REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

306 geringe, dass sie eine den Zuzug verhindernde Massnahme kaum rechtfertigen würde." In der Steiermark und Kärnten existierte 1921 eine regelrechte Knappheit an Arbeitskräften (MfSVer,1921,61,13699). Im August dieses Jahres betont das Gewerbe Inspektorat für Salzburg, dass auch die Salzburger Bauindustrie "ein förmliches Bedürfnis nach den für diese 444 Arbeiten besonders geeigneten italienischen und südslavischen Arbeitern behaupten würde." (MfSVer,1921,61,27788) Im November 1921 sah sich die Gemeinde Linz sogar gezwungen, 4000 Festmeter ihrer städtischen Holzreserven nach Italien zu verkaufen, um die dringend benötigten italienischen Baufacharbeiter in Lire auszahlen zu können und sie somit an die Ausreise nach Frankreich 445 zu verhindern (MfSVer,1921,61,2386). Schließlich gab die Vorarlberger Handelskammer in Feldkirch im Oktober des folgenden Jahres bekannt, dass sich die Stickereiindustrie genötigt sah, auch inländische Arbeiter in Franken auszuzahlen, "da darin das einzig wirksame Mittel gefunden wurde, um die zunehmende, die Produktionsmöglichkeiten arg gefährdende Abwanderung guter und bester Arbeitskräfte nach der Schweiz zu steuern.” Die hierdurch ausgelöste Konzentration auf der Textilindustrie zwang andere Branchen, wie etwa die Bauindustrie, Anfang der 20er Jahre staatsfremde Arbeiter aus Deutschland und Italien im großen Stil zu importieren (WA,1929,2236/408,66637). Noch schlimmer als in der Industrie war die Arbeitskräfteknappheit in der Landwirtschaft. Wie in der bis dato einzigen umfassenden Arbeit über die Ausländerpolitik der Ersten Republik (Pelz 1994) detailliert dargestellt wurde, hatten die neuen nationalen Grenzen in vielen Fällen Arbeitgeber und Arbeitnehmer künstlich voneinander getrennt. Dazu kam der Verlust von wichtigen Anbau- und Produktionsflächen in Ungarn und der Tschechoslowakei. Um sowohl die traditionellen - nunmehr grenzüberschreitenden - Beschäftigungsverhältnisse wiederherzustellen und zusätzliche Arbeitskräfte für eine Intensivierung der rückständigen deutschösterreichischen Landwirtschaft zu gewinnen, wurde im Rahmen des Österreichischen-Tschechoslowakischen Ressortübereinkommens im Mai 1921 die geschah. Auch mußten sie nunmehr - und das war völlig neu in Österreich - Maßnahmen der Arbeitslosenfürsorge durchführen.‟ (Schmidt 1991, 75) 444 Hierbei ging es überwiegend um tschechische, südslawische und italienische Facharbeiter für die Glasindustrie und Ziegeleien (Bürmoos), Bergarbeiter (Mitterberger Kupfer A.G.) und Maurern und Mineuren (Hochgebirgsbaustellen), die bereits seit Jahrzehnten im Land Salzburg beschäftigt waren. (MfSVer,1921,61,27788) 445 „Ein großes Bauprojekt ist in Ausführung begriffen. Die Durchführung dieses Programmes stieß auf enorme Schwierigkeiten in der Geld- und Materialbeschaffung. (...) (W)eil geübte Arbeitskräfte fehlten, (müßten) besond. in Linz (...) ital. Arbeiter (beschäftigt werden), die in italienischer Valuta bezahlt werden mußten. (...) Eine Verweigerung der Lirazahlung war ausgeschlossen, nachdem die Italiener erklärten, in den Fällen sofort die Arbeit einzustellen und nach Frankreich zu gehen, wo große Nachfrage nach Ziegelarbeitern besteht.‟ (MfSVer,1921,61,2386)

