REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

450 Die Gewerkschaften und Arbeiterkammer - und mit ihr das sozialdemokratisch kontrollierte Sozialministerium - setzten ihre Ablehnung des Mißbrauchs von Zuwanderern nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Fremde Arbeitnehmer sollten von den gut bezahlten Arbeitsmarktsegmenten fern gehalten werden. Aus diesem Grund versuchte man jahrelang, die hunderttausenden Volksdeutschen in Österreich in einer arbeitsmarktpolitischen Randlage zu halten. Diese Ausgrenzungspolitik gegenüber den gleichsprachigen Staatsfremden wurde im Laufe der 50er Jahre überwunden. Das wesentlich neue Element an der Beschäftigungspolitik der 60er Jahre war die Abkehr von dieser grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber der Ausländerbeschäftigung. Von gewerkschaftlicher Seite wurde erstmals der Versuch unternommen, staatsfremde Arbeitskräfte gezielt im Interesse der österreichischen Nationalwirtschaft zum Einsatz zu bringen. Bei dieser strategischen Wende in der Beschäftigungspolitik waren zwei Entwicklungen ausschlaggebend, nämlich die Anerkennung der österreichischen Nation 576 und die Entstehung des Regulierungssystems der Sozialpartnerschaft. Zusammengenommen ermöglichten diese zwei neuen Aspekte des österreichischen politischen Systems die Überwindung des sozialpolitisch auszehrenden Deutschnationalismus und die Abschwächung des wirtschaftlich und gesellschaftlich zerstreuenden Klassenantagonismus. Exemplarisch für den neuen Nationalstolz des wiederbelebten Österreichbewußtseins ist die Äußerung des Bundeskanzlers im Jahr der Unabhängigkeit 1955. "Mit dem heutigen Tag wird der Unterschied gegenüber der seelischen Verfassung des österreichischen Volkes im Jahre 1918 voll sichtbar. Unser Selbstbewußtsein hat sich bis zu einem eigenständigen österreichischen Nationalbewußtsein gesteigert." (Bundeskanzler Julius Raab, Das Kleine Volksblatt, 27.10.1955) Spätestens mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags scheint der Gründungsmythos der österreichischen Nation bei den politischen Eliten verankert gewesen zu sein. 576 Wann genau die österreichische Nation endgültig als durchschlagendes Konzept in der Politik und politischen Strategieentwicklung anerkannt wurde ist einer der umstrittensten Fragen der österreichischen Zeitgeschichte und Politikwissenschaft. Die Jahren 1867 (Ausgleich), 1871 (kleindeutsche Lösung), 1918 (Erste Republik), 1938 (vaterländische Volksabstimmung), 1943 (Moskauer Erklärung) und 1945 (Zweiter Republik) werden von wesentlichen Teile der wissenschaftlichen "community" in Frage gestellt. Von keine Seite wird jedoch abgestritten, daß bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 Österreich nicht nur eine unabhängige Republik sondern auch eine selbständige Nation geworden war. Somit bezog sich die Name des österreichischen Parlaments - Nationalrat - nicht mehr auf die deutsche, sondern zum ersten Mal auf die österreichischen Nation.

