REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

372 Reich seine Aufrüstungsphase abgeschlossen und ging in die Phase der unmittelbaren Kriegswirtschaft über. (Dirninger 1990, 170) Dies bekam die Ostmarkt unmittelbar zu spüren. “An Österreich interessierten vor allem die Bodenschätze (Erzberg, Magnesit, Erdöl), der Holzreichtum, die unausgenützten Reserven an Wasserkraft, aber auch das Heer der (zum Großteil hochqualifizierten) Arbeitslosen, die brachliegenden Industriekapazitäten, die Banken (mit ihrem Know-how für eine Südost-Expansion) und - nicht zuletzt - die Gold und Devisenreserven der Oesterreichisches Nationalbank. Denn die ausgewiesenen Währungsreserven der Reichsbank waren Ende 1937 auf den symbolischen Betrag von 77 Mio. Reichsmark (RM) gesunken.” (Kernbauer/Weber 1988, 52) Seit 1936 hatte das Deutsche Reich unter einem akuten Arbeitskräftemangel zu leiden. Bis 1938 ist dies - vor den Rohstoffen, den Betriebsanlagen und den Finanzen, zum zentralen wehrwirtschaftlichen Problem geworden. Während in vergleichsweisen großen Wirtschaftsräumen, wie etwa den USA die Wirtschaft in beiden Weltkriegen auf Millionen unterbeschäftigter afrikanischstämmiger und lateinamerikanischer Inlandsarbeiter zurückgreifen konnte (James 1991; Adero 1993; Lemann 1991; Yans-McLaughlin 1990 ), fand im Deutschen Reich eine ähnlich massive Umschichtung und Binnenwanderung nicht statt. Gleich nach dem Anschluss plünderte die reichsdeutsche Industrie deswegen den krisengeschüttelten österreichischen Arbeitsmarkt. Einer der Hauptgründe für den Rückgang der ostmärkischen Arbeitslosigkeit innerhalb “eines Zeitraumes von nur sieben Monaten (...) von 600.000 auf 100.000 (ist in) der Dienstverpflichtung ins Altreich (zu sehen). Allein aus dem Wehrkreis XVIII (Ostösterreich, E.S.) wurden in den Jahren 1938-1939 ca. 90.000 Arbeitskräfte in das Altreich vermittelt” (Gatterbauer 1975, 28). Diese Abwanderung hörte auch dann nicht auf, als deutlich wurde, dass sie der ostmärkischen Kriegsproduktion schadete. “Der wirtschaftliche Erfolg des Anschlusses Österreichs war so bedeutend, dass die Theorie vom “Europäischen Großwirtschaftsraum” sich glänzend bestätigt zu haben schien - nunmehr aber noch erweitert um eine arbeitspolitische Variante, die in dieser Form gar nicht erwartet war. Die so sehnlich herbeigewünschte Entlastung der deutschen Volkswirtschaft war gleichwohl nur von kurzer Dauer, bis die österreichische Wirtschaft etwa Ende 1938 konjunkturell mit dem “Altreich” gleichgezogen hatte und nun ihrerseits ebenfalls die

373 typischen Mangelerscheinungen einer konjunkturell überhitzten Rüstungswirtschaft zeigte.” (Herbert 1985, 57) Eine ähnliche Entwicklung spielte sich Ende 1938, Anfang 1939 bei der Einverleibung des Sudetenlandes und des “Protektorats Böhmen und Mähren” ab. Die tschechoslowakischen Goldreserven und Industrie wurden unmittelbar in die Reichsdeutsche Kriegswirtschaft integriert. Ein Großteil der 100.000 arbeitslosen Tschechen, Deutsche und Slowaken dieser Gebiete wurde ins “Altreich” abkommandiert. Trotz dieser wirtschaftlichen Erfolge konnte der Heißhunger der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft nach Arbeitskräften nur kurzfristig gesättigt werden. Bereits Mitte 1939 schnellte der gemeldete Fehlbedarf an Arbeitern auf rund 1 Million. Der Bergbau war besonders hart davon betroffen. Hier führte der Mangel an zusätzlichen Arbeitskräfte zur Stagnation, teilweise sogar zum Rückgang der Produktion. Hiervon war vor allem der Kohlbergbau betroffen (Herbert 1985, 58). Die Heranziehung von Frauen im Bergbau - wie dies im Ersten Weltkrieg üblich war - wurde zu dieser Zeit noch nicht in Erwägung gezogen. Die nationalsozialistische Geschlechterpolitik führte in der Ostmarkt zu einer völligen Verzerrung der weiblichen Beschäftigung im Zweiten Weltkrieg. Während Frauen in Cisleithanien von Beginn des Ersten Weltkriegs an in allen Industriebranchen stark vertreten waren und dadurch zum Teil auch die fehlenden Männer in den kriegswichtigen Produktionszweigen der Schwerindustrie ersetzen konnten, haben die Nazis aus ideologischen Gründen zuerst bewußt auf den Einsatz von Frauen verzichtet. Im Zweiten Weltkrieg lief die Entwicklung Ausgangs sogar in die umgekehrte Richtung. Da die weibliche, deutsche Bevölkerung im Nationalsozialismus auf ihre Gebähr- und Reproduktionsfunktionen reduziert wurde (Tidl 1984), kam eine Zwangsverpflichtung der deutschen, nichtjüdischen Frauen in die kriegswichtige Industrieproduktion aus ideologischen Gründen nicht in Frage. Diese Entscheidung fügte der deutschen Kriegswirtschaft großen Schaden zu und wurde erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges schrittweise geändert. “Bei Kriegsbeginn wurden schlagartig Millionen von Männern von ihren Arbeitsplätzen abgezogen. Da die Produktion weiterlaufen musste, um Kriegsmaterial ersetzen zu können, wäre es dringend geboten gewesen, die entstehenden Lücken wieder aufzufüllen. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass kurz nach dem Überfall auf Polen ca. 300.000 Frauen

