie Der Spiegel (Hamburg)<br />

darstelle, und gegen die darin sowie in anderen Publikationen zutage getretene unzutreffende Darstellung der Behandlung<br />

und der Aufnahme von jugoslawischen Flüchtlinge in Österreich. Veiter betonte, daß selbstredend auch<br />

'Wirtschaftsflüchtlinge' Anspruch auf Anerkennung des Flüchtlings-Status nach der Konvention von 1951 besäßen und<br />

jugoslawische Flüchtlinge schon seit Sommer 1959 so gut wie nicht mehr von Österreich zurückgeschickt worden seien,

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