307 beschleunigte Einwanderung von Tschechen und Slowaken vor allem nach Oberösterreich, Niederösterreich und dem Burgenland bilateral vereinbart 446 . So gelang es den heimischen Landwirten, die 1922/1923 nur 6% des österreichischen Zuckerbedarfes 447 decken konnten, innerhalb 15 Jahre ihre Produktion um 1.000% auszuweiten. Möglich war diese volkswirtschaftliche Glanzleistung durch das legale und illegale Heranziehen von Tausenden staatsfremden Saisonarbeitern aus dem benachbarten Ausland (Pelz 1994, 30). Die Begünstigung und teilweise sogar Förderung der Arbeitsmigration seitens der Landwirtschafts-, Innen- und Sozialministerien in den Jahren 1920 und 1921 war nicht unumstritten. Kritik kam sowohl von seiten der Arbeitsmarkbehörden und Vertreter der einheimischen Arbeitnehmer (Gewerkschaften und AK) wie auch von seiten der Landesregierungen und betroffenen Bürgermeister. Von größter Bedeutung ist die Tatsache, dass dieser Widerstand mehrheitlich nicht rein sozialpolitisch begründet wurde. Die früheste derzeit dokumentierbare Stellungnahme gegen die Beschäftigung von staatsfremden Arbeitern stammt von der IBK Klagenfurt (Juni 1921) und bezieht sich auf die vom Sozialministerium ab Mai 1921 geförderte Zuwanderung von vorwiegend italienischen Erd- und Ziegelarbeitern. Die Kärntner Behörden kritisierten die Zulassungspolitik der Bundesregierung, v.a. deswegen, weil es zu dieser Zeit kaum möglich war Fremdarbeiter zu bekommen, ohne sie in einer ausländischen Währung auszuzahlen. Die lakonische Erwiderung des Sozialministeriums ließ nicht lange auf sich warten. Da diese finanzielle Belastung die Zuwanderung aus Italien ohnehin auf ein Mindestmaß begrenzen würde, schien "die Zuwanderung der Arbeiter in sozialpolitischer Hinsicht unbedenklich.” (MfSVer,1921,61,15286) 448 In der Steiermark, Wien, Vorarlberg und Kärnten wurden in der Metall- und Ziegelindustrie, Zuckerindustrie, Textilindustrie und Ziegel- und 446 vgl. Pelz 1994, 35: „In die Verhandlung des jährlich zu erneuernden Vertrages waren Vertreter beider Ministerien für Landwirtschaft, des Wiener Generalkonsulates, der Berufsvereinigungen österreichischer Arbeitgeber und schließlich Vertreter tschechoslowakischer Arbeitnehmer eingebunden.” 447 In Zusammenhang mit der notwendigen Hebung der Zuckerproduktion bekam die Anwerbung staatsfremder Arbeiter fast eine patriotische Legitimation. Dies war auch einer der Hauptgründe, warum - mit Ausnahme des Burgenlandes - landwirtschaftliche Arbeiter bei der Verabschiedung des Inlandarbeiterschutzgesetzes ausgenommen wurden. Um dieser Schwäche wenigstens ansatzweise beizukommen, verlangte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Landarbeitergewerkschaft und Nationalratsabgeordneter Pius Schneeberger die Einführung eines Paritätischen Beirats bei der Festlegung der ausländischen Saisonierkontingente. Dies konte er, trotz anfänglicher Ablehnung der Arbeitgeberseite und des Ministeriums, auch durchsetzen. (MfLFW,1926,600?,29945) 448 Daß dies tatsächlich der Fall war, bestätigt ein Brief des Holzindustriellen S. Glesinger, der Anfang Dezember 1921 folgendes über die Bezahlung seiner Fremdarbeiter berichtet: „Bei dem heutigen Kurse hat sich dieser Lohn mehr als verzehnfacht (…).” Der Wechselkurs Lire-Krone ist nämlich in kürzester Zeit von 1-30 auf 1-300 geklettert. (MfSVer,1922,61,32194)

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geringe, dass sie eine den Zuzug verhindernde Massnahme kaum rechtfertigen würde." In der<br />

