REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

a. Die Wiederentdeckung des Ausländers 304 In den Jahrzehnten vor der Vernationalstaatlichung Mitteleuropas spielten die Kategorien Ausländer und Inländer, trotz massiver Wanderungsbewegungen (siehe oben) kaum eine Rolle. Die überwiegende Mehrzahl aller Zuwanderer waren Bürger der Doppelmonarchie. Einwanderung wurde über das Heimatrecht 441 reguliert, unabhängig der Staatsbürgerschaft. Die Staatsbürgschaftsfrage war, nach den Akten des Innenministeriums zu urteilen, v.a. bei der Einbürgerung von deutschsprachigen Journalisten und Schriftstellern, evangelischen und mosaischen Geistlichen und Reichsitalienern aller Berufssparten von staatspolitischer Bedeutung. Zwei dieser Einwanderungsgruppen wurden besonders streng kontrolliert. Bei der Aufnahme von vorwiegend reichsdeutschen evangelischen Priestern in den österreichischen Staatsverband wurde wegen der "Gefahr einer Störung des konfessionellen Friedens" gewisse "Massregeln" beibehalten, "welche der politischen und confessionellen Verhetzung zu steuern geeignet" schienen (MdI,1902,1550,19527; MdI,1903,1551,12225). In Zusammenhang mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Reichsitaliener war man in den Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch rigoroser. Um in den an das italienische Königreich grenzenden Kronländern "die Zurückdrängung der reichsitalienischen Elemente" zu gewährleisten, waren "Einwanderungsansuchen von Reichsitalienern prinzipiell abzuweisen". Den Behörden wurde angeordnet, "dass den Gesuchen um Einbürgerung der Reichsitaliener in der Regel nicht zu willfahren sei". Ausnahmen waren nur bei "Gesuchswerbern und (ihren) Familienangehörigen, (die) sich derart assimiliert haben, dass sie nicht mehr als Italiener angesehen werden können" vorgesehen (MdI,1913,1551,9487). 441 Zu Heimatrecht bzw. -berechtigung: „Der Begriff der Heimatberechtigung war im 19. Jahrhundert - neben der Staatsangehörigkeit - die bedeutsamste juridische Definition eines Individuums. Ausgehend von den traditionellen Begriffen Heimat - einheimisch - fremd, sicherte die Heimatberechtigung einer Gemeinde den Inhabern den ungestörten Aufenthalt in dieser Gemeinde zu, den sog. Fremden jedoch nicht; insbesondere im Armutsfall, in Fürsorgeangelegenheiten oder bei Kleinkriminalität konnte es zur Abschiebung aus der Aufenthaltsgemeinde kommen, die dann für die betreffende Person im Falle der Verarmung aufzukommen hatte. Bis in die Spätgründerzeit hinein wurden in einigen österreichischen Kronländern streikende oder politisch aktive Arbeiter unter Anwendung des Armen- und Heimatrechts als „Vagabunden‟ des Landes verwiesen. Da ein Anrecht auf den Erwerb des Heimatrechts durch langjährigen Aufenthalt erst im 20.Jahrhundert (1902) realisiert wurde, klafften im Zuge der großen Wanderungsbewegungen wahrend des 19. Jahrhunderts die ursprünglich weitgehende Identität von Geburtsort, Aufenthaltsgemeinde und Heimatgemeinde immer weiter auseinander.‟ Michael John, RainbowLink für Migrations- und ImmigrantInnenforschung, LISTOWNER; 15.10.1997 - 8:57

305 Arbeitslosigkeit in Österreich Jahr Gesamtzahl Zahl der unterstützten Arbeitslosen Arbeitslosenrate Anteil der Unterstützten an der Gesamtzahl 1919 414.000 147.196 18,4% 44% 1920 93.000 32.217 4,2% 41% 1921 31.000 11.671 1,4% 42% 1922 107.000 49.434 4,8% 48% 1923 293.000 109.786 9,1% 53% Quelle: Stiefel, Arbeitslosigkeit, S.29 Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie ging Arbeitslosigkeit (Stiefel 1979, 14) von 18,4 % im unmittelbaren Nachkriegsjahr 1919 bereits 1920 auf 4,2% zurück. 1921 herrschte dann mit einer bundesweiten Arbeitslosenrate von lediglich 1,4% Vollbeschäftigung. 442 Bereits Ende 1920 versuchten die steirischen Arbeitsmarktbehörden (Arbeitsnachweis und Industrielle Bezirkskommissionen - IBK) 443 die Erteilung von Einreisebewilligungen (Visum bzw. Reisepaß) an sich zu reißen. Durch eine direkte Zusammenarbeit zwischen den Grazer und Leobener IBKen und den betroffenen Konsulaten im In- und Ausland erhofften sie sich einen beschleunigten Zuzug dringend benötigter Agrar- und Bauarbeiter für die unmittelbar bevorstehende Anbau- bzw. Bausaison. In einem Notenwechsel mit dem Sozial- und Außenministerium wird dieses Ansinnen der steirischen Behörden empört zurückgewiesen (MfSVer,1920,61,34759). Nach dem Erreichen der Vollbeschäftigung 1921 wurde die Lage am Arbeitsmarkt jedoch immer akuter. So empfahl das Sozialministerium dem Innenministerium im Falle fehlender "ordnungsmäßiger Reisedokumente" (Visum und Arbeitsvertrag) bei dringend benötigten Wanderarbeitern ein Auge zuzudrücken. Die Arbeitslosigkeit sei in ganz Österreich "eine so 442 sämtliche Daten zur Arbeitslosigkeit stammen von Stiefel, Arbeitslosigkeit, 1979. 443 Am Tag der Ausrufung der Republik (12.11.1918) übernehmen die Sozialdemokraten vom bisherigen Minister Victor Mataja das Sozialministerium. Neuer Sozialminister wurde Ferdinand Hanusch. „Hanusch besorgte schon im November 1918 die Gründung der Industriellen Bezirkskommissionen in allen neuen Bundesländern (das parlamentarische Placet holte er sich später ein). Diese Kommissionen, die aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern bestanden, erhielten den Sofortauftrag, in ihrem Bereich Arbeitsnachweise in jedem politischen Bezirk zu gründen; gewisse Voraussetzungen waren vorhanden; denn von den Bezirks-Arbeitsnachweisstellen, die während des Kriegs im Sinne des KLDG tätig gewesen waren, waren einiges Personal und auch angemietete Räumlichkeiten übriggeblieben. Die neuen IBKs (...) bekamen noch folgende weitere Aufgaben zugeteilt: Sie sollten eine Evidenz über Betriebe errichten, die Arbeitskräfte entlassen oder aufnehmen wollen. Dann sollten sie Paritätische Ausschüsse in allen bezirklichen Arbeitsnachweisen errichten helfen; auch hatten sie für den Massentransport von Arbeitskräften zu bestimmten Arbeitsorten zu sorgen, wenn dies nicht von anderer Seite