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Reich seine Aufrüstungsphase abgeschlossen und ging in die Phase der unmittelbaren<br />

Kriegswirtschaft über. (Dirninger 1990, 170) Dies bekam die Ostmarkt unmittelbar zu spüren.<br />

“An Österreich interessierten vor allem die Bodenschätze (Erzberg, Magnesit, Erdöl), der<br />

Holzreichtum, die unausgenützten Reserven an Wasserkraft, aber auch das Heer der (zum<br />

Großteil hochqualifizierten) Arbeitslosen, die brachliegenden Industriekapazitäten, die<br />

Banken (mit ihrem Know-how für eine Südost-Expansion) und - nicht zuletzt - die Gold und<br />

Devisenreserven der Oesterreichisches Nationalbank. Denn die ausgewiesenen<br />

Währungsreserven der Reichsbank waren Ende 1937 auf den symbolischen Betrag von 77<br />

Mio. Reichsmark (RM) gesunken.” (Kernbauer/Weber 1988, 52)<br />

Seit 1936 hatte das Deutsche Reich unter einem akuten Arbeitskräftemangel zu leiden. Bis<br />

1938 ist dies - vor den Rohstoffen, den Betriebsanlagen und den Finanzen, zum zentralen<br />

wehrwirtschaftlichen Problem geworden. Während in vergleichsweisen großen<br />

Wirtschaftsräumen, wie etwa den USA die Wirtschaft in beiden Weltkriegen auf Millionen<br />

unterbeschäftigter afrikanischstämmiger und lateinamerikanischer Inlandsarbeiter<br />

zurückgreifen konnte (James 1991; Adero 1993; Lemann 1991; Yans-McLaughlin 1990 ),<br />

fand im Deutschen Reich eine ähnlich massive Umschichtung und Binnenwanderung nicht<br />

statt. Gleich nach dem Anschluss plünderte die reichsdeutsche Industrie deswegen den<br />

krisengeschüttelten österreichischen Arbeitsmarkt. Einer der Hauptgründe für den Rückgang<br />

der ostmärkischen Arbeitslosigkeit innerhalb “eines Zeitraumes von nur sieben Monaten (...)<br />

von 600.000 auf 100.000 (ist in) der Dienstverpflichtung ins Altreich (zu sehen). Allein aus<br />

dem Wehrkreis XVIII (Ostösterreich, E.S.) wurden in den Jahren 1938-1939 ca. 90.000<br />

Arbeitskräfte in das Altreich vermittelt” (Gatterbauer 1975, 28). Diese Abwanderung hörte<br />

auch dann nicht auf, als deutlich wurde, dass sie der ostmärkischen Kriegsproduktion<br />

schadete.<br />

“Der wirtschaftliche Erfolg des Anschlusses Österreichs war so bedeutend, dass die Theorie<br />

vom “Europäischen Großwirtschaftsraum” sich glänzend bestätigt zu haben schien - nunmehr<br />

aber noch erweitert um eine arbeitspolitische Variante, die in dieser Form gar nicht erwartet<br />

war. Die so sehnlich herbeigewünschte Entlastung der deutschen Volkswirtschaft war<br />

gleichwohl nur von kurzer Dauer, bis die österreichische Wirtschaft etwa Ende 1938<br />

konjunkturell mit dem “Altreich” gleichgezogen hatte und nun ihrerseits ebenfalls die

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