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REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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allmähliche Übergang vom ständestaatischen, alternativen Deutschtum hin zur “nationalen<br />

Entwicklung nach dem Modell der Schweiz oder Hollands” prägte auch den Alltag im<br />

Kleinen. Neben einer den reichsdeutschen Besatzern ergebenen nationalsozialistischen<br />

Herrscherelite existierten - beispielsweise am Arbeitsplatz - Keime eines erlebten<br />

Österreicherseins, das sich mit der sich abzeichnenden Vertreibung der reichsdeutschen<br />

Besatzungsmacht allmählich zur nationalen Widerständigkeit entwickeln konnte. Hierbei<br />

stellten vor allem die ersten Niederlagen im Rußlandfeldzug eine Zäsur dar (Ardelt 1991;<br />

Hanisch 1983, 266; Neugebauer 1988,548). Dieses “sich Absetzen” gegenüber den<br />

voraussichtlichen Weltkriegsverlierer hatte in vielen Fällen den Alltag der Kriegsgefangenen<br />

und Zwangsarbeiter erträglicher und lebbarer gemacht, vor allem dort, wo Österreicher und<br />

Fremde Aspekte ihres gemeinsamen Alltags autonom gestalten konnten. Hätte es in der<br />

österreichischen Industrie nach der reichsdeutschen Niederlage in Stalingrad 1942/1943<br />

tatsächlich solche Formen des Alltagsaltruismus 519 gegeben, denn wäre der traditionsreiche<br />

alpine Salzbergbau im sozialdemokratisch bzw. katholisch geprägten Hallein ein<br />

Industriebetrieb, in dem dies sicherlich zu vermuten wäre.<br />

Auch wirtschaftlich lagen Österreich und das Deutsche Reich 1938 weit auseinander. Die<br />

reichsdeutsche und österreichische Wirtschaften entwickelten sich nämlich in den fünf Jahren<br />

zwischen der Ausschaltung der Demokratie in beiden Ländern 1933 und dem Anschluss 1938<br />

in unterschiedliche Richtungen. Die Regierungen der Ersten wie der Weimarer Republik<br />

verfolgte “eine von Hartwährungspolitik und Haushaltsausgleich dominierte, deflationistisch<br />

wirkende, protektionistische und an ordnungspolitische (…), marktwirtschaftliche Ideen und<br />

Prinzipien orientierte wirtschaftspolitische Strategie (…).” Dies führte zu einer äußerst<br />

niedrigen Investionsquote und sehr hohen Arbeitslosenrate. Die nationalsozialistische<br />

Wirtschaftspolitik führte 1933 im Deutschen Reich eine Strategie ein, die “durch Eingriffe in<br />

die Wirtschaft die ökonomischen Voraussetzungen und Grundlagen für Aufrüstung,<br />

Kriegsvorbereitung und schließlich Kriegsführung” schaffen sollte. 1938 hatte das Deutsche<br />

519 Altruismus zwischen Angehörigern fremder bzw. feindlicher Gruppen liegt sogar, nach den Thesen der darwinistischen<br />

Sozialgenetik in der Natur des Menschen als Gattung. Matt Ridley spricht in diesem Zusammenhang von der vererbten<br />

Fähigkeit menschlicher Gesellschaften Kooperation und Xenophobie in einer sich verwandelnden Situation strategisch<br />

abwechselnd anzuwenden. Nach Ridley ist Altruismus eine Eigenschaft, die die Menschheit genetisch entwickelt hat; ein<br />

ziviler Reflex, der für das Überleben von vielen gesellschaftlich organisierten Säugetieren absolut notwendig ist. Die<br />

Neigung, auch völlig fremde Tiere der gleichen Rasse freundlich und hilfreich zu behandeln, ist in jedem Menschen<br />

inhärent. Die kommt vor allem dann zur Geltung, wenn dieses Verhalten das Überleben der Gruppe zu begünstigen<br />

verspricht. (Sulloway 1998).

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