451 Die Sozialpartnerschaft machte nach dem gescheiterten Generalstreik vom September/Oktober 1950 große Fortschritte. Die ÖVP hatte sich nämlich bis Ende der 40er Jahre vehement gegen eine direkte Beteiligung des ÖGB bei der Wirtschaftsplanung im Rahmen des Marshallplans gestellt. Hiergegen halfen auch die mehrmaligen Interventionen der US-Behörden wenig (Sensenig 1987, 114-116). Sechs Monate nachdem der ÖGB bewiesen hat, dass er nicht nur in der Lage war, die Kommunisten 577 unter Kontrolle zu halten, sondern auch den berechtigten Unmut 578 in den eigenen sozialdemokratischen Reihen zu lenken, ließ sich die ÖVP umstimmen und bezog die Sozialpartner direkt in das im April 1951 gesetzlich verankerten Wirtschaftsdirektorium der Bundesregierung 579 ein. (Ausch 1965, 49) Diese Vorform der heutigen Sozialpartnerschaft ging 1957 in die Paritätische Kommission über. Somit waren spätestens zwei Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrags zwei Institutionen - Sozialpartnerschaft und österreichische Nation - installiert, die es ermöglichten sollten, eine neue Qualität in der Ausländerpolitik entstehen zu lassen. 577 Nach der Freigabe der Dokumente der US-Besatzung Anfang der 80er Jahre wurde auch in Österreich bekannt, daß die US-Armee zu keiner Zeit mit einer kommunistischen Machtergreifung rechnete, sich jedoch im Klaren war, warum die ÖGB und SPÖ diese These nach Außen vertreten müßten (Sensenig 1985). Die detaillierten Berichte des Leiters der Wirtschaftsabteilung (Econ Group/USACA, Field Office Linz, APO 174 US Army) der US Armee in Linz, Otto Nicoleth, gehören zu den wichtigsten Originalberichte über den sog. Kommunistenputsch. Sie machen klar, daß es beim Kampf um die 4. Lohn-Preis-Abkommen, auch um die Untergrabung der noch vorhandenen basisdemokratischen Tendenzen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung ging. Für die Ausländerpolitik ist dies deswegen relevant, weil es die Position der Führung des ÖGB in Frage stellt, daß man nur deswegen eine ausländerfeindliche Politik betreibt, weil dies von der Basis gefordert würde. "Judging from speeches of Federal Ministers and government pronounciamentos the Federal Government is either deplorably misinformed or tries to give a wrong impression of the actual happenings. It is simply not true that the strikes were carried out by a handful of 'Communo-Fascists' (...). (There) is proof enough that the people are better democrats than some of the leaders of the 'Gewerkschaftsbund' (Labor Unions). It became quite clear that the main grievance of the strikers was the alleged disloyalty of the Labor Union Presidents. The workers are of opinion that these labor union red-tapists have lost every contact with the working man and are using undemocratic measures. One thing which especially upset the average worker was the obviously untrue statement of President Böhm that rising prices will be wholly compensated by the wage increases scheduled in the wage-and-price agreement. (...) The only way out of this dilemma would be to tell the people in an understandable way, without using wrong figures, the truth and nothing but the truth: That we in Austria are living above our means and that if we carry on, our way undoubtedly is leading to disaster." (USAF,1950) Dies Forderung nach einer ehrlichen Auseinandersetzung innerhalb des ÖGB um der Frage der Wirtsschafts- und Sozialpolitik klingt nach dem heutigen Wissensstand über die innergewerkschaftliche Demokratie in Österreich äußerst naive. Benutzten die Gewerkschaftsführung undemokratischen Mittel und offensichtlich unehrlichen Stellungnahmen gegenüber ihren inländischen, deutschsprachigen sozialdemokratischen Fraktionsmehrheit innerhalb des ÖGB, so kann man sich vorstellen welchen Methoden sie bei den ausländischen, nichtdeutschsprachigen und in der Regel nicht sozialdemokratisch organisierten Wanderarbeiter und Saisoniers der 1960er und 1970er Jahren anwendeten. 578 Der Vertreter der US-Militärregierung in Linz (Otto Nicoleth) fand - in einem Bericht über die Streikbewegung in Oberösterreich - die Forderungen und Methoden der Streikenden berechtigt. Nach seiner Meinung hätten die Verantwortlichen in der Bundesregierung und ÖGB, nach einer derart massiven und überzeugenden Manifestation des Mißtrauens von der Basis zurücktreten müssen. "The strikes in Upper Austria, unlike those in Vienna, originally were just a demonstration of the discontent of all employees. The Communists, of course, took advantage of the situation (...). But at the same time the events in Upper Austria very clearly reveal the fact that the majority of the population disagrees with the way in which the Federal Government and the Trade Union leaders are handling matters. In a free, not occupied country the result of the strikes would be: resignation of the Government or some members of it, and resignation of the Trade Union leaders." (USFA 1950) 579 Das Wirtschaftsdirektorium wurde zwar vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt, da es Entscheidungsvollmachten zugebilligt wurde, die nur dem Nationalrat zustanden, es konnte jedoch 1957 in Form der informellen, ausserparlamentarischen Paritätischen Kommission als Konzept wiederbelebt werden. Anfang März teilte die amtliche Wiener Zeitung (13.3.1957) nämlich mit, daß der Ministerrat die Kammern und den Gewerkschaftsbund ersucht

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Die Sozialpartnerschaft machte nach dem gescheiterten Generalstreik vom<br />

September/Oktober 1950 große Fortschritte. Die ÖVP hatte sich nämlich bis Ende der 40er<br />

Jahre vehement gegen eine direkte Beteiligung des ÖGB bei der Wirtschaftsplanung im<br />

Rahmen des Marshallplans gestellt. Hiergegen halfen auch die mehrmaligen Interventionen<br />

der US-Behörden wenig (Sensenig 1987, 114-116). Sechs Monate nachdem der ÖGB<br />

bewiesen hat, dass er nicht nur in der Lage war, die Kommunisten 577 unter Kontrolle zu<br />

halten, sondern auch den berechtigten Unmut 578 in den eigenen sozialdemokratischen Reihen<br />

zu lenken, ließ sich die ÖVP umstimmen und bezog die Sozialpartner direkt in das im April<br />

1951 gesetzlich verankerten Wirtschaftsdirektorium der Bundesregierung 579 ein. (Ausch<br />

1965, 49) Diese Vorform der heutigen Sozialpartnerschaft ging 1957 in die Paritätische<br />

