REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

448 Deutsche Reich wurde diese Frage gelöst. Schließlich spielte die Frage der Rasse oder Ethnizität bereits in der Monarchie bei der Zigeunerbekämpfung und im Umgang mit Reichsitalienern, reichsdeutschen Protestanten und tschechischen und jüdischen Binnenwanderern eine Rolle. Erst mit der österreichischen Option Anfang der 20er Jahre kippte diese Debatte in offenen Rassismus um und mündete schließlich in der Verfolgung und Vernichtung von jüdischen, romani und slawischen Österreichern und Ausländern im Zweiten Weltkrieg. Sowohl die paritätische Gestaltung wie die Einstufung der Immigration im Bereich der inneren Sicherheit und auch die ethnische Diskriminierung sind integraler Bestandteil der modernen österreichischen Sozial- und Beschäftigungspolitik geworden. Den zentrale Kernsatz der österreichischen Ausländerpolitik bildet jedoch ihre Teilung des Arbeitsmarktes in zwei deutliche Segmente. Die Entscheidung, staatsfremde Arbeitnehmer nicht zu integrieren, sondern langfristig auf ihren reinen Warencharakter zu reduzieren und für die österreichische Wirtschaft und Sozialpolitik nutzbar zu machen, geht auf die Jahre 1921 bis 1923 zurück. In dieser Zeit - geprägt durch die Definition Österreichs als deutscher Staat nach Sprache und Rasse - verabschiedeten sich die Freien Gewerkschaften, sozialdemokratische Partei Deutschösterreichs und neugegründete Arbeiterkammer sowohl von der Forderung nach ungehinderter Freizügigkeit am kapitalistischen Arbeitsmarkt wie von dem Gedanken des Internationalismus. Mit dem Versuch, eine sozial gerechte und demokratisch gestaltete Gesellschaft für alle Inländern deutscher Sprache und Rasse zu schaffen, werden Ausländer und Nichtdeutsche grundsätzlich aus der österreichischen Gesellschaft ausgegrenzt. Lediglich die Notwendigkeit, auf die über 100.000 Tschechen in Wien und auf die Forderungen der Arbeitgeber nach einer Erhöhung der Ausländerbeschäftigung Rücksicht zu nehmen, führt die Sozialdemokratie dazu, sich kompromißbereit zu zeigen. So durften sich Ausländer in der Ersten Republik - als einzigem demokratischen Staat Mitteleuropas - in der Gewerkschaftsbewegung aktiv beteiligen und Mitglied des Betriebsrats werden. Die österreichische Beschäftigungspolitik setzt auch 1925 alle Ausländer, die bis zum 1.1.1923 eingewandert waren, mit den Inländern in vielen Bereichen gleich und war somit im Vergleich zum Deutschen Reich oder der Tschechoslowakei relativ liberal. Die wesentliche politische und kulturelle Konstellation bei der Entstehung der Ausländerpolitik der 20er Jahre beinhaltet zwei Spannungsfelder. Einerseits versuchten die

449 Sozialdemokraten als Partei und als Arbeitnehmervertretung Einfluß auf die Beschäftigungspolitik zu erkämpfen, was ihnen im Bereich der Ausländerpolitik bis 1933/1934 auch im wesentlichen gelungen ist. Andererseits versuchten die verschiedenen Parteien wie auch die Sozialpartner die nationalen und sozialen Interessen des Landes in Einklang zu bringen, was ihnen nur in Ansätzen geglückt ist. Einer der Bereiche, wo in groben Zügen ein Konsens hergestellt werden konnte, war die Ausländerbeschäftigung und Zuwanderung. Nach einem anfänglichen Versuch (1921) Deutschösterreicher und Reichsdeutsche gleichzustellen, wurde diese Strategie zugunsten des - noch nicht in der Begrifflichkeit der Nationalität definierbaren - österreichischen Gesamtinteresses (1923) abgelegt. Das Inlandarbeiterschutzgesetz (1925) und der Paritätische Beirat für Wanderarbeiter (1926) stellen die vorläufigen Höhepunkte der sozialdemokratischen Hegemonie in der Ausländerfrage dar. Die Politik der Ersten Republik unterschiedet sich von jener der Zweiten dadurch, dass man die Ausländerbeschäftigung vor 1938 noch nicht als Quelle des nationalen Wohlstandes begriffen hatte. Freie Gewerkschaften, SDAP und Arbeiterkammer lehnten die Ausländerbeschäftigung grundsätzlich ab und waren lediglich gewillt, der jährlichen Zuwanderung von einigen tausend Arbeitern in den Bereichen Industrie und Gewerbe und 10.000 bis 15.000 Saisoniers in der Landwirtschaft zuzustimmen. Diese Positionierung der Sozialdemokratie beruht in der Regel weder auf Ausländerfeindlichkeit noch Rassismus, sondern auf der Vorstellung, dass Zuwanderer grundsätzlich nur als Lohndrücker und Streikbrecher zu betrachten wären. 575 Aus diesem Blickwinkel betrachtet, stellte während der Ersten Republik der wichtigste Schritt vorwärts in Richtung des heutigen modernen Systems eben der Versuch dar, durch die Verdrängung von Staatsfremden den Mißbrauch von allen Arbeitnehmern zu verhindern beziehungsweise Ausweisung zuvorzukommen. Die Vorstellung der SDAP und der Freien Gewerkschaften während der Monarchie, wonach der Import von Arbeitskräften als unabdingbarer Bestandteil des Kapitalismus akzeptiert werden musstem, galt ab Anfang der 1920er Jahren als endgültig überholt. 575 Diese Unterscheidung sollte nicht aus dem Blickfeld geraten, da Ausländerfeindlichkeit in der Tat sehr oft nicht rassistisch, sondern sozialchauvinistisch begründet wurde und wird. Die Vorstellung, daß Einwanderung a priori zu Lohndumping führen muß, ist auch heute nicht unwichtig und führt viele Politiker und Gewerkschafter dazu, gegen Ausländerbeschäftigung zu opponieren, ohne daß sie das grundsätzliche Recht der Ausländer auf Mitbestimmung und Gleichbehandlung in Frage zu stellen. Das Einmalige bei der Ausländerpolitik des ÖGB in der Zweiten Republik ist, daß der Gewerkschaftsbund selber die Rekrutierung von Ausländern zu begünstigen beginnt, dieser staatsfremde "Kollegen" jedoch sämtliche Ansprüche auf Mitbestimmung und gesellschaftliche Gleichstellung und Förderung abspricht.