Steiermark und Kärnten existierte 1921 eine regelrechte Knappheit an Arbeitskräften<br />

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Salzburg, dass auch die Salzburger Bauindustrie "ein förmliches Bedürfnis nach den für<br />

diese 444 Arbeiten besonders geeigneten italienischen und südslavischen Arbeitern behaupten<br />

würde." (MfSVer,1921,61,27788) Im November 1921 sah sich die Gemeinde Linz sogar<br />

gezwungen, 4000 Festmeter ihrer städtischen Holzreserven nach Italien zu verkaufen, um die<br />

dringend benötigten italienischen Baufacharbeiter in Lire auszahlen zu können und sie somit<br />

an die Ausreise nach Frankreich 445 zu verhindern (MfSVer,1921,61,2386). Schließlich gab<br />

die Vorarlberger Handelskammer in Feldkirch im Oktober des folgenden Jahres bekannt, dass<br />

sich die Stickereiindustrie genötigt sah, auch inländische Arbeiter in Franken auszuzahlen,<br />

"da darin das einzig wirksame Mittel gefunden wurde, um die zunehmende, die<br />

Produktionsmöglichkeiten arg gefährdende Abwanderung guter und bester Arbeitskräfte nach<br />

der Schweiz zu steuern.” Die hierdurch ausgelöste Konzentration auf der Textilindustrie<br />

zwang andere Branchen, wie etwa die Bauindustrie, Anfang der 20er Jahre staatsfremde<br />

Arbeiter aus Deutschland und Italien im großen Stil zu importieren<br />

(WA,1929,2236/408,66637).<br />

Noch schlimmer als in der Industrie war die Arbeitskräfteknappheit in der Landwirtschaft.<br />

Wie in der bis dato einzigen umfassenden Arbeit über die Ausländerpolitik der Ersten<br />

Republik (Pelz 1994) detailliert dargestellt wurde, hatten die neuen nationalen Grenzen in<br />

vielen Fällen Arbeitgeber und Arbeitnehmer künstlich voneinander getrennt. Dazu kam der<br />

Verlust von wichtigen Anbau- und Produktionsflächen in Ungarn und der Tschechoslowakei.<br />

Um sowohl die traditionellen - nunmehr grenzüberschreitenden - Beschäftigungsverhältnisse<br />

wiederherzustellen und zusätzliche Arbeitskräfte für eine Intensivierung der rückständigen<br />

deutschösterreichischen Landwirtschaft zu gewinnen, wurde im Rahmen des<br />

Österreichischen-Tschechoslowakischen Ressortübereinkommens im Mai 1921 die<br />

geschah. Auch mußten sie nunmehr - und das war völlig neu in Österreich - Maßnahmen der Arbeitslosenfürsorge<br />

durchführen.‟ (Schmidt 1991, 75)<br />

444 Hierbei ging es überwiegend um tschechische, südslawische und italienische Facharbeiter für die Glasindustrie und<br />

Ziegeleien (Bürmoos), Bergarbeiter (Mitterberger Kupfer A.G.) und Maurern und Mineuren (Hochgebirgsbaustellen), die<br />

bereits seit Jahrzehnten im Land Salzburg beschäftigt waren. (MfSVer,1921,61,27788)<br />

445 „Ein großes Bauprojekt ist in Ausführung begriffen. Die Durchführung dieses Programmes stieß auf enorme<br />

Schwierigkeiten in der Geld- und Materialbeschaffung. (...) (W)eil geübte Arbeitskräfte fehlten, (müßten) besond. in Linz<br />

(...) ital. Arbeiter (beschäftigt werden), die in italienischer Valuta bezahlt werden mußten. (...) Eine Verweigerung der<br />

Lirazahlung war ausgeschlossen, nachdem die Italiener erklärten, in den Fällen sofort die Arbeit einzustellen und nach<br />

Frankreich zu gehen, wo große Nachfrage nach Ziegelarbeitern besteht.‟ (MfSVer,1921,61,2386)

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