Kommission über. Somit waren spätestens zwei Jahre nach Unterzeichnung des<br />

Staatsvertrags zwei Institutionen - Sozialpartnerschaft und österreichische Nation - installiert,<br />

die es ermöglichten sollten, eine neue Qualität in der Ausländerpolitik entstehen zu lassen.<br />

577 Nach der Freigabe der Dokumente der US-Besatzung Anfang der 80er Jahre wurde auch in Österreich bekannt, daß die<br />

US-Armee zu keiner Zeit mit einer kommunistischen Machtergreifung rechnete, sich jedoch im Klaren war, warum die ÖGB<br />

und SPÖ diese These nach Außen vertreten müßten (Sensenig 1985). Die detaillierten Berichte des Leiters der<br />

Wirtschaftsabteilung (Econ Group/USACA, Field Office Linz, APO 174 US Army) der US Armee in Linz, Otto Nicoleth,<br />

gehören zu den wichtigsten Originalberichte über den sog. Kommunistenputsch. Sie machen klar, daß es beim Kampf um die<br />

4. Lohn-Preis-Abkommen, auch um die Untergrabung der noch vorhandenen basisdemokratischen Tendenzen innerhalb der<br />

Gewerkschaftsbewegung ging. Für die Ausländerpolitik ist dies deswegen relevant, weil es die Position der Führung des<br />

ÖGB in Frage stellt, daß man nur deswegen eine ausländerfeindliche Politik betreibt, weil dies von der Basis gefordert<br />

würde. "Judging from speeches of Federal Ministers and government pronounciamentos the Federal Government is either<br />

deplorably misinformed or tries to give a wrong impression of the actual happenings. It is simply not true that the strikes<br />

were carried out by a handful of 'Communo-Fascists' (...). (There) is proof enough that the people are better democrats than<br />

some of the leaders of the 'Gewerkschaftsbund' (Labor Unions). It became quite clear that the main grievance of the strikers<br />

was the alleged disloyalty of the Labor Union Presidents. The workers are of opinion that these labor union red-tapists have<br />

lost every contact with the working man and are using undemocratic measures. One thing which especially upset the average<br />

worker was the obviously untrue statement of President Böhm that rising prices will be wholly compensated by the wage<br />

increases scheduled in the wage-and-price agreement. (...) The only way out of this dilemma would be to tell the people in<br />

an understandable way, without using wrong figures, the truth and nothing but the truth: That we in Austria are living above<br />

our means and that if we carry on, our way undoubtedly is leading to disaster." (USAF,1950) Dies Forderung nach einer<br />

ehrlichen Auseinandersetzung innerhalb des ÖGB um der Frage der Wirtsschafts- und Sozialpolitik klingt nach dem<br />

heutigen Wissensstand über die innergewerkschaftliche Demokratie in Österreich äußerst naive. Benutzten die<br />

Gewerkschaftsführung undemokratischen Mittel und offensichtlich unehrlichen Stellungnahmen gegenüber ihren<br />

inländischen, deutschsprachigen sozialdemokratischen Fraktionsmehrheit innerhalb des ÖGB, so kann man sich vorstellen<br />

welchen Methoden sie bei den ausländischen, nichtdeutschsprachigen und in der Regel nicht sozialdemokratisch<br />

organisierten Wanderarbeiter und Saisoniers der 1960er und 1970er Jahren anwendeten.<br />

578 Der Vertreter der US-Militärregierung in Linz (Otto Nicoleth) fand - in einem Bericht über die Streikbewegung in<br />

Oberösterreich - die Forderungen und Methoden der Streikenden berechtigt. Nach seiner Meinung hätten die<br />

Verantwortlichen in der Bundesregierung und ÖGB, nach einer derart massiven und überzeugenden Manifestation des<br />

Mißtrauens von der Basis zurücktreten müssen. "The strikes in Upper Austria, unlike those in Vienna, originally were just a<br />

demonstration of the discontent of all employees. The Communists, of course, took advantage of the situation (...). But at the<br />

same time the events in Upper Austria very clearly reveal the fact that the majority of the population disagrees with the way<br />

in which the Federal Government and the Trade Union leaders are handling matters. In a free, not occupied country the<br />

result of the strikes would be: resignation of the Government or some members of it, and resignation of the Trade Union<br />

leaders." (USFA 1950)<br />

579 Das Wirtschaftsdirektorium wurde zwar vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt, da es<br />

Entscheidungsvollmachten zugebilligt wurde, die nur dem Nationalrat zustanden, es konnte jedoch 1957 in Form der<br />

informellen, ausserparlamentarischen Paritätischen Kommission als Konzept wiederbelebt werden. Anfang März teilte die<br />

amtliche Wiener Zeitung (13.3.1957) nämlich mit, daß der Ministerrat die Kammern und den Gewerkschaftsbund ersucht

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