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Deutsche Reich wurde diese Frage gelöst. Schließlich spielte die Frage der Rasse oder<br />

Ethnizität bereits in der Monarchie bei der Zigeunerbekämpfung und im Umgang mit<br />

Reichsitalienern, reichsdeutschen Protestanten und tschechischen und jüdischen<br />

Binnenwanderern eine Rolle. Erst mit der österreichischen Option Anfang der 20er Jahre<br />

kippte diese Debatte in offenen Rassismus um und mündete schließlich in der Verfolgung<br />

und Vernichtung von jüdischen, romani und slawischen Österreichern und Ausländern im<br />

Zweiten Weltkrieg. Sowohl die paritätische Gestaltung wie die Einstufung der Immigration<br />

im Bereich der inneren Sicherheit und auch die ethnische Diskriminierung sind integraler<br />

Bestandteil der modernen österreichischen Sozial- und Beschäftigungspolitik geworden.<br />

Den zentrale Kernsatz der österreichischen Ausländerpolitik bildet jedoch ihre Teilung des<br />

Arbeitsmarktes in zwei deutliche Segmente. Die Entscheidung, staatsfremde Arbeitnehmer<br />

nicht zu integrieren, sondern langfristig auf ihren reinen Warencharakter zu reduzieren und<br />

für die österreichische Wirtschaft und Sozialpolitik nutzbar zu machen, geht auf die Jahre<br />

1921 bis 1923 zurück. In dieser Zeit - geprägt durch die Definition Österreichs als deutscher<br />

Staat nach Sprache und Rasse - verabschiedeten sich die Freien Gewerkschaften,<br />

sozialdemokratische Partei Deutschösterreichs und neugegründete Arbeiterkammer sowohl<br />

von der Forderung nach ungehinderter Freizügigkeit am kapitalistischen Arbeitsmarkt wie<br />

von dem Gedanken des Internationalismus. Mit dem Versuch, eine sozial gerechte und<br />

demokratisch gestaltete Gesellschaft für alle Inländern deutscher Sprache und Rasse zu<br />

schaffen, werden Ausländer und Nichtdeutsche grundsätzlich aus der österreichischen<br />

Gesellschaft ausgegrenzt. Lediglich die Notwendigkeit, auf die über 100.000 Tschechen in<br />

Wien und auf die Forderungen der Arbeitgeber nach einer Erhöhung der<br />

Ausländerbeschäftigung Rücksicht zu nehmen, führt die Sozialdemokratie dazu, sich<br />

kompromißbereit zu zeigen. So durften sich Ausländer in der Ersten Republik - als einzigem<br />

demokratischen Staat Mitteleuropas - in der Gewerkschaftsbewegung aktiv beteiligen und<br />

Mitglied des Betriebsrats werden. Die österreichische Beschäftigungspolitik setzt auch 1925<br />

alle Ausländer, die bis zum 1.1.1923 eingewandert waren, mit den Inländern in vielen<br />

Bereichen gleich und war somit im Vergleich zum Deutschen Reich oder der<br />

Tschechoslowakei relativ liberal.<br />

Die wesentliche politische und kulturelle Konstellation bei der Entstehung der<br />

Ausländerpolitik der 20er Jahre beinhaltet zwei Spannungsfelder. Einerseits versuchten die

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