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Arbeitslosigkeit in Österreich<br />

Jahr Gesamtzahl Zahl der unterstützten<br />

Arbeitslosen<br />

Arbeitslosenrate Anteil der<br />

Unterstützten an<br />

der Gesamtzahl<br />

1919 414.000 147.196 18,4% 44%<br />

1920 93.000 32.217 4,2% 41%<br />

1921 31.000 11.671 1,4% 42%<br />

1922 107.000 49.434 4,8% 48%<br />

1923 293.000 109.786 9,1% 53%<br />

Quelle: Stiefel, Arbeitslosigkeit, S.29<br />

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie ging Arbeitslosigkeit (Stiefel 1979, 14) von<br />

18,4 % im unmittelbaren Nachkriegsjahr 1919 bereits 1920 auf 4,2% zurück. 1921 herrschte<br />

dann mit einer bundesweiten Arbeitslosenrate von lediglich 1,4% Vollbeschäftigung. 442<br />

Bereits Ende 1920 versuchten die steirischen Arbeitsmarktbehörden (Arbeitsnachweis und<br />

Industrielle Bezirkskommissionen - IBK) 443 die Erteilung von Einreisebewilligungen (Visum<br />

bzw. Reisepaß) an sich zu reißen. Durch eine direkte Zusammenarbeit zwischen den Grazer<br />

und Leobener IBKen und den betroffenen Konsulaten im In- und Ausland erhofften sie sich<br />

einen beschleunigten Zuzug dringend benötigter Agrar- und Bauarbeiter für die unmittelbar<br />

bevorstehende Anbau- bzw. Bausaison. In einem Notenwechsel mit dem Sozial- und<br />

Außenministerium wird dieses Ansinnen der steirischen Behörden empört zurückgewiesen<br />

(MfSVer,1920,61,34759).<br />

Nach dem Erreichen der Vollbeschäftigung 1921 wurde die Lage am Arbeitsmarkt jedoch<br />

immer akuter. So empfahl das Sozialministerium dem Innenministerium im Falle fehlender<br />

"ordnungsmäßiger Reisedokumente" (Visum und Arbeitsvertrag) bei dringend benötigten<br />

Wanderarbeitern ein Auge zuzudrücken. Die Arbeitslosigkeit sei in ganz Österreich "eine so<br />

442 sämtliche Daten zur Arbeitslosigkeit stammen von Stiefel, Arbeitslosigkeit, 1979.<br />

443 Am Tag der Ausrufung der Republik (12.11.1918) übernehmen die Sozialdemokraten vom bisherigen Minister Victor<br />

Mataja das Sozialministerium. Neuer Sozialminister wurde Ferdinand Hanusch. „Hanusch besorgte schon im November<br />

1918 die Gründung der Industriellen Bezirkskommissionen in allen neuen Bundesländern (das parlamentarische Placet holte<br />

er sich später ein). Diese Kommissionen, die aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern bestanden, erhielten den<br />

Sofortauftrag, in ihrem Bereich Arbeitsnachweise in jedem politischen Bezirk zu gründen; gewisse Voraussetzungen waren<br />

vorhanden; denn von den Bezirks-Arbeitsnachweisstellen, die während des Kriegs im Sinne des KLDG tätig gewesen waren,<br />

waren einiges Personal und auch angemietete Räumlichkeiten übriggeblieben. Die neuen IBKs (...) bekamen noch folgende<br />

weitere Aufgaben zugeteilt: Sie sollten eine Evidenz über Betriebe errichten, die Arbeitskräfte entlassen oder aufnehmen<br />

wollen. Dann sollten sie Paritätische Ausschüsse in allen bezirklichen Arbeitsnachweisen errichten helfen; auch hatten sie<br />

für den Massentransport von Arbeitskräften zu bestimmten Arbeitsorten zu sorgen, wenn dies nicht von anderer